Jugend im urbanen Ägypten

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Miral al-Tahawi, 1968 geboren, schrieb in ihrem zweiten Roman über das Heranwachsen einer jungen Frau in einem Land, das geprägt ist von Tabus, dem Einbrechen der Modernität, dem Ost-West-Konflikt und arabischem Kulturerbe.

Nordafrika, das mit Ägypten in den Mittleren Osten hineinreicht, zählt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zu den faszinierendsten Literaturlandschaften im Umkreis Europas. Während im Maghreb, dem von Libyen bis zum Atlantik reichenden Westen, Produktionen in der Sprache der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich hinsichtlich ihrer Quantität und Qualität immer noch eine dominierende Stellung behaupten, stehen die Literaturen der östlichen Arabophonie in Blüte und haben längst den europäischen Buchmarkt erobert. Namentlich Ägypten hat durch Autoren wie Nagib Mahfuz (Nobelpreis 1988) und Gamal al-Gitani einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Neu zu entdecken sind heute besonders die ägyptischen Schriftstellerinnen, die zunächst spät und vereinzelt hervorgetreten sind, so wie es im Rahmen ausgeprägt patriarchalischer Gesellschaften zu geschehen pflegt, nach und nach aber ihrer Stimme inmitten des literarischen Feldes in ihrer Heimat und außerhalb mehr Gehör verschafften. Die 1968 geborene Miral al-Tahawi hat nach einem erfolgreichen Debüt mit "Das Zelt" ihr zweites Buch vorgelegt, das 1998 im arabischen Original in Kairo erschienen ist.

Die Rezeption dieses Romans erfordert jenes langsame, auch fallweises Zurückblättern akzeptierende Lesen, das dem Drang der Autorin zum Überwinden konventioneller Erzählstrukturen im Gefolge europäischer Avantgardismen Rechnung trägt. Wer sich aber einmal eingelesen hat, wird feststellen, dass das Verwirrspiel der Zeitsprünge, der wechselnden Perspektive und der intertextuellen Einschübe kaum von dem zugrundeliegenden, durchaus linear angelegten Lebensbericht abzulenken vermag. Die Handlung folgt dem Verlauf einer Kindheit und frühen Jugend aus der Perspektive der sich erinnernden Erzählerin, wobei Konflikte in der Gegenwart durch prägende Strukturen von Elternhaus und Umwelt vorherbestimmt werden. Der Rückblick der Ich-Erzählerin steht von Anfang an im Zeichen des Selbstzweifels eines jungen weiblichen Menschen, der durch die in seiner Famile und seiner Umwelt geltenden Spielregeln früh gelernt hat, sich selber geringzuschätzen und Hemmungen zu entwickeln, welche die junge Erwachsene kaum mehr zu bändigen vermag. Schon im Titel, der sich auf das wenig attraktive Äußere der Hauptfigur im Augenblick ihrer Geburt bezieht, kommt diese Tendenz zum Unterspielen, zur Abwertung der eigenen Person zum Ausdruck. Vielleicht verweist auch der Name der Protagonistin, Nada, auf dem Assoziationsumweg über das Kastilische auf ihr Gefühl, nur ein "Nichts" zu sein. In der Familie, welche diesen Hang zur Selbstabwertung maßgeblich gefördert hat, sind angestammte Normen und Konventionen brüchig, durch tiefgreifende Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens in Frage gestellt worden. Aber auch bei eingeschränkter Funktionstüchtigkeit sind sie noch stark genug, um im Verein mit unbewältigten Einbrüchen der Modernität während der letzten Jahrzehnte des Ost-West-Konflikts in der Erzählerin und ihren AltersgenossInnen schwere Konflikte hervorzurufen.

Das studentische Milieu, in dem Nada nach der Mitte ihrer Geschichte Fuß zu fassen sucht, kennt sowohl Normfeindschaft im Zeichen "kommunistischer" Agitation und Bereitschaft zum Bruch sexueller Tabus (einige Passagen in dem Buch können als kühn gelten, wenn man an das ägyptische Leserpublikum denkt) als auch islamistisches Engagement verschiedenen Radikalitätsgrades. Die Protagonistin steht dazwischen als "wohlerzogenes" Mädchen im Widerspruch von Körperlichkeit und Intellekt, vor allem aber im Zeichen eines schweren Defizits an menschlicher Wärme, das durch eine verzweifelte, im Ansatz selbstzerstörerische Suche nach Liebe ausgeglichen werden soll. Dabei sucht Nada, eines der wertvollsten Elemente des arabischen Kulturerbes fruchtbar zu machen, indem sie die Geschichte ihrer Sehnsüchte und Verstörungen gleichsam kontrapunktisch mit Texten aus dem berühmten Text "Das Halsband der Taube" über die Liebe und die Liebenden des Andalusiers Ibn Hazm (11. Jahrhundert) in Beziehung setzt.

Durch eine Reihe von scharf profilierten Nebenfiguren, aus deren Schicksal und Zusammenwirken ein vielschichtiges Bild des Bürgertums und der studierenden Jugend im urbanen Raum des heutigen Ägypten erwächst, erhält die schmerzvolle Geschichte eines Heranwachsens im Zeichen des Illusionsverlustes das Gepräge eines Zeitromans. In bewährter Weise hat der Unionsverlag ein Repertoire von Sacherklärungen beifügen lassen, so dass sich die im Text als Anspielungen verstreuten Geschichtsbezüge zu einem zeitgeschichtlichen Mosaik zusammenfügen können.

Zweifel hinterlässt die von der habilitierten Arabistin Doris Kilias vorgelegte Übersetzung. Der Rezensent ist zwar nicht in der Lage, das Original zu beurteilen, aber holprige Sätze und stilistisches Ungeschick, die sich im Gebrauch der eigenen Sprache manifestieren, können sehr wohl die Freude an der Lektüre eines Interesse weckenden Buches vermindern. Besonders schlimm wird es, wenn Volkslieder oder Spruchdichtung wiedergegeben werden sollen. Hier ein Beispiel unter vielen: "Brächten Tränen die Liebenden zurück, / würd' ich Rotz und Wasser weinen, / brächten die Tränen mir dieses Glück, / würd' ich noch unter Schmerzen greinen."

Schade !

Die blaue Aubergine

Roman von Miral al-Tahawi

Aus dem Arabischen von Doris Kilias

Unionsverlag, Zürich 2002

186 Seiten, geb., e 15,30

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