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Ja, was wollen sie denn noch?

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Aber daß im gegenwärtigen Fall mit den zum Kardinalsrang beförderten östlichen Kirchenfürsten nur solche der „mit Rom geeinten Ostkirche“, das heißt Unierte, gemeint sein kön-' nen, griechisch-, ukrainisch-, mel-chitisch-, koptisch-katholische, und daß also ihre Erhebung zur Kardinalswürde nicht den Sinn haben kann, den ihm die obenerwähnten naiven Fragen unterlegen, das weiß wohl jeder mit diesen Problemen auch nur ganz oberflächlich vertraute Katholik.

Aber wird nicht diese Erhebung — so fragen selbst über diese Dinge gut informierte Katholiken — wenigstens mittelbar die Wiederannäherung der getrennten Ostchristen an die katholische Kirche fördern? Wenn sie sehen, welch hohe Ehren den Vertretern der mit Rom vereinigten Ostkirchen erwiesen werden, und daß sie sogar in den obersten Senat der katholischen Kirche Aufnahme finden und mit in den engsten Beraterkreis des Papstes herangezogen wurden, müssen sie da nicht zur Überzeugung kommen, daß sie zu denselben Ehren gelangen könnten, wenn sie die Gemeinschaft mit Rom wieder aufnähmen? Jede Ehrung, die den Unierten erwiesen wird, muß doch für die noch Getrennten ein Beweis sein, daß man sie auch ehrt, und ebenso wie die Unierten ehren würde, wenn sie die Gemeinschaft mit Rom wieder aufnähmen. Die meisten Katholiken, die so urteilen, wären nicht wenig erstaunt, wenn sie hören müßten, daß diese scheinbar so überzeugende Überlegung nicht zutrifft, und daß dieser Sohritt beiden Orientalen (den getrennten, heißt das zunächst) keineswegs ' Befriedigung und Billigung ausgelöst hat, und sogar von den unierten Orientalen nicht unbedingt als eine Rangerhöhung empfunden werden wird. Ja, was wollen sie denn noch? wird der durchschnittliche Katholik entrüstet fragen.

Denken wir uns einmal in die Betrachtungsweise der getrennten Ostchristen hinein. „Die Kirche“, das heißt die Gesamtkirche, morgenländische und abendländische Kirche in eins zusammengefaßt, stellt sich für sie als eine Vielheit von Patriarchaten dar — zunächst den alten, historischen, die es schon vor der Kirchentrennung von 1054 gab (Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antio-chia, Jerusalem), und dann den nach der Trennung neuentstandenen nationalen Patriarchaten, zunächst Moskau (1589) und später, schon in unserem Jahrhundert, den Patriar-* chaten der einzelnen Nationalstaaten im Balkan.

Unter diesen Patriarchaten beansprucht Rom, das heißt der Patriar-chalsitz, dem die lateinische Kirche untersteht, für sich einen Vorrang. Da Rom diesen Anspruch gestellt hat — so stellt sich für die Getrennten die Situation dar —, hat es sich von den übrigen Patriarchaten isoliert und das Band der Einheit, die Gemeinschaft der gegenseitigen Anerkennung zerrissen und gelöst.

Aber selbst wenn wir annähmen, daß sämtliche von Rom getrennte Patriarchate des Ostens sich entschließen würden, den römischen Primat im Sinne der katholischen Kirche als eine wirkliche oberste Lehr- und Leitungsbefugnis anzuerkennen — wäre dann nicht der Träger dieser obersten Autorität „einer der Patriarchen“, nämlich der Patriarch von Rom; gewiß, der oberste und erste Patriarch, aber doch nur einer unter ihnen, auf den, als nächste im Rang, die übrigen Patriarchen, der herkömmlichen Rangfolge gemäß (soweit es die alten Patriarchate betrifft) und dem Entstehungsdatum nach (bei den neueren Patriarchaten), zu folgen hätten? Was sind, so betrachtet, die Kardinäle? Sind sie wirklich „die Nächsten nach dem Papst“? Die Institution des Kardinalats, im heutigen Sinne, stammt aus dem elften Jahrhundert. Um den Unzukömmlichkeiten abzuhelfen, die sich daraus ergaben, daß der römische Bischof, das heißt der Papst, von „Klerus und Volk von Rom“ (oft in etwas tutnultuarischer Weise) gewählt wurde, regelte Papst Nikolaus II. gemeinsam mit der Lateransynode von 1059 den Wahlvorgang und bestimmte genau die Suffraganbistü-mer und die Pfarrkirchen und Dia-konien der Stadt, deren Inhaber an der Wahl mitzuwirken hatten. Diese kirchlichen Ämter (im Grunde genommen also Bischofssitze der Umgebung von Rom, und Pfarrstellen und Diakonatsposten in der Stadt Rom) wurden in der Folge an Kirchenfürsten außerhalb von Rom verliehen, damit die Befugnis zur Papstwahl auf einen möglichst großen, die ganze lateinische Kirche repräsentierenden Kreis verteilt werde.

Daß diejenigen Kardinäle, die ihren Kardinalsrang nicht zusätzlich zu einer hierarchischen Stellung außerhalb Roms erhalten haben, den engsten Kreis der Berater des Papstes in seinen Entscheidungen bilden und seine Helfer bei seiner Regierungstätigkeit darstellen, ist selbstverständlich. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er, als Patriarch von Rom, zwar der oberste unter den Patriarchen ist und nach katholischer Auffassung auch über sie einen Vorrang der Lehr- und Amtsautorität hat, daß sie aber, selbst wenn sie diesen Vorrang anerkennen würden und die Gemeinschaft mit Rom aufnähmen, Patriarchen neben ihm wären, gewiß an Autorität ihm nachstehend, aber doch Patriarchen wie er, während die Kardinäle die „Wahlmänner“ seines (römischen) Patriarchats darstellen, die ihn zu wählen haben (eben zum römischen Patriarchen, der dann unter den anderen Patriarchaten die oberste Autorität auszuüben hat) und ihn auch bei der Ausübung dieser Autorität beraten sollen, aber deshalb doch nicht in dem Sinne wie die Patriarchen neben ihm stehen, sondern unter ihm.

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