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Katholische Jugend unterwegs

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Im vergangenen Jahr ist in der Katholischen Jugend eine heftige Diskussion um Strukturfragen aufgebrochen. Sowohl auf Bundesebene als auch in den Diözesen beschäftigte man sich intensiv mit der Frage, ob das Selbstverständnis der Katholischen Jugend nicht den Erfordernissen der Gegenwart angepaßt werden müßte und wie das geschehen könnte. In der Erzdiözese Wien ist diese Diskussion von besonderer Dringlichkeit. Einerseits verlangt nämlich die bevorstehende Wiener Diözesansynode eine Standart- bestimmung der Katholischen

Jugend innerhalb der gesamten kirchlichen Jugendarbeit, anderseits ist durch die Großstadt Wien und ihren Einfluß auf die umliegenden Landgebiete die Unangepaßtheit der derzeitigen Struktur der Katholischen Jugend besonders deutlich spürbar.

Die Ordnung des Aufbaues der Katholischen Jugend nach drei berufsständischen Gliederungen geht auf das Jahr 1948 zurück. Das erste Jahrzehnt bis etwa 1958 muß wirklich als eine Blütezeit der Gliederungen KAJ (Katholische Arbeiterjugend), KLJ (Katholische Landjugend) und KMJ (Katholische Mittelschuljugend; später: KSJ, Katholische Studierende Jugend) bezeichnet werden. Ab etwa diesem Zeitpunkt machte sich aber mehr und mehr ein Unbehagen an dieser Ordnung bemerkbar.

Dieses Unbehagen hatte einerseits seinen Grund in einem Wandel des Selbstverständnisses der KJ als einer Gliederung der Katholischen Aktion. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg bezeichnete sich die KJ noch sehr selbstverständlich als „Jugend der Kirche”, manchmal noch schärfer formuliert als „die Jugend der Kirche”. Das Bundesstatut der Katholischen Jugend Österreichs vom Jahr 1966 korrigierte diese Formulierung sehr deutlich, wenn dort gesagt wird: Katholische Jugend ist Kirche. Die KJ versteht sich also als eine Gemeinschaft junger Menschen neben anderen, in der Kirche wirklich werden soll, wie das Vaticanum II „Kirche” überdacht und verstanden hat Von anderen Jugendgemeinschaften unterscheidet sie sich dadurch, daß sie sich als eine Gliederung der Katholischen Aktion versteht, deren.

Ziel so allgemein ist wie das apostolische Ziel der Kirche.

Dieses neue Selbstverständnis (allerdings durchaus noch nicht allgemein bewußt) befreit die Arbeit der Katholischen Jugend von einer belastenden Hypothek. Von der Hypothek nämlich, die KJ sei für die Jugendarbeit der Kirche allein verantwortlich. KJ kann nur eine Form kirchlicher Jugendarbeit sein. Sie will an der Verantwortung mittragen, die der gesamten (als „Volk Gottes” verstandenen) Kirche aufgetragen ist.

Der zweite Grund des Unbehagens liegt in der Erkenntnis, daß die Gesellschaft, in der wir leben, sich in den Nachkriegsjahrzehnten grundlegend in eine „pluralistische” gewandelt hat. Die Einführung des berufsständischen Gliederungsprinzips für die KJ im Jahr 1948 war gewiß schon ein erster und früher Versuch, dieser Wandlung der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Ein Versuch allerdings, der in späteren Jahren einer dauernden Korrektur bedurft hätte, tatsächlich aber für (hoffentlich „nur”) 20 Jahre „betoniert” worden war.

Anpassung an das pluralistische Milieu

Eine Korrektur wäre notwendig gewesen, weil — nach dem bekannten dialektischen Gesetz — eine neu- aufbrechende Erkenntnis dazu neigt, sich absolut zu setzen. Man hatte 1948 bei der Konzeption der berufsständisch gegliederten KJ außer acht gelassen, daß die grundlegende Form pastoraler Anstrengungen doch die territoriale Arbeitsweise sein muß, die freilich in unserer pluralistischen Gesellschaft notwendig einer Ergänzung durch das kategorielle Arbeitsprinzip bedarf. Das starre Absolutsetzen der These führte teilweise zu einem starren Absolutsetzen der Antithese. Es wäre höchste Zeit, daß man 1968, 20 Jahre nach 1948, zur Synthese käme.

Die Katholische Landjugend hat als erste der drei Gliederungen der KJ an den gesellschaftlichen Gegebenheiten die Notwendigkeit einer Umorientierung erfahren. „Katholische Landjugend” war 1948 zunächst berufsständisch als KJ im bäuerlichen Berufsmilieu gedacht. Da sich in den vielen Gemeinden bäuerlichen Berufscharakters das Anliegen der territorialen Pastoral mit dem der kategoriellen Pastoral deckte, entstanden zunächst wenig Probleme. Die lawinenartige Zunahme des Pendlerwesens bedeutete jedoch für viele Gemeinden einen gesellschaftlichen Umbruch. Die Gemeinde blieb zwar durchaus pastoral überschaubar, wandelte sich aber berufsständisch gesehen in eine pluralistische Gemeinde. Die KLJ erkannte diese durch die gesellschaftliche Wandlung erzwungene Wandlung ihres Selbstverständnisses und strebt als Ausdruck dieser Wandlung eine Umbennenung in KJ-Land an. (Man ist der Meinung, daß die fortschreitende Urbanisierung den Zusatz „Land” voraussichtlich eines Tages überflüssig machen wird.) Die KLJ will also in ihrer überschaubaren Gemeinde territorial arbeiten. Hoffentlich, sei hier angemerkt, übersieht sie dabei nicht die Notwendigkeit, innerhalb ihrer grundlegend territorialen Arbeitsweise für die Zielgruppe des bäuerlichen Berufsstandes und die Zielgruppe des durch das Pendlerwesen entstandenen Berufsmilieus der

Arbeitnehmer angepaßte Arbeitsweisen zu finden.

Im Großstadtbereich zeichneten sich die Mängel der berufsständischen Gliederung der KJ von 1948 im letzten Jahrzehnt immer deutlicher durch das Entstehen sogenannter nichtgegliederter Gruppen ab. Im Zuge von Vorbereitung und Nacharbeit für den Jugendtag der Katholischen Jugend Wien „Agape 66” bildete sich eine Arbeitsgemeinschaft nichtgegliederter Gruppen, die innerhalb der derzeit gültigen Organisationsstruktur der KJ eigentlich keinen Ort hat. Diese Gruppierungen sind das Ergebnis territorialer Arbeitsweise. Ihre Geistigkeit kann heute nur die Geistigkeit einer „missionarischen (Pfarr-) Gemeinde” sein. Es wird also wohl auch für diese Arbeitsweise das Prinzip der Kerngruppenbildung neben der Arbeit in einem „weiteren Kreis” (Zielgruppe der Jugendlichen, die sich im „kirchlichen Bereich” bewegen) und „weitesten Kreis” (Jugendliche, die nur in ihrem Lebensbereich angesprochen werden können) entscheidend sein. Reste der Geistigkeit der Jugendbewegung („Jugendreich”) und des Verbands- batholizismus (etwa „rettender Balken im Schiffbruch der Welt”; K. Rahner) müßten abgebaut werden.

Eine Gründung innerhalb der KJ Innsbruck in den vergangenen Jahren zeigte, daß dem Konzept von 1948 neben dem Außerachtlassen der territorialen Arbeitsweise auch noch der Mangel einer allzu schematischen Dreigliederung anhaftete. In der Erkenntnis, daß nicht alle Bereiche des Arbeitermilieus durch die Gliederung KAJ ansprechbar waren, gründete man eine Gruppierung „Allgemeine Katholische Jugend”. Werden die durch die pluralistische Gesellschaft gegebenen Erfordernisse nicht noch viel mehr spezialisierte Formen kategorieller Arbeitsweise notwendig machen?

Aus dem Gesagten zeigt sich für die Struktur der Katholischen Jugend der Zukunft eine ziemlich klare Linie ab. Die KJ versteht sich als eine Form kirchlicher Jugendarbeit. Sie ist eine apostolische Jugendgemeinschaft innerhalb der Katholischen Aktion. Sie arbeitet zunächst und grundlegend territorial und muß auch nach dem territorialen Prinzip fundamental-demokratisch gremialisiert werden. Die KJ arbeitet in einer pluralistischen Gesellschaft. Sie wäre schlecht beraten, würde sie die in dieser Gesellschaft gegebenen Notwendigkeiten spezialisierter kategorieller Arbeit übersehen. Es wird also in der KJ der Zukunft spezialisierte (kategorielle) Arbeitsformen geben müssen (bisherige Gliederungen und neu zu schaffende Dienste).

Unbehagen mit clor starren Gliederung

Eine Zusammenarbeit aller Gruppierungen wird in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein. Es gilt, einerseits durch diese Zusammenarbeit die von den Gliederungen in den vergangenen Jahren erarbeitete geistige und methodische Substanz für die KJ zu bewahren und neu entstandenen oder entstehenden Gruppierungen anzubieten, anderseits durch Zusammenarbeit spezialisiert arbeitende Gruppierungen vor einer Verengung des Blickes zu bewahren und ihren Sinn für das gesamtpastorale Anliegen der Katholischen Jugend wach zu halten.

Die Wirklichkeit unserer Gesellschaft legt noch eine andere Überlegung nahe. Es scheint so, als ob es mit dem Verständnis der KJ als Mitgliederverband ein Ende hätte. Immer mehr zeigt sich, daß der Stand an Mitgliedern nicht als Maßstab der Effektivität der Arbeit betrachtet werden kann. Offenbar polarisieren sich die Arbeitsweisen der KJ von der „Gruppe” (die im Alter bis etwa 17 jedoch noch immer von Bedeutung ist und weiter sein wird) weg immer mehr in Richtung der „Kerngruppe” und der „offenen Arbeit”. Der „Triumphalismus” ist, sowie in der Kirche überhaupt, auch in der Katholischen Jugend von gestern.

Ist nicht auch die Situation der Diözesanstellen für diesen Sachverhalt charakteristisch? Je mehr sich eine Diözesanstelle als Kopf eines Mitgliederverbandes betrachtet, der „regiert” werden kann, desto isolierter von der „Basis” der Ebenen, auf denen praktisch gearbeitet wird, muß sie sich erweisen. Dies gilt für das Gesamt der Diözesanstelle, aber auch für die Diözesanführungen der Gliederungen. Wenn „Kaiser ohne Reich” in obersten Führungsgremien um statutengegebene Positionen streiten, streiten sie nur um des Kaisers Bart. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Vielfalt in der Einheit

Die Katholische Jugend insgesamt und jede einzelne Gruppierung in ihr werden in Zukunft nur soviel wert sein, als die einzelnen jungen Menschen, aus denen sie sich zusammensetzen, wert sind und apostolisch leisten. Vielleicht bedeutet das zunächst für einzelne Gruppierungen einen Prozeß der Gesundschrumpfung vom Mitgliederverband weg zur „Aktivisten”-Bewegung hin. Sicherlich wird besonders im Bereich der territorialen Arbeitsweise auch in Zukunft ein gewisser Mitgliederstand da sein. Der Geist dieser Gruppierung, wie er in den einzelnen Mitarbeitern lebendig und wirksam ist, wird jedoch ihre Bedeutung im Ganzen bestimmen. Die tatsächliche Leistung für das Erreichen des allen gemeinsamen Zieles (jeder einzelne und jede Gruppierung an ihrer Stelle und in ihrer Weise) wird entscheidend sein. Im Sinne eines Wettbewerbes, der sich freilich den im Statut der Katholischen Jugend Österreichs genannten Führungsprinzipien der Solidarität und Subsidiarität verpflichtet weiß.

Vielfalt in der Einheit — wie dieses Wort wirklich werden soll, muß die Katholische Jugend in naher Zukunft entscheiden. Die KJ der Nachkriegszeit hat Bedeutsames geleistet. Manche Ansätze lassen erhoffen, daß auch die KJ der Gegenwart mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten und ihren Beitrag zur Erneuerung der postkonziliaren Kirche leisten wird. Die grundlegende Aussage ihres Selbstverständnisses „Katholische Jugend ist Kirche” verpflichtet.

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