Biden - © Foto: Getty Images / Brandon Bel

Joe Biden, der „schwere Sünder“?

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Die US-Bischofskonferenz hat im heftigen Streit um den Kommunionempfang von Präsident Biden einen Kompromiss erzielt. Das Problem besteht aber weiter.

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Die US-Bischofskonferenz hat im heftigen Streit um den Kommunionempfang von Präsident Biden einen Kompromiss erzielt. Das Problem besteht aber weiter.

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Wenn die Oberhirten aus den fast 200 Teilkirchen in den USA zu ihren Vollversamm­lungen zusammenkommen, ist man fast schon an heftige Kontroversen und polarisierte Debatten gewöhnt: Die Bischofskonferenz in den Vereinigten Staaten hat nicht nur die schwierige Aufgabe, eine Stimme für die mehr als 70 Millionen katholischen Gläubigen im Land darzustellen, sie selbst setzt sich auch aus knapp 230 höchst unterschiedlichen Personen und ihren jeweiligen theologischen Ansichten zusammen. Während ihre europäischen Pendants zum Teil deutlich kleiner sind und dabei auch oftmals lange um eine Position ringen müssen, multipliziert sich diese Situation in den USA noch einmal.

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Alle Augen waren auch dieses Mal wieder auf die Oberhirten gerichtet, als sie zur herbstlichen Vollversammlung im katholisch symbolhaften Baltimore zusammengetreten waren. Und ein Thema beherrschte die Debatten wie kein anderes: das geplante Dokument zur „Eucharistie im Leben und Glauben der Kirche“. Was sich zunächst als ein theologisches Allgemeinfeld und wenig polarisierendes Gebiet anhört, hat in den letzten Monaten religionspolitisch gewaltig Fahrt aufgenommen. Denn nicht nur die theologischen Implikationen um die Eucharistie sollten im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Frage, wer diese empfangen dürfte. Diese Frage stellte sich nämlich vor der politischen Wirklichkeit der USA in einer neuen Schärfe.

Streitpunkt Abtreibung

Mit Joe Biden wurde am 17. Jänner 2021 der erst zweite Katholik im höchsten Amt der USA vereidigt, zudem noch ein Demokrat, der mit seiner politischen Agenda für eine liberale Gesetzgebung in Sachen Abtreibungsfrage eintritt. Dies war schon vor seinem Sieg gegen Donald Trump vielen politischen Gegnern, aber auch konservativen Glaubensgeschwistern ein Dorn im Auge. Nach der gewonnenen Wahl waren sie nun öffentlich Sturm gelaufen: Wie soll ein Katholik, der sich öffentlich von der strikten Linie der katholischen Kirche in Sachen Schwangerschaftsabbruch entfernt, zur Kommunion zugelassen werden können? Befindet sich Biden mit seiner politischen Linie nun im Zustand der „schweren Sünde“? Auch dann, wenn er persönlich die Abtreibung niemals befürworten würde – wie er mehrfach betont hat?

Die Debatte wurde immer heftiger geführt und von verschiedenen Seiten befeuert: Zahlreiche Bischöfe forderten, Joe Biden die Kommunion zu verwehren. Als schließlich im Frühjahr 2021 von der Bischofskonferenz beschlossen wurde, ein Dokument über die Eucharistie zu veröffentlichen, sahen viele konservative Kreise ihre Stunde gekommen: Sie wollten durchsetzen, dass der Text auch einen Passus enthält, der eine klare Absage an den Kommunionempfang für Politiker zum Ausdruck bringt, wenn diese nicht alle Punkte der katholischen Lehre in ihrer Politik repräsentierten.

Bischofskonferenz als Spielball Die Stoßrichtung der Debatte war klar: Für Joe Biden sollten aufgrund seiner politischen Haltung religiöse Sanktionen verhängt werden. Einige Bischöfe aus dem konservativen Lager, die auf den Zug aufgesprungen waren, wollten die Debatte mit kurzen Verweisen auf den geltenden Katechismus und das Kirchenrecht schnell beenden. Die Diskussion jedoch wurde immer aggressiver und erreichte bald alle Ebenen der US-Kirchen. Einfache Gläubige, Priester und Bischöfe schienen sich an der Frage zu entzweien. Die ohnehin brodelnde Stimmung steuerte auf einen neuen Höchststand zu. Zuletzt wandten sich Papst Franziskus und Kardinal Luis Ladaria mit scharfen Worten an ihre bischöflichen Kollegen jenseits des großen Teiches: Die Kommunion dürfe kein politisches Mittel und die Bischofskonferenz nicht zum Spielball parteipolitischer Kämpfe werden.

Hätte man dem konservativen Druck nachgegeben, wäre politische Denunziation bei Bischöfen eine neue Strategie.

Vergangene Woche nahm die Bischofskonferenz nun den Text über die Eucharistie an: mit einem deutlichen Votum von 222 zu acht Stimmen, aber ohne den strittigen Passus zu Politikern, die nicht dem Glauben der Kirche entsprachen. Stattdessen findet sich in der Endversion eine allgemeine Aufforderung an alle Gläubigen, sich zu prüfen, wenn sie die Kommunion empfangen wollen, und dies nicht im Zustand der Sünde und ohne das Sakrament der Beichte zu tun. Man bewegte sich im Endtext letztlich auf bekanntem theologischen Boden – fraglos ein Kompromiss, der keine Seite zufriedenstellen dürfte.

Dennoch war die Abstimmung ein wichtiges Signal aus dem amerikanischem Episkopat: Man hat in einer brenzligen, hoch emotionalisierten und politisierten Frage eine Einigung erzielt – etwas, das viele internationale Beobachter in dieser Klarheit nicht für möglich gehalten hatten. Für die Kirche in den USA war dies jedoch enorm wichtig: Hätte man dem Druck aus dem konservativen und republikanischen Lager tatsächlich nachgegeben, wären die Folgen verheerend gewesen. Politische Denunziation von Politikern aus allen Lagern bei ihren Bischöfen wäre wohl auf der Tagesordnung parteipolitischer Strategien gelandet – wenn der politische Gegner nicht passt, dann müsste er nur bei seinem Bischof angeschwärzt werden und würde religiöse Sanktionen erfahren. Letztlich haben die US-Bischöfe der Komplexität der Lage Tribut gezollt – und zwar ohne dass sie die geltende Linie in der Kirche verlassen hätten. Es war ein Balanceakt in der Glaubwürdigkeit – und sie haben im Text Joe Bidens Glauben in die Gesamtheit aller Gläubigen zurückgeholt. Auch wenn er der Präsident der USA ist, so gelten für ihn dieselben Regeln, und es ist für ihn genauso die Pflicht, seinen Sakramentenempfang vor seinem Gewissen abzuklären.

Theologisch gesehen ist dieser Schritt äußerst weitreichend: Mit ihrer Argumentation stärken die Bischöfe nicht zuletzt die Gewissensentscheidung des Einzelnen und treten von generalisierenden Sanktionen wie der Verweigerung von Sakramenten zurück. Bemerkenswert ist dies deshalb, weil auch viele kirchliche Kreise in eine ähnliche Richtung beim Schwangerschaftsabbruch tendieren. Damit aber wird die Diskussion sicherlich weitergehen, denn sie ist mit dem Dokument nicht beendet. Vielmehr verschärft sich die Lage im Blick auf die einzelnen Diözesen: Einige Bischöfe haben ja bereits angekündigt, Biden die Kommunion ohnehin zu verweigern, während andere Bischöfe betonten, dass sie ihm weiterhin die Kommunion geben würden (etwa auch der Erzbischof von Washington, D. C., Wilton Gregory).

Zurück zur Pastoral

Was die katholischen Bischöfe mit diesem Dokument geschafft haben, ist, von der in der Öffentlichkeit ausgetragenen religionspolitischen Debatte wieder zu einem theologischen, im Endeffekt pastoralen Diskurs zurückzukommen. Niemand behauptet, dass diese Frage einfach zu beantworten sein wird – gleichzeitig aber wurde mit dem Dokument eine Grenze für parteipolitische Strategien gesetzt. Die Grenze verläuft, so wie es auch das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat, am Gewissen des Einzelnen. Joe Biden ist und bleibt trotz seines hohen Ranges in der Politik ein solcher. Sein Glaube darf – gerade auch bei den strittigen politischen Punkten seiner Präsidentschaft – nicht zur politischen Waffe oder Zielscheibe werden. Dies ändert nichts daran, dass es weiter ernste Fragen gegenüber seiner Politik geben wird. Wohl aber zeigt sich auf diese Weise, dass auch die religiöse Beheimatung politischer Führungspersönlichkeiten eine höchst intime und private Angelegenheit ist, über die nicht in der Gesamtheit einer mächtigen Öffentlichkeit zu urteilen ist.

Der Autor ist Erwachsenenbildner, Theologe und Publizist in Salzburg.

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