Kampf um die Bassena

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Im Jahr der Wahl lädt Wien zur Volksbefragung – und lässt die Hausbesorger auferstehen. Ein genialer Schachzug? Impressionen aus dem Karl-Marx-Hof.

Der gute Geist von der 70er-Stiege heißt Sokol. Wenn eine Glühbirne abdankt, sorgt Frau Sokol für Erleuchtung; wenn sich der Unrat im Stiegenhaus türmt, sorgt sie für die Räumung; und wenn sich ein Besucher im Karl-Marx-Hof zu verirren droht, führt sie ihn auf den rechten Weg zurück. Diesmal ist es eine ältere Dame, die vor der Lifttür ratlos einen Namen murmelt. „Ganz oben“, ruft Frau Sokol, die gerade – von einem Einsatz kommend – in ihre Dienstwohnung im Hochparterre huscht. Drei Stiegenhäuser hat die Mutter zweier erwachsener Kinder zu betreuen. Gemeinsam mit fünf anderen Hausbesorgern managt sie Hof 4 des geschichtsträchtigen Gemeindebau-Kolosses in Wien-Heiligenstadt.

Und das seit 20 Jahren: „Ich habe mich damals um diesen Posten beworben, weil ich bei meinen Kindern zuhause bleiben konnte“, erzählt die blondierte Mittvierzigerin, während ihr chinesischer Faltenhund Charly durch die Wohnungstüre lugt. Noch heute sind rund 80 Prozent aller Wiener Hausmeister weiblich. Doch auch Sokols 23-jähriger, arbeitsloser Sohn Thomas interessiert sich für diesen Job. „Anderen helfen und alles sauber halten: Das taugt mir voll.“

Sehnsucht nach der „guten Seele“

Ob er eine Stelle finden wird, steht auf einem anderen Blatt: Seit Abschaffung des Hausbesorgergesetzes im Jahr 2000 hat sich die Zahl der Wiener Hausmeister von rund 19.000 auf 10.500 fast halbiert. Statt teurer Hausbesorger mit begrenzten Arbeitszeiten, Zulagen und Dienstwohnung greift auch die Gemeinde Wien lieber auf günstigere, externe Hausbetreuer zurück. Doch was vielen der rund 500.000 Gemeindebaubewohnerinnen und -bewohner fehlt, ist eine Ansprechperson. Neue Hausbesorger „mit modernem Berufsbild“ sollen diese Lücke füllen und auch für Mediation bei Konflikten zuständig sein. Im Rahmen der aktuellen Volksbefragung (siehe unten) holt sich die Gemeinde Wien nun das Plazet – ohne anzumerken, dass auch „Hausbesorger neu“ etwas kosten. Dennoch: Frau Sokol fühlt sich verstanden, wie so viele im Gemeindebau.

Auch zu den vier anderen Fragen vertritt sie eine Meinung, die beim „Bassena-Tratsch“ wohl mehrheitsfähig wäre: Flächendeckende Ganztagsschulen? „Ja, denn so müssen lernfaule Kinder auch am Nachmittag ihr Hirn einschalten.“ Citymaut? „Idiotisch. Warum soll ich für den ersten Bezirk Eintritt zahlen?“ Nacht-U-Bahn am Wochenende? „Prinzipiell nicht schlecht.“ Hundeführschein? „Nein, denn es gibt keine bösen Hunde.“ Die Volksbefragung selbst weiß Frau Sokol jedenfalls zu schätzen: Während sonst immer die Politiker das Sagen hätten, sei nun einmal das Volk am Wort.

Tatsächlich ist die letzte Volksbefragung in der Bundeshauptstadt schon 19 Jahre her: 1991 wurde das Expo-Projekt Wien-Budapest für 1995 mehrheitlich abgelehnt, das Kraftwerk Freudenau jedoch gebilligt. Auf Bundesebene wurde überhaupt noch nie eine (unverbindliche) Volksbefragung durchgeführt. Nur im Jahr 2000 hat die damalige Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer dieses Instrument der direkten Demokratie als Reaktion auf die Sanktionen der EU-14 angedacht, erinnert sich der Politikwissenschafter Emmerich Tálos im FURCHE-Gespräch. „Das war natürlich absurd, weil es ja nicht um eine Materie gegangen ist, für die der Bundesgesetzgeber zuständig ist“, erklärt er. Immerhin zweimal kam es in Österreich zu einer (rechtlich bindenden) Volksabstimmung: 1978 über Zwentendorf und 1995 über den EU-Beitritt. Und ganze 32-mal wurden Volksbegehren lanciert; erreichen sie mehr als 100.000 Unterschriften, müssen sie im Nationalrat behandelt werden.

Doch steht bei der aktuellen Wiener Volksbefragung tatsächlich die Volksmeinung im Mittelpunkt? Hubert Sickinger hat seine Zweifel. „Hier geht es vor allem um eine Mobilisierung vor der Wiener Wahl, aber auch um indirekte Subventionsvergaben an Wiener Medien“, ist der Politologe überzeugt. Die Inhalte seien von der regierenden SPÖ „wie aus einem Handbuch für Political Consulting“ zusammengestellt worden: Mit den Fragen nach Hausbesorgern und Ganztagsschule wolle man sich von der Wählerschaft Rückenwind für ureigenste Anliegen holen – auch wenn in beiden Fällen eigentlich der Bund zuständig ist; bei der Citymaut versuche man, eine ungeliebte Forderung der Grünen von vornherein „abzuschießen“; beim Votum für oder gegen eine Nonstop- U-Bahn gehe es darum, eine ÖVP-Forderung zu entschärfen, indem man sich „draufsetzt“; und die Kampfhunde sollten emotionalisieren. Das einzige Risiko besteht laut Sickinger darin, das – von Michael Häupl bewusst niedrig gewählte – Beteiligungsziel von 25 Prozent zu verfehlen. Doch die 4,4 Millionen Euro teure PR-Kampagne der Stadt Wien werde dieses Risiko wohl minimieren.

Das Hauptproblem? Migranten!

Viel größer sei das Risiko, dass der Geist der direkten Demokratie Schaden leidet, befürchtet Sickinger: „Direkte Demokratie sollte ein Instrument in der Hand der Bürger sein und kein Instrument der Regierenden zur Wählerstimmenmaximierung.“

Ganz ähnlich empfinden das manche Bewohner des Karl-Marx-Hofs – auch wenn sie es nicht so geschliffen formulieren. „Die ganze Volksbefragung is’ für’n Oasch“, empört sich ein 70-jähriger Mann, der gerade seine Mischlingshündin Sandy äußerln führt. Nicht fehlende Hausbesorger, sondern zu viele Migranten seien das eigentliche Problem im Gemeindebau: „Wenn einer stirbt, kommen am nächsten Tag Ausländer rein“, ärgert er sich. H.C. Strache wählen wird er dennoch nicht. „Ich werd’ gar nicht wählen.“

Frau Sokol von der 70er-Stiege hat zum Thema Migranten ein etwas entspannteres Verhältnis. „Denen stehe ich genauso mit Rat und Tat zur Seite wie allen anderen“, beteuert sie und streichelt ihren chinesischen Faltenhund. „So lange eine Ruh’ ist in der Stiege, habe ich mit Ausländern kein Problem.“

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