"Jede Trennung in Ost und West ist künstlich"

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Karl-Heinz Ducke, Pfarrer von Jena, zu den "Geburtsfehlern" des vereinigten Deutschlands. Ducke war einer der zwei Moderatoren des Zentralen Runden Tisches der DDR, der maßgeblich zum friedlichen Machtwechsel vor 15 Jahren beigetragen hat.

Die Furche: Herr Ducke, wie präsentiert sich für Sie Deutschland am 15. Jahrestag der Wiedervereinigung- ein uneinig Vaterland?

Karl-Heinz Ducke: Woran will ich innere Einheit messen? Soll ich mich mit den Weinländern verbinden oder soll ich mich mehr zum Bier hingezogen fühlen? Das ist doch ein künstlicher Maßstab, der so hoch ist, dass ihn niemand erreichen kann. Was ist die innere Einheit zwischen Preußen und Bayern? - das ist doch Quatsch. Hier eine emotionale, messbare Stufe einführen zu wollen, das halte ich für einen Super-Trick von Leuten, die uns nicht wohlwollen.

Die Furche: Wer hat Interesse an einem uneinigen Deutschland?

Ducke: Das sind Leute, die ihre ddr-Vergangenheit nicht vergessen können und vor allem auch Journalisten, die bestimmten alten Klischees aufgesessen sind. Die reden immer noch von Osten und Westen, als ob es die letzten 15 Jahre nicht gegeben hätte. Diese Einteilung, diese Deutschland-Sicht stimmt nicht mehr.

Die Furche: Wie ist Ihre Deutschland-Sicht?

Ducke: Deutschland ist nicht in Ost und West, sondern in Bundesländer eingeteilt - und da gibt es zwischen allen große Unterschiede. Eine der ganz großen Leistungen war ja auch das Wiedererstehen der Bundesländer im Osten. Das erst hat die Möglichkeit der Identifikation gegeben: als Thüringer, als Sachse, als Mecklenburger ... Insofern ist es künstlich, jetzt wieder eine Linie zwischen Ost und West, ddr und alter Bundesrepublik aufzurichten - wir leben in Bundesländern ...

Die Furche ... zwischen denen aber zweifellos eine große Kluft besteht.

Ducke: Wir wussten bei der Wiedervereinigung, dass die Kluft unendlich groß ist, aber keiner konnte ahnen, wie tief sie wirklich ist - das hat man erst viel später erkannt. Das liegt daran, dass im Westen die Frage der Einheit zwar hochgehalten wurde, aber niemand darauf vorbereitet war. Das sage ich Ihnen aus den Erfahrungen des Runden Tisches. Und die rosigen Wirtschaftsgutachten der ddr wurden im Westen geglaubt. Und natürlich gab es es auch im Osten eine große Naivität bezüglich der heilen Welt im Westen; aber wir kannten sie ja nur aus dem Fernsehen; und auf einmal kam der Westen in Realität und das ist wie Zugluft gewesen.

Die Furche: Ganz Deutschland ist momentan in der Krise - meinen Sie, die neuen Bundesländer werden dafür zum Sündenbock gemacht?

Ducke: Davon bin ich ganz fest überzeugt. Die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme, die schon in der Bundesrepublik da waren, wurden vor 15 Jahren mit der neuen Aufgabe der Einheit zur Seite geschoben. Aber diese Probleme sind wieder hochgekommen - und das wäre auch ohne die neuen Bundesländer passiert.

Die Furche: Abfällige Ossi-Bemerkungen, wie die des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im letzten Wahlkampf, tragen auch nicht unbedingt zur Entspannung bei.

Ducke: Stoibers Worte halte ich für unklug, aber sie sind leider nicht neu; schon der frühere csu-Vorsitzende und Finanzminister Theo Waigel hat von den "Amateurpolitikern im Osten" gesprochen. Darin sehe ich generell einen Geburtsfehler der Einheit: Diejenigen, die in Sonntagsreden immer gerne als ddr-Bürgerrechtler gelobt werden, hat man bei der Neugestaltung des einigen Deutschlands einfach vergessen.

Die Furche: Vergessen oder bewusst hinausgedrängt?

Ducke: Da gab es sicher auch ganz harte Interessen, wo man sagte: Jetzt müssen wir hier Fuß fassen. Und alle, die damals aufgestanden sind, den Runden Tisch organisiert haben, die wurden dabei nicht mehr gebraucht. Ich bin kein Nostalgiker: Der Runde Tisch hat sich versammelt aus Sorge um unser Land - damit war die ddr gemeint, nicht Deutschland. Die Einheit kommt erst ab Januar 1990 in den Blick; und ab diesem Zeitpunkt haben auch andere Kräfte das Sagen gehabt. Mir tut es heute einfach Leid, dass diese Leute, die sich unheimlich engagiert haben, einfach überspielt wurden - auch weil sie sicher nicht bequem waren. Das war vielen im Westen einfach nicht geheuer, was da an politischen Kräften plötzlich hochgekommen ist.

Die Furche: Bräuchte es einen neuen Runden Tisch, an dem sich ganz Deutschland wieder zusammensetzt?

Ducke: Am Runden Tisch gab es 1990 den Wunsch: Wir machen weiter. Wir, die Moderatoren des Runden Tisches haben aber gesagt: Ohne uns, denn jetzt gibt es ein Parlament. Ich kann das Wort Runder Tisch nicht mehr hören, denn die gegenwärtige Lähmung der parlamentarischen Demokratie kann nicht durch Runde Tische ersetzt werden. Wir haben ein frei gewähltes Parlament: Ost, West, Nord, Süd sitzen da beisammen - und denen sage ich: macht gefälligst eure Hausaufgaben.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Runder Tisch

Die Runden Tische in der ddr bildeten ab Ende 1989 eine Art "Nebenregierung". Die Runden Tische nahmen Aufgaben der Legislative und der Exekutive wahr, obwohl sie weder gewählt waren noch sonst eine demokratische Legitimation besaßen. Teilnehmer waren Vertreter der Kirchen, der neu gegründeten oder "gewendeten" Parteien inklusive der eigentlich noch regierenden sed/pds, Künstler, Intellektuelle und sonstige Personen des öffentlichen Lebens. Der Berliner Zentrale Runde Tisch, den Karl-Heinz Ducke mit dem evangelischen Pastor Martin Ziegler leitete, arbeitete bis zum 12. März 1990, kurz vor den ersten (und letzten) freien Wahlen zur Volkskammer. Der Zentrale Runde Tisch beeinflusste viele Entscheidungen der ddr-Übergangsregierung. Wegen seiner Bedeutung für das Schicksal des Landes erhielt er großes Medieninteresse.

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