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Junger Katholizismus in jungem Erdteil

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In Kolumbien leben etwa zehntausend Deutschsprachige: Deutsche, Österreicher, Schweizer, davon die Hälfte in Bogotä, deren katholischer Teil von der Pfarre St. Michael betreut wird, die 1957 vom Katholischen Auslandssekretariat gegründet wurde; ihr modernes Pfarrheim wird auch das Zentrum der deutschsprachigen Kongreßpilger sein.

Die besondere Bedeutung des Kongresses liegt in der Tatsache, daß er der erste nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist. Er wird daher — zum ersten Male in weltweiter Sicht — die Anwendung einer erneuerten Liturgie zeigen, die im wesentlichen auf die unmittelbare

Beteiligung der Gemeinde als solche am Meßopfer ausgerichtet ist und nach der Weisung jenes Konzils den Glanz seiner Riten mit edler Einfachheit verbinden soll. So will er, im Zeichen erneuerter Formen, eine erhabene Gemeinschaftsfeier des eucharistischen Mahles als Band der Liebe sein, die durch die Anwesenheit des Heiligen Vaters ihre abschließende Weihe erhalten wird.

Bisher waren die Kongresse hauptsächlich feierliche Darstellungen des Glaubens an die Gegenwart Christi im Altarssakrament. Während des

Eucharistischen Kongresses im Jahre 1960 in München wurden überdies wichtige Beiträge zu einer theologischen Erfassung des Mysteriums der Eucharistie geboten. Aber hier handelte es sich noch um ein ausschließlich innerkirchliches Ereignis. Eine teilweise Wendung hierin brachte im Jahre 1964 der Kongreß in Bombay. Dort ging es, in Ermangelung von Vertretern einer nach wissenschaftlichen Grundsätzen gepflegten Theologie und eines katholischen Hinterlandes, weniger um religiöse Probleme als — wie es in einem Mitteilungsblatt einer der vorbereitenden Kommissionen heißt — um die Gegenwart der Kirche in der sozialen Not der modernen Welt. „In Bombay“, fährt der erwähnte Rückblick fort, „stand die Kirche gleichsam am Tor, bereit, jedem, der danach verlangte, gute und beste Ware anzubieten; und angeboten wurde eben bereits ihre Gesamterscheinung, nicht das Gut der Eucharistie allein.“

Nun ist Bogotä eine verhältnismäßig noch junge katholische Stadt in einem ebenso jungen katholischen Erdteil. Daher sind die Bischöfe Kolumbiens entschlossen, dieses außerordentliche Ereignis zunächst für eine möglichst umfassende Erschließung und Durchdringung des Landes zu nützen. Insofern ist der bevorstehende Kongreß neu in seiner Art. Er wird nicht zuletzt im Zeichen einer Propaganda fidei, der Verkündigung des Evangeliums als lebendiger Ausdruck der in der Eucharistie verkörperten göttlichen

Liebe stehen; eine Erinnerung für die Gemeinschaft der Gläubigen, denen in der Taufe und durch sie das göttliche Leben mitgeteilt worden ist, das nun im Opfermahl Christi genährt und so in ein praktisches Christentum übergeführt werden soll. Auf diese Weise will sowohl christliches Denken vertieft als auch eine größere soziale Gerechtigkeit geschaffen werden. Um die hiesige Menschheit in diesem Geiste vorzubereiten, d. h. neue Formen christlichen Selbstverständnisses anzuregen, ein modernes katholisches Füh- rertum auszubildeti sowie Familien- und Nachbargemeinschaften geistig zu beleben, bereisen seit Oktober 1966 mehr als hundert Priester und Laien predigend und aufklärend alle Städte und Verwaltungsbezirke Kolumbiens. Der Kongreß wird der in die Zukunft weisende Schlußpunkt dieses Bemühens sein, einen neuen Typus Eucharistischer Kongresse zu schaffen, dessen dynamischmessianische Evangelisationsbewe- gung sich über Lateinamerika und von hier über die ganze Welt verbreiten soll und nach den Worten Erzbischof Munoz’ im Geiste der Einfachheit alle Menschen guten Willens verbinden möchte.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat unter anderem verkündet, daß die Kirche sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte innig und wahrhaft solidarisch fühlt; denn, so heißt es weiter, die christliche Gemeinschaft ist von Menschen gebildet; es gibt nichts wirklich Menschliches, das kein Echo findet im Herzen der Kirche. So ist sie überzeugt, daß sie mit Unterstützung ihrer Kinder und der ganzen (christlichen) Gemeinschaft eine wirksame Hilfe bieten kann, um dem Menschen und seiner Geschichte einen menschlicheren Sinn zu geben. Kraft ihrer universalen Sendung zum Wohl aller Menschen ohne Rücksicht auf deren Rang, Stand, Kultur, Rasse usw. ist die Kirche, wie Papst Paul es ausgedrückt hat, bereit, niemanden auszuschließen und alle menschlichen Werte anzunehmen. Das heißt aber ferner: die Aufrechterhaltung eines ständigen Zwiegesprächs mit den anderen Religionsgemeinschaften, um so in einer Atmosphäre des Friedens und des gegenseitigen Verständnisses einen Beitrag zum gei-

stig-seelischen Aufbau der Welt zu bieten und eine universale Brüderlichkeit unter den Menschen herbeizuführen. In diesem Geiste sagte der Papst vor den Vereinten Nationen: „Wir haben nur einen einzigen

Wunsch: daß man uns gestatte zu dienen .

Suche nach Liebe und Frieden

So fiel nach Europa und Asidn die Wahl auf Südamerika, um auch diesem Teil der Welt die oben angedeuteten Segnungen zu bringen. Denn hier leben wohl Millionen von Katholiken, aber, wie der Heilige Vater es in der Enzyklika „Populo- rum Progressio“ ausgedrückt hat, man könnte bezüglich der Länder dieses Subkontinents von einem Zustand organischer Schwäche sprechen, die dringend der Stärkung des katholischen Lebens bedürfe, um dieses beständiger in der Lehre und fester in der praktischen Betätigung zu machen. Dann Befreiung von Elend, Exiatenzfneilhieit, Gesundheit, politische Freiheit, Bildung, jede Form des Wohlstandes bedürfen der inneren Kultur und Bereitschaft des Individuums, der helfenden Liebe. Darum eben findet der Kongreß im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils unter der Parole „Die Eucharistie, Band der Liebe“ statt, jener dreifachen Liebe zu Gott, der Kirche und der Menschheit, und er wird hierzu auch das lebendige Beispiel und die praktische Anregung geben. Ein Tag des Kongresses wird nämlich Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas gewidmet sein; an diesem werden sich Theologen und Spezialisten zu Konferenzen aller Art zusammenfinden. Denn nicht die Zurschaustellung von Glanz und Reichtum, „Dinge, die uns nicht eigen sind“, wie Erzbischof Munoz in einem Grußwort an die ausländischen Pilger schrieb, ist Zweck des Kongresses, sondern das mühsame Suchen nach Liebe und Frieden, wie Pater Emil L. Stehle, der Pfarrer der hiesigen deutschsprechenden Kirchengemeinde, vielsagend hinzugefügt hat.

Und dem ist wahrhaft so. Wohl die meisten Nichtkatholiken und selbst mancher Katholik werden laut oder bei sich fragen: Wozu ein Eucharistischer Kongreß, wozu eine geräuschvolle Demonstration dieses Umfangs von etwas, das im Denken und Fühlen der einen ohnedies beschlossen ist und jenen, die nicht der katholischen Kirche angehören, von vornherein und daher auch nachher nichts sagt?

Dies kann man zunächst ebensogut anläßlich jeder patriotischen oder parteipolitischen Kundgebung fragen, die zudem wegen ihres polemischen, „die anderen“ ausschließenden Charakters meist nur zu einer Vertiefung von Gegensätzen und Konflikten verbaler und handgreiflicher Art beiträgt. Aber abgesehen davon stellt sich auch für den denkenden Nichtkatholiken, ja selbst für den Atheisten, für den die liturgischen Riten einer Messe also bedeutungsloser Humbug und leerer Hokuspokus sind, angesichts einer in Haß und allen seinen Auswüchsen an Rache, Mord, Revolutionen, Bürgerkriegen sowie Kämpfen in allen Erdteilen und des unsagbaren Elends und Leids, das sie schon über die Menschheit gebracht haben und noch immer bringen, die zusätzliche Frage, was nun also besser ist: dies sowie die nationalen Religionen und Sekten, die die Gegensätze nur noch vertiefen und ausweiten, oder eine allen Menschen ohne Unterschied der Rasse, der Nation und der sozialen Stellung. die Liebe und nur die Liebe predigende Kirche und ihre Veranstaltungen. „Wenn ich“, sagt der heilige Paulus im ersten Brief an die Korinther (13. Kap.), „in Entrückung, in Sprachen von Menschen und Engeln redete, aber hätte die Liebe nicht, so wäre ich wie tönendes Erz oder eine klingende Schelle“. Liebe aber, selbst oder gerade in ihrer erhabensten Darstellung, der Eucharistie, kann nicht auf kämpferische Art, sondern nur auf die ihr eigene Weise erinnernd, mahnend, predigend unter den Menschen verbreitet werden. Hierin hat sich die katholische Kirche bis jetzt noch immer am wirksamsten gezeigt. Von ihr sagt der protestantische Theologe Walter Nigg in der Einleitung zu seinem Buch „Große Heilige“, daß sie sich innerhalb des Christentums zweifellos als der fruchtbarste Nährboden für Heilige erwiesen habe. Hier muß also selbst der Atheist, den zumindest sein eigenes Schicksal und das der Welt interessieren wird, wissen, was er will. Und da gibt es grundsätzlich — dies hat schon Empedokles erkannt — nur die AJiternatlive: schließlich alles vernichtender Haß und Zwietracht in allen 'ihren mannigfaltigen Formen und Graden und entsprechende Folgen oder die Rettung durch jene Torheit der Verkündigung des Wortes vom Kreuze, der Liebe um jeden Preis, die „alles milde umhüllt“, die das Gute in allen wecken will, weil sie an das Gute in allen und an seinen Sieg glaubt.

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