Johannes Paul II.: der Heilige der Menschenrechte

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So paradox es klingen mag: Johannes Paul II. wird zum großen Heiligen der Menschenrechte. Seine Heiligsprechung stellt nicht nur eine fromme Würdigung dieses Giganten dar, dessen Lebenswerk in fast allen Dimensionen jedes menschliche Maß sprengt. Und dessen kirchliche "Karriere“ keine alltägliche war, ist er doch mit 38 Jahren Bischof, mit 47 Kardinal und mit 58 Papst geworden. Diese Heiligsprechung wird die kirchliche Antwort auf das Dilemma der Menschenrechte in der global gewordenen Welt bleiben. Immer und immer wieder hat er ja betont, dass der Weg der Menschenrechte der Weg des Evangeliums in der modernen Welt sei. Freilich zielte diese Qualifizierung nicht auf jenen Weg hin, den so viele politische Bewegungen und Staaten mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen heutzutage beschreiten. Während ihre Rhetorik von der Menschenrechtsphilosophie geschwängert ist, bleibt die Praxis allzu oft der Logik des "business as usual” verpflichtet.

Die moralische Verurteilung dieses Widerspruchs hilft hier nicht weiter, ist doch der Widerspruch selber in das moderne Verständnis der Menschenrechte hineingeschrieben. Als Anspruchsrechte verstanden, degenerieren diese oft zum moralisch geadelten Instrument der Durchsetzung von Eigeninteressen. Kein Wunder, dass die rationale Basis für das Menschenrechtsdenken in unserer Gegenwart immer dünner wird. Und sich unsere selbstzufriedene liberale Welt auch immer öfters mit Fundamentalismen aller Art konfrontiert sieht.

Kritiker des "Anything goes“

Für viele seiner Kritiker ist aber Johannes Paul II. selber bloß ein religiöser Fundamentalist gewesen. Gar einer, der zur Gallionsfigur der Mentalität der Verweigerung der Menschenrechte in der Kirche wurde. Sein kristallklares Urteil über die liberale Kultur als "Kultur des Todes“ schockierte nicht wenige seiner Bewunderer. Es schien einer ganz anderen Haltung zu entspringen als das Gebetstreffen in Assisi, zu dem er die Vertreter aller Religionen eingeladen hat. Die Auftritte bei unzähligen seiner Reisen, bei denen er sich gar von Schamanen "segnen“ ließ, sein Weg in die Synagoge und sein Kuss für das heilige Buch des Koran haben viele begeistert und legten dem unbedarften Beobachter die Folgerung nahe, dieser Papst sei ein echt moderner Zeitgenosse, gar einer mit der für moderne Menschen so charakteristischen Einstellung des "Anything goes“.

Doch seine Verehrung für Padre Pio, für Schwester Faustyna, deren Heiligsprechung im Jahre 2000 er als das glücklichste Ereignis seines Lebens ansah und seine traditionelle alltägliche (Marien-)Frömmigkeit hinterfragen die liberale Einstellung zur Religion; sein unmissverständliches Nein zum Irakkrieg, die Verurteilung der Instrumentalisierung der Gewalt im Namen der Religion und sein konstanter Einsatz für die Religionsfreiheit passen wiederum nicht zum Weltbild eines Fundamentalisten.

Die existenzielle Erfahrung der Erniedrigung und Dehumanisierung des ganz konkreten Menschen durch die Nazis und durch die Kommunisten in Polen, vor allem der ganz persönliche Schock angesichts des Verschwindens seiner jüdischen Spielkameraden und das Entsetzen über die stalinistischen Schauprozesse - auch oder gerade gegen den polnischen Klerus und auch gegen die Krakauer Kurie - haben dem jungen Philosophen mit mystischem Anschlag und dann auch dem Priester Karol Wojtyla den Fokus seiner Vision einer menschenwürdigen Welt für sein ganzes Leben geschärft.

Konkreten Menschen zuwenden

Nicht im Kontext abstrakter Ideologien, sondern in der Zuwendung zum ganz konkreten Menschen, vor allem dem ganz konkreten Opfer müssen sich die Wahrheitsfrage im Allgemeinen und auch die religiöse Wahrheit im Besonderen bewähren. Allergisch gegen eine kirchliche Kultur, die sich durch Mentalität des Anspruchs zu Wort meldet, kehrte er konsequent die Stoßrichtung der bürgerlichen Menschenrechtsphilosophie um.

Nur die Fähigkeit und Bereitschaft zur Solidarität und Hingabe an den ganz konkreten Menschen können die Politik der Menschenrechte für die globalisierte Welt retten. In der Kultivierung dieser Fähigkeit sah er den Weg der Heiligkeit, der sich ja von der Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes inspirieren lässt. Und in der Praxis unzähliger Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus den sozial Schwachen zuwenden, die gültige Inkarnation des Evangeliums in unserer Zeit und auch das kräftigste politische Zeichen für die kirchliche Antwort auf das Dilemma der Menschenrechte.

* Der Autor ist Dogmatiker an der Kath.-Theol. Fakultät Innsbruck

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