"Ja“ ist ein heiliges Wort

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Der Dokumentarfilm "Die große Reise“ begleitet eine Ordensgemeinschaft bei der Aufgabe ihres Klosters. Ein außergewöhnliches Lebens- und Glaubenszeugnis.

Ein Film über die Schließung eines Klosters? Auf den ersten Blick eine abstruse Idee - für die Betroffenen ebenso wie für den Rezensenten oder fürs präsumtive Kinopublikum. Aber schon auf den zweiten Blick kommen gegenteilige Argumente in den Sinn: Ist nicht - auch auf den ersten Blick - gerade das Christentum eine Religion des Scheiterns: der Glaube an einen, der nach mehr oder weniger erfolgreicher Mission am Kreuz geendet ist?

Und muss sich eine christliche Intensivgemeinschaft nicht gerade dann bewähren, wenn sie nicht mehr das "Erfolgsmodell“ darstellt, das sie vor 100 Jahren noch war? Und wo soll sich fester Glaube und unbändiges Gottvertrauen denn sonst bewähren, wenn nicht in der Gemeinschaft eines Ordens, wo die Mitglieder Gott lebenslange Treue zugesagt haben?

Gelebtem Christsein begegnen

Auch wenn man nicht mit den obigen, (allzu?) großen Fragen an Helmut Manningers Dokumentarfilm "Die große Reise“ herangeht, darf man sich auf eine exzeptionelle Begegnung mit gelebtem Christsein freuen. Denn es gelingt diesem Film, den Kosmos eines Klosters anschaulich zu machen und das Menschliche im Schicksal dieser Gemeinschaft ebenso offenzulegen wie das Göttliche, von dem der Streifen unversehens durchströmt scheint.

Hat sich bei Regisseur Manninger durch die Arbeit am Film und die Begegnung mit den Schwestern der Blick auf Religion und Glauben verändert? Wenn, so Manninger, dann war es eine Bestärkung. Und er verweist auf das Beispiel von Schwester Hedemarie, die er als die "weise Eule“ im Film charakterisiert. Tatsächlich ist es die bettlägerige 93-Jährige, die mit Mutterwitz, Hoffnung und Gottvertrauen das vorgibt, wo die Gemeinschaft am Ende ankommt: "Sagen wir Ja“ - auch zu dem, was den von der Ordensleitung verfügten Fortgang aus dem zur Heimat gewordenen Kloster betrifft.

"Ja ist ein heiliges Wort“, bringt es Manninger auf den Punkt. Es drückt das Vertrauen aus, um das es geht und ohne das diese Gemeinschaft (wie im Grund alle Menschen) nicht leben können.

"Die große Reise“ erzählt die Geschichte der Schließung des Annunziata-Klosters Stein, das die Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens vor mehr als 120 Jahren in der Wienerwaldgemeinde Eichgraben gegründet haben.

Filmische Prozessbegleitung

Bis zu 250 Schwestern fasste das Kloster einst, die auf Einsätze in der Mission vorbereitet wurden. Zuletzt bewohnten noch 25, zu einem Gutteil betagte Ordensfrauen das neugotische Gebäude. 2011 verkaufte die Ordensleitung das Haus, die Schwestern mussten nach Wien-Döbling und Seitenstetten übersiedeln.

"Die große Reise“ begleitet die Schwestern behutsam beim Prozess, die Entscheidung des Weggehen-Müssens zu akzeptieren. Eine in den Bildern poetische Geschichte vom Loslassen und des die Hoffnung nicht fahren Lassens. Die Erzählung vom sichtbaren und unsichtbaren inneren Widerstand und die Ergebung in diesen Plan Gottes, als der er letztlich von den Schwestern erfahren wird - auch wenn beileibe nicht alle ihm sogleich folgen können und wollen.

Es gehört Mut dazu, dies zu filmen und noch mehr Mut, sich dabei filmen zu lassen. Aber im Zusammenspiel des subtilen Filmens - besonders durch die von Kameramann Robert Neumüller gezauberten Bilder - mit der schnörkellosen wie witzigen Offenheit der Schwestern gelingt ein berührendes Zeugnis von Menschen an einem Wendepunkt ihrer Existenz.

Diese Darstellung einer kleinen Welt mit großen Fragen führt auch dazu, dass die existenziellen Unsicherheiten und Wägbarkeiten in einem wesentlich größeren Kontext berührt werden, als es die klein gewordene Klostergemeinschaft vermuten lässt. Loslassen können, weggehen müssen aus einer Jahrzehnte lang gewohnten Ordnung, sich aufmachen in etwas Neues, auch wenn man schon viele Jahre auf dem Buckel hat, sich einlassen auf die Ungewissheit und dennoch Gott bei der Stange bleiben: Darum geht beileibe nicht nur im Annunziata-Kloster Stein; das sind Lebensfragen und -entscheidungen, die weit über das dargestellte Setting hinausreichen.

Der Film "Die große Reise“ lässt eine Handvoll Schwestern erzählen - ihren Lebens- und Glaubensweg ebenso wie ihre Gefühle zur Klosterschließung, ihre Wut und ihre Resignation - und immer wieder ihren Glauben trotzdem. Viel ist dabei von Gehorsam die Rede: Und man glaubt diesen Frauen, dass sie damit Halt im Leben finden, ohne ihre - innere - Freiheit aufgeben zu müssen. Eine große Weltsicht von scheinbar kleinen Frauen wird so sichtbar. Schließlich tritt - wie kaum zu vermuten - in diesem Film auch die Relevanz des christlichen Glaubens nahe.

Aufbau folgt dem Abbau

Schwester Hedemarie, sozusagen der "Star“ des Films, ist 2012, also bald nach dem Umzug nach Wien, verstorben. Die anderen Schwestern leben da oder im Mostviertler Ort Seitenstetten. Dort haben die Franziskanerinnen ein Haus übernommen, das ein anderer Frauenorden aufgrund der Nachwuchslage aufgeben musste. So wurde der Abbruch in Eichgraben gleichzeitig ein Neubeginn - der Aufbau folgte dem Abbau auf dem Fuß.

Aber das ist eine andere Geschichte. Und von der kann dieser außergewöhnliche Film naturgemäß noch nichts wissen.

Die große Reise

A 2013. Regie: Helmut Manninger.Filmladen. 78 Min.

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