Erwin Pröll - © APA/Herbert Pfarrhofer

Erwin Pröll: "Jeder Mensch braucht einen Handlauf fürs Leben"

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Der Publizist Herbert Vytiska hat für DIE FURCHE ein sehr persönliches Gespräch mit dem scheidenden niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll geführt.

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Der Publizist Herbert Vytiska hat für DIE FURCHE ein sehr persönliches Gespräch mit dem scheidenden niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll geführt.

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Der Brandlhof in Radlbrunn (Weinviertel). Ein Gehöft aus dem 13. Jahrhundert. In der Stube, im Herrgottswinkel sitzt Erwin Pröll. Er, einer der mächtigsten Landespolitiker der Zweiten Republik, wirkt entspannt. Mehr noch, er kann offenbar loslassen. Und das nach 37 Jahren in der Regierung, davon 25 Jahre als Landeshauptmann. Wir führen mit ihm ein Gespräch über Gott und die Welt. Ein nicht nur politisches Glaubensbekenntnis.

DIE FURCHE: In wenigen Tagen feiert die Europäische Union Geburtstag: den 60er am 25. März anlässlich der Unterzeichnung der Römischen Verträge; den 66er am 18. April, dem Gründungstag der Montanunion. Es sind Geburtstage im Zeichen einer Krise und der Suche nach Lösungen. Europa war einmal Bollwerk des Christentums, heute gilt es als der säkularisierteste aller Kontinente. Was ist da eigentlich in den letzten Jahrzehnten passiert?
Erwin Pröll: Es gibt da mehrere Momente. Aber offensichtlich wurde der Lebenssinn des europäischen Kontinents immer mehr verwaschen. Auch christliche Werte sind in Vergessenheit geraten. Dabei braucht jeder Mensch eine Orientierungslinie, eine Art Handlauf fürs tägliche Leben, um Sicherheit zu gewinnen. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurde auf den eigentlichen Sinn des Lebens vergessen, nahm das Materielle überhand. Dort, wo das Geld die Oberhand hat, wuchert der Egoismus, wird die Verantwortung des Menschen gegenüber der Schöpfung und den nächsten Generationen mit Füßen getreten.

DIE FURCHE: Bedingt durch die Flüchtlingsbewegung in den letzten Jahren und den relativ hohen Anteil muslimischer Zuwanderer schüren nicht nur rechtspopulistische Parteien die Angst vor einer Islamisierung. Allerdings halten sich auch die Kenntnisse über den christlichen Glauben in Grenzen. Sind wir überhaupt noch imstande einen Glaubensdisput zu führen?
Pröll: Da muss ich Bedenken anmelden. Wobei natürlich die Zuspitzung auf ein solches Konfliktpotenzial auch das Profil schärfen kann und wird. Allerdings, und das ist ein christlich-demokratischer Grundsatz, wird man auch Toleranz walten lassen müssen. Die aber dort Grenzen hat, wo das Beharren auf Positionen zur Intoleranz wird. Ein fruchtbringender Dialog verlangt, dem Andersgläubigen mit Respekt gegenüberzutreten, die eigene Position zu definieren und klar zu machen, wo alles seine Grenzen hat. Bei diesem Status sind wir heute angekommen.

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DIE FURCHE: Wenn von Europa die Rede ist, spricht man mitunter auch vom "christlichen Abendland". Das Christentum ist die am stärksten wachsende Religionsgemeinschaft, nur in Europa befinden sich die Kirchen auf einer Art Rückzugsgefecht.
Pröll
: Europa ist mit der Tatsache der Vermischung des Christentums mit anderen Religionen, aber auch der Auflösung vieler Bindungen, die früher die Menschen zur Religion, zur Kirche hatten, konfrontiert. Daher sind auch die christlichen Kirchen aufgerufen, ihr Profil in der öffentlichen Diskussion wieder zu schärfen. Und klar zu machen, wo die Grenzen liegen: nämlich dort, wo andere Religionen glauben, christliche Grundwerte in den Hintergrund drängen zu können.

DIE FURCHE: Die Wirtschaftspolitik ist so ein Beispiel. Das Primat gilt einem grenzenlosen Liberalismus. Als Gegenkonzept wird immer wieder der Eingriff durch den Staat ins Spiel gebracht. Die so erfolgreiche soziale Marktwirtschaft ist faktisch Geschichte. Deren Weiterentwicklung um die öko-soziale Komponente besteht nur auf dem Papier. Wäre ein ordnungspolitisches Modell, das auch Perspektiven eröffnet, nicht zwingend nötig?
Pröll:
Europa muss sich wieder grundsätzlicher definieren. Ein Manko auf europäischer Ebene besteht darin, dass die Tagesaktualität oft auf die Beachtung von wesentlichen Grundwerten vergessen lässt. Auch die Europäische Volkspartei wäre gut beraten, ihre Arbeit nach christlich-demokratischen Grundsätzen wie Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Freiheit, Leistung klarer und stärker auszurichten. Und zwar nicht nur in Worten sondern auch in Taten. Mir ist an sich zu wenig die Rede vom Leistungsprinzip. Leistung ist ein wichtiger Wert und braucht daher auch eine Wertigkeit in der Gesellschaft. Denn es ist das Einkommen durch Leistung, das erst die Grundlage für entsprechende Einkommen aufgrund eines sozialen Anspruchs legt. Auch die Frage der Eigeninitiative ist abhandengekommen, weil leider in Österreich seit den 1970er-Jahren den Bürgern vorgegaukelt wurde, dass der Staat alles tut, für alles aufkommt.

DIE FURCHE: Ein Trend geht durch Europa: Die Bindungen zu den traditionellen Parteien lösen sich, die Zahl der Wechselwähler überholt jene der Stammwähler. Gleichzeitig tauchen immer wieder oft nur kurzlebige politische Bewegungen auf, die die politische Szene aufmischen. In schwierigen Zeiten fehlt da oft die "Stabilitas".
Pröll: Die politischen Parteien täten gut daran, sich ihrer eigenen Grundsätze zu besinnen und diese auch in der politischen Diskussion zum Ausdruck zu bringen. Die Bürger brauchen wieder mehr und eine bessere Unterscheidbarkeit der Parteien. Das ist wichtig für die weitere Entwicklung unserer Demokratie.

DIE FURCHE: Und wie steht es um diesen Anspruch in Österreich?
Pröll: Ähnlich wie überall in Europa. Faktum ist, dass die Tagespolitik zum Träger wichtiger Entscheidungen in überwiegender Form geworden ist. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es mitunter schwer ist, die täglichen, laufenden Entscheidungen an der eigenen Grundsatztreue zu messen. Nur: auch das Denken in Generationen ist ein ganz wichtiger Grundsatz, den wir nicht vergessen dürfen. Das betrifft sowohl die Dankbarkeit gegenüber den Generationen vor uns als insbesondere auch die Achtung gegenüber den Generationen nach uns.

DIE FURCHE: Niederösterreich ist auf zwei Diözesen aufgeteilt. In der Vergangenheit gab es hier immer wieder Probleme im kirchlichen Alltagsleben, die auch an der Politik nicht spurlos vorübergingen. Das Verhältnis ist gewissermaßen etwas abgekühlt. Warum eigentlich?
Pröll: In den letzten Jahren ist es hier sicher zu einer gewissen Entfremdung zwischen Partei und Kirche gekommen. Das hat durchaus mannigfache Ursachen. Aber auch in der ÖVP hat man sich hin und wieder über das Verhalten der christlichen Kirchen gewundert. Auch weil sie manchmal eine Diskussion über grundsätzliche Fragen in der Öffentlichkeit vermissen ließen. In der Debatte um das Kreuz in den Schulen hätte ich mir klarere Äußerungen gewünscht. Auch eine Glaubensgemeinschaft muss ihre Grundsatzpositionen klar und pointiert in der Öffentlichkeit darstellen. Ohne sich gleichzeitig in die Tagesaktualität der Politik einzumischen.

DIE FURCHE: Was sollte aus der Sicht eines christdemokratischen Politikers anders werden?
Pröll: Mir fehlt der grundsätzliche Diskurs, mich stört auch, dass die Amtsträger diesen pointierten Diskurs vermissen lassen, weil man Angst um die Schäfchen hat. Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ansehe, so frage ich mich schon, ob man es nicht anders versuchen sollte. Denn die Menschen verlangen genauso wie früher nach Orientierung.

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