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Katholiken und Protestanten im Nebeneinander

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Es war auf einer Reise in der Gegend von Hannover. Ein Eisenbahnschaffner stieg zu mir ins Abteil. Er fragte mich, ob ich katholischer Priester sei. Als ich das bejahte, setzte er sich neben midi. Ganz unvermittelt schüttete er dann eine Reihe jener Anwürfe gegen die römisch- katholische Kirche vor mir aus, wie wir sie von protestantischer Seite zu hören gewohnt sind. Ich ließ ihn ruhig aussprechen. Dann sagte ich ihm, daß mich das alles eigentlich nicht sehr interessiere. „Das muß Sie doch interessieren." — „Nein, nidit sehr. Aber darf ich ein paar Fragen an Sie richten?" — „Bitte." — So fragte ich etwa, wie folgt: „Lieben Sie Gott? Lieben Sie den Nächsten? Sind Sie getauft? Glauben Sie an Christus als Gottes Sohn? Beten Sie? Ist Ihnen die Hl. Schrift Gottes Wort?" Auf alle Fragen bekam ich immer wieder ein energisches Ja oder Jawohl zur Antwort. „Dann ist ja das, was uns beide eint, viel größer, als das, was uns trennt", sagte ich. „Da haben Sie eigentlich recht: das hat mir noch niemand gesagt“, war seine Antwort. „Nun schauen Sie", fuhr ich fort, „ob wohl ein so großes Unheil über das deutsche Volk hereingebrochen wäre, wenn Katholiken und Protestanten sich in echt christlicher Sorge bemüht hätten, tüchtige, charaktervolle, tiefgläubige Christen in die führenden Stellen des Volkes zu bringen." „Ganz sicher nicht", sagte er. „Sehen Sie, wir Katholiken und ihr Protestanten, wir müssen heute alles Trennende zurücktreten lassen und in echter Sorge mit Christus und durch Chri-

stus unseren Volk und über unser Volk der heutigen Welt zeitliches und ewiges Heil schaffen," — „Ja, das wäre etwas Großes; so habe ich das alles noch nicht gesehen.“ — Als zwei Menschen, zwei Christen, die sich verstanden hatten, gingen wir nach herzlichem Händedrude auseinander. •

Immer wieder fand ich bei Unterredungen ähnlicher Art, daß wir Katholiken und Protestanten, soweit noch echter Glaube an das Evangelium da ist, im tiefsten eins sind. Aber wir scheinen das nicht mehr zu wissen, weil das Trennende, das Unterscheidende immer zuerst herausgestellt wurde und wird. Es ist wahrlich an der Zeit, daß aus dem Gegeneinander der Konfessionen, soweit es noch besteht, ein Nebeneinander und aus dem Nebeneinander ein herzliches und ehrliches Zueinander werde, und aus diesem Zueinander dann als kostbare Frucht die Una sancta herauswachse.

Der Krieg, der Kampf gegen das Christentum, gleichgültig welcher Konfession, das Elend der letzten Jahre, das Durcheinandergewürfeltwerden der Konfessionen in Deutschland durch die Austreibung aus dem Osten, das alles hat Katholiken und Protestanten schon in vielem nähergebracht und Dinge möglich gemacht, die vor einigen Jahren noch unvorstellbar waren. Was die Not begonnen, das muß echtes Erbarmen mit der Menschheit in dieser ernsten Stunde ihrer Geschichte und große Liebe zu und tiefe Einsicht in

Christus und sein Werk, die Kirche, der Vollendung entgegenführen.

Besser als wir mußte der Gegenspieler Gottes um die Bedeutung der Kirche für die günstige Entwicklung der Menschheit wissen. In geschickter Ausnützung unserer Menschlichkeiten verdunkelte er zuerst der Kirche das Kennzeichen der Einheit: er spaltete uns Christen in Konfessionen und ließ uns das Trennende mehr betonen als das Gemeinsame, das verblieb. So konnten sich die Kräfte, welche die Neuzeit gestalten sollten, immer mehr von Christus und seiner Kirche lösen und als Subjektivismus, Laizismus und Chauvinismus ihr Verderben über das Abendland und die Welt ausgießen. Ebenso verdunkelte er der Kirche das Kennzeichen der Liebe. Während wir das Jenseitige, das Ewige stark betonten, legten wir wohl nicht Wert genug auf die Gestaltung des Zeitlichen, des Diesseitigen, aus christlichem Geist heraus. Der einzelne dachte mehr an die Rettung der eigenen Seele. Es entschwand zu stark das Bewußtsein, daß wir mit Christus auch diese Welt zu gestalten haben, daß wir das Salz der Erde und das Licht der Welt sein sollen, daß die Kirche der Sauerteig ist, der diese Welt zu durchsäuern hat. Daher konnten Kräfte die Führung übernehmen, die nicht mehr von christlichem Geist gelenkt waren. So ging in Erfüllung, was Christus gesagt hat: Weil die Gottlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten (Mt. 24, 12). Darum sehen wir heute

so viele außerhalb der Kirche stehen, die trotz allem noch ein Verlangen nach Gott und Religion haben, aber an der Kirche irregeworden sind. Welches Elend hat doch der Gegenspieler Gottes durch Ausschaltung der Kirche über uns Menschen gebracht, zeitliches und ewiges Elend! Aber er hat damit auch erwiesen, von welcher Bedeutung die Una sancta für uns Menschen ist und noch werden wird, je weiter die Entwicklung geht.

Diese fundamentale Bedeutung der Una sancta sollten alle Konfessionen bedenken, wenn sie über ihr Verhältnis zueinander Beschlüsse fassen. Wonach verlangt denn der gläubige Christ, der um diese Bedeutung der Kirche weiß, der erfahren hat, wie schwer das Ringen um die Verwirklichung des Guten ist, der sieht, wie sich heute die nichtchristlichen Kräfte weltweit organisieren und unvorstellbares Elend über die Menschheit heraufbeschwören?

Das erste Verlangen: Könnte man doch mit dem Feuer des Hl. Geistes jedem Getauften in die Seele schreiben: durch deine Taufe bist du von Christus gedungen zur Arbeit in seinem Weinberg, du darfst nicht mehr müßig herumstehn, du sollst das Programm Christi verwirklichen helfen: Ehre Gott und Friede den Menschen. Könnte man doch die 700 Millionen Getauften zu dieser Aktivität aus dem Geiste Christi heraus aufrütteln!

Damit verbindet sich sofort das Sehnen nach Einheit. In einer Zeit, in der viele wirtschaftliche Fragen nur durch Zusammenarbeit der Länder, ja der Erdteile gelöst werden können, können auch die großen Dinge, die der Kirche aufgetragen sind, nur durch Zusammenstehn aller Getauften gelöst werden. Stellen wir uns einmal vor, diese 700 Millionen Christen wären von der eben genannten Aktivität erfüllt, sie wären, wie Christus das will, in einer Kirche vereint, wie könnten wir Christen das Angesicht der Erde erneuern! Die Menschheit würde wohl aufjubeln: Gelobt sei die Kirche, die uns das Heil gebracht hat! Daß dieses Ideal, soweit als möglich, Wirklichkeit werde, das

ist unser heißes Flehen und Wollen in dieser ernsten Stunde der Geschichte.

Selbst ein neutrales Nebeneinander ist in dieser Stunde Christen mit weitem Herzen zur Unmöglichkeit geworden. Es müssen heute alle Konfessionen in allem, was das öffentliche Leben angeht: in Film, Radio und Presse, in Wirtschaft, Politik, Schule usw. Zusammenarbeiten, damit das alles wieder christlichen Geist atme und aus christlichem Geist geformt werde. Von welchem Segen müßte es für ein Dorf, eine Stadt, ein Land mit verschiedenen Konfessionen sein, wenn die führenden Stellen in allen diesen Fragen gemeinsam beraten und nach gemeinsamen Beschlüssen handeln würden! Es wäre dann für bestimmte Getaufte nicht mehr möglich, die konfessionelle Spaltung auszunützen, um unangenehme Forderungen ihrer eigenen Konfession zu umgehen zum Schaden des christlichen Geistes, und

die Gegner hätten mit einer geschlosseneren Front zu rechnen als bisher.

Je inniger und ehrlicher dieses Zusammengehen in den praktischen Fragen würde, desto mehr würde um die volle Einheit gebetet und gerungen; desto stärker würde das Verlangen, sich nun auch um einen Altar zu scharen und sich der einen, gottgewollten Führung zu unterstellen; desto mehr würden die verantwortlichen Stellen durch das christliche Volk gedrängt, doch schnellere Arbeit zur Beilegung der strittigen Punkte zu leisten; desto lauter und eindringlicher würde der Ruf nach der Una sancta.

So würde das echte Anliegen der Reformation erfüllt: eine einzige, aber ganz lebendige ICirche, die wirklich der heutigen Menschheit der Heilbringer wäre, nicht durch Worte allein, sondern durch den echtchristlichen Einsatz der Millionen Getaufter. Es würde das Haus geschaffen, in dem sich alle Völker wohl fühlen würden.

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