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Ist die Freiheit westlich?

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DIE FREIHEIT DES WESTENS. Wesen — Wirklichkeit — Widerstände. Otto B. Roegele (Hrsg.), Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1967, Leinen, 631 Seiten, öS 239.—.

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DIE FREIHEIT DES WESTENS. Wesen — Wirklichkeit — Widerstände. Otto B. Roegele (Hrsg.), Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1967, Leinen, 631 Seiten, öS 239.—.

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Um es kurz zu sagen: Was an diesem Werk mißfällt ist der Mangel an Kritik, mit der die „Freiheit des Westens“ als selbstverständlicher Ausgangspunkt behauptet und in den einzelnen Beiträgen konkretisiert wird. Der Herausgeber ist sich der Problematik, die sich mit diesem Titel und der dahinterstehenden Sache verbindet zwar durchaus bewußt; In den einzelnen Beiträgen kommt dieses Bewußtsein nur sehr unscharf oder überhaupt nicht zum Ausdruck.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben uns die Freiheit des Westens zwar schätzen, aber auch in ihrer Begrenztheit erfahren gelehrt. Die sogenannten „bürgerlichen Freiheiten“ sind ein unschätzbares und un-aufgebbares Element vieler Staaten der westlichen Hemisphäre und werden es hoffentlich auch bleiben. Aber ebenso deutlich ist, daß diese Freiheit, die sich in verschiedenen Freiheiten konkretisiert, durch die Ordnungen der westlichen Gesellschaft, durch Wirtschaftsordnung, Staatsordnung usw. nicht selbstverständlich garantiert, sondern immer auch bedroht wird. Wenn man unter Westen auch Griechenland und Spanien versteht, wird diese latente Bedrohung sehr deutlich sichtbar. Da dem umfangreichen Saimnelband dieses kritische Bedenken der „Freiheit des Westens“ fehlt, erweckt er den Eindruck einer antikommunistischen Ideologie als einigender Komponente der verschiedenen Beiträge. Wiewohl der letzte Artikel von K. Dohm vor einer solchen einheitlichen Gegenideologie mit Recht warnt, bietet das Werk eben doch genügend Ansätze für eine solche Ideologie auf christlich-abendländischer Grundlage.

Durch den Mangel an Selbstkritik wird das Werk einseitig, wenn nicht sogar in manchen Ansätzen bedenklich: Einmal vorausgesetzt, durch die in den einzelnen Artikeln vorgetragene Theorie wäre „Freiheit“ in den verschiedenen Bereichen tatsächlich am besten verwirklicht, wird durch das Fehlen „praktischer Kritik“ der Eindruck erweckt, die gehamdhabte Praxis würde mit dieser Theorie übereinstimmen. Dadurch ist aber der Ansatz dafür gegeben, als wäre die „Freiheit des Westens“ nichts anderes als die ideologische Rechtfertigung der bestehenden Zustände. Die Studentenbewegung hat, wenn vielleicht auch nicht immer in der richtigen Form, ein latentes Unbehagen eben an dieser Freiheit des Westens“ vielfach unbeholfen und ziellos artikuliert — ohne aber natürlich die faktische Unfreiheit des Ostens als anzustrebendes Ziel zu behaupten. Reflexion über die Freiheit des Westens müßte aber auch gerade jene Ursachen aufzeigen, die zu solchem Unbehagen, dem man ja nicht von vornherein jede Berechtigung absprechen kann, führen, ja in manchen Fällen aufzeigen, daß dieses Unbehagen sich an Punkten kristallisiert, die der Handhabung westlicher Freiheit in geläufiger Form notwendig immanent sind.

K. Rahners Ausführungen „Zur Theologie der Freiheit“ erfüllen die Erwartungen, die sich mit dem Namen des Autors verbinden. Problematisch erscheinen die Ausführungen K. Bwehheims über „Die Freiheit in der Geschichte“ in der Einseitigkeit, mit der die abendländische Kirche uneingeschränkt als Anwalt der Freiheit gegenüber dem Staat bezeichnet wird, ohne aber zu erwähnen, daß eben diese Kirche sich immer wieder mit dem Staat zur Wahrung der beiderseitigen Interessen gegen die konkrete Freiheit des einzelnen verbündet hat. J. Folliet informiert darüber, was heute über „Die Freiheit im gesellschaftlichen Leben“ gedacht wird. Immer wieder wird dem Negativ des Ostens das Positiv des Westens gegenübergestellt, so bei N. von Grote (Die Anziehungskraft der Freiheitsidee), bei R. Marcic (Die Würde des Rechts und die Freiheit des Menschen). Das soll keineswegs heißen, daß die genannten und weitere Artikel (so zum Beispiel F. König, Freiheit in der Religion; J. Meurers, Freiheit und Wissenschaft; O. Mauer, Freiheit in der bildenden Kunst;

A. Focke, Freiheit in der Literatur;

B. Hanssler, Freiheit in der Welt der Bildung) nicht Wesentliches und Entscheidendes zum behandelten Thema aussagen. Auch die Bereiche der Kommunikation (O. B. Roegele), der Politik (A. Böhm), der Arbeit (G. Fischer), der Wirtschaft und Gesellschaft (B. Pfister), des Konsums (A. Burghardt), des Gemeinwohls kR. Weiler) sind nicht außer acht zu lassen. Der Beitrag von G. Scheeb macht wiederum die angedeutete Einseitigkeit deutlich, wenn er über „Die Freiheit und ihre Verteidigung“ schreibt und dabei aus der freiheitlichen Ordnung wohl das Recht und auch die Pflicht zu ihrer Verteidigung betont, nicht aber auch das Recht auf Dispensation von dieser Verteidigung im militärisch-praktischen Sinn.

Es ist ein Buch ohne Alternative der eigenen Position, ein Buch das genau die Meinung jener wiedergibt, die man heute mit einem Schlagwort als „Establishment“ bezeichnet. Es läuft auf eine Rechtfertigung des Status quo hinaus, eine Rechtfertigung, die sich nicht selten auf Christentum und Kirche beruft.

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