Ist Umweltschutz passe?

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Umweltschutz: Ein Thema, das oft zwischen Panikmache und Abwiegelung abgehandelt wird. Ein heuer veröffentlichtes Buch bemüht sich um letzteres.

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Umweltschutz: Ein Thema, das oft zwischen Panikmache und Abwiegelung abgehandelt wird. Ein heuer veröffentlichtes Buch bemüht sich um letzteres.

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Umweltschutz hat in den letzten Jahren laut Meinungsforschung gravierend an Bedeutung verloren. Die Sorge um den Arbeitsplatz und soziale Fragen verdrängten das Langzeit-Top-Thema von der Spitze. Mitentscheidend dafür waren zweifellos die sehenswerten Erfolge, die 25 Jahre Umweltengagement gebracht haben.

Vor allem die vordergründigen und sichtbaren Umweltprobleme sind gelindert oder gelöst: man riecht auf der Westautobahn nicht mehr, an welchem Industriestandort man gerade vorbeifährt. Blauer Himmel über Ballungszentren statt Rauchwolken, drastische Reduktionen und Verbote gefährlicher Umweltchemikalien, von der Entbleiung des Benzins bis zur Reinhaltung der Gewässer sind eindrucksvolle Umwelterfolge zu verzeichnen.

Viele unzulässige Vereinfachungen Die "Öko-Optimisten" Michael Miersch und Dirk Maxeiner kritisierten in Ansehung solcher Erfolge die Umweltschützer vor zwei Jahren pauschal und heftig wegen ihres ungerechtfertigten Pessimismus und leiteten daraus einen Freibrief für die Unterlassung von weiteren Umweltmaßnahmen ab (siehe ihr Buch "Öko-Optimismus", besprochen in Furche 36/1996).

Heuer folgte das "Lexikon der Ökoirrtümer", mit dem die Erfolgsautoren mit den ärgsten Irrtümern aufräumen wollen, "um für uns selbst und andere etwas Ordnung in die Dinge zu bringen und wenigstens den gröbsten Unsinn ein wenig anzukratzen".

Die ehemaligen Redakteure der bekannten Umwelt-Zeitschrift "natur" verlassen dabei selbst den Boden der Seriosität und Wissenschaftlichkeit. Sie greifen zu unzulässigen Vereinfachungen und setzen aber auch durchaus perfide Argumentationstechniken ein: * Ablenkung vom tatsächlichen Problem: Richtig ist, daß die Prognose von Dennis Meadows im Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" aus dem Jahr 1973 über die Erschöpfung fossiler Energieträger bis zur Jahrtausendwende falsch gewesen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und der Bewahrung der Schöpfung ist es aber egal, ob Erdöl noch 20 oder 100 Jahre reicht.

Faktum bleibt, daß die erschöpfbaren Ressourcen substituiert, die Belastung der Ökosysteme auf ein von der Natur verkraftbares Maß reduziert werden müssen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen auf Dauer sichern wollen.

* Gefährliche Verniedlichungen: Ein Musterbeispiel für solche Verniedlichung liefern die Autoren, wenn sie über die Folgeln des Reaktorunfalls von Tschernobyl schreiben: "Tatsächlich erlagen bislang etwa 50 Rettungsfälle den Strahlenfolgen und die Mediziner zählen zirka 1.500 zusätzliche Fälle von Schilddrüsenkrebs, der zum Glück meist geheilt werden kann." Das "Green Cross International" und die WHO berichten hingegen von 125.000 Erkrankungen allein unter den rund 800.000 Katastrophenhelfern; hinzu kommen viele weitere Fälle, wie zum Beispiel die von den Strahlenfolgen betroffenen Einwohner der Ukraine und Weißrußlands ...

* Wissenschaftlich zweifelhafte Schlußfolgerungen: Schlimme Formen nimmt die Unwissenschaftlichkeit an, wenn z. B. Einzelmeinungen (meist ohne Quellenangabe) als Faktum genommen werden, auch wenn sie der Ansicht der überwältigenden Mehrheit der "Scientific Community" widerspricht, wie etwa zu Fragen des Treibhauseffektes, der Umweltchemikalien und anderen.

Nehmen wir als Beispiel Formaldehyd: Die zahlreichen Untersuchungen zu dieser Problematik ergeben derzeit zwar noch kein einheitliches Bild. Dennoch kamen die deutschen Behörden 1983 zu dem Schluß, daß Formaldehyd als krebserzeugend einzustufen sei. "Einen Krebsverdacht halten Mediziner nicht für schlüssig", schreiben hingegen ohne Zitat die freien Journalisten.

Mit Hingabe kritisieren die Öko-Optimisten überzogene Formulierungen, die es in der Umweltliteratur selbstverständlich auch gibt ("Die Gentechnik bringt Monster hervor"), um dann das Gegenteil als zutreffend zu suggerieren: Totale Entwarnung statt ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Problem.

Fundgrube falscher Schlußfolgerungen So ist das "Lexikon der Ökoirrtümer" eine Fundgrube falscher Schlußfolgerungen und (absichtlicher?) Irrtümer der Autoren, eine Summe gefährlicher Verniedlichungen, ungerechtfertigter Verharmlosungen und Entwarnungen. Journalistische Formulierungskunst und tückische Argumentation gehen dabei vor Moral.

Freilich springen die Fehler nicht überall ins Auge; die Irreführungen aufzudecken, erfordert oft eine gehörige Portion Vorwissen und kritische Urteilskraft seitens des Lesers.

Man mag ihnen eine gewisse Unwissenheit zubilligen, wenn sie z. B. über Verkarstung schreiben (bei der es nicht um Entwaldung, sondern um chemische Veränderungen im Sedimentgestein geht).

Man mag auch mangelndes Verständnis komplexer ökologischer Zusammenhänge als Milderungsgrund gelten lassen, wenn sie etwa meinen, daß Fangverbote allein bedrohte Fischarten retten können (und die Erfordernis der Erhaltung der Qualität des Lebensraumes übersehen).

Wegen Ahnungslosigkeit freisprechen kann man sie aber keinesfalls, denn Unwissenheit schützt bekanntlich nicht vor Strafe. Überdies waren die Redakteure jahrzehntelang als (Wissenschafts-)Journalisten in Sachen Umweltschutz tätig. Bleibt die Frage: Sind nicht viele ihrer Irrtümer absichtlich "passiert" und mußte nicht vielleicht das Anliegen der nachhaltigen Sicherung unserer Lebensgrundlagen persönlichen Interessen der Autoren weichen?

Der Autor ist Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Ökologie.

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