Papst auf Pell-Begräbnis - © APA / AFP / Vincenzo Pinto

Katholische Kirche: Im K(r)ampf der Hierarchie

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Die nach dem Tod Benedikts XVI. neu ­aufflammenden ­Kontroversen an der Spitze der ­katholischen Kirche zeigen: Das System implodiert.

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Die nach dem Tod Benedikts XVI. neu ­aufflammenden ­Kontroversen an der Spitze der ­katholischen Kirche zeigen: Das System implodiert.

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Früher war sie grundlegendes Schaltmoment katholischen Selbstverständnisses – die Hierarchie. Noch heute wird sie in zentralen Texten des römischen Lehramtes als die unhinterfragbare Grundform kirchlichen Lebens vorausgesetzt. Dennoch sieht das Bild der kirchlichen Rangordnung heute zunehmend anders aus. Schon die ersten Wochen des Jahres 2023 lieferten genügend Episoden, an denen deutlich wurde, dass die hierarchische Verfasstheit des Gottesvolkes alles andere als stabil erscheint.

Bereits in den letzten zehn Jahren wurde dies anhand des Zuei­nanders des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und Papst Franziskus deutlich. Das Konstrukt des Papa emeritus war nie genau definiert, das Verhältnis des noch lebenden Vorgängers und seines amtierenden Nachfolgers, der noch dazu theologisch eine anders akzentuierte Haltung einnahm, wurde immer wieder zum Gegenstand von Spekulationen, Grabenkämpfen und Machtgezerre.
Wer glaubte, dass mit dem Tod Benedikts XVI. Ruhe in die Kirchenwelt einkehren würde, wurde eines Besseren belehrt. Da waren zum einen die fragwürdigen Auftritte von Erzbischof Georg Gänswein. Noch bevor die sterbliche Hülle des pontifikalen Emeritus beigesetzt wurde, startete dessen ehemaliger Sekretär eine mediale Tour postmortalen Rundumschlags, der nicht nur Franziskus, sondern auch andere bischöfliche Mitbrüder öffentlich kritisierte, ja sogar explizit angriff. Gänswein sparte nicht mit Kritik, sowohl aus seiner persönlichen Sicht als auch aus der Perspektive Benedikts, die er authentisch darzustellen behauptete. Man konnte sich in seinen Auftritten nie ganz sicher sein, wessen Position er nun einnahm – die des verblichenen Ex-Pontifex oder seine eigene.

Benedikts XVI. postumes Agieren

Zum anderen spielte hier auch das „spirituelle Fast-Testament“ Benedikts hinein: Der emeritierte Papst ließ auf eigenen Willen theologisch brisante Texte postum veröffentlichen, um selbst nicht mehr im Kreuzfeuer der Kritik zu stehen – jedoch mit dem expliziten Wunsch, seine Positionen würden nachfolgend weiter vertieft: „Es ist Aufgabe der neuen Generation, die Voraussetzungen für ein erneuertes Verständnis dessen zu schaffen, was ich hier dargelegt habe.“ Eine fragwürdige Formulierung des emeritierten Papstes, der nach seinem Rücktritt eigentlich beten und schweigen wollte, aber quasi im theologischen Nachschlag seines Todes eine generationenübergreifende Direktive formulierte. Auf diese Weise wurden die nachträglich veröffentlichten Texte gleich für eine ganze Bandbreite heikler Themen (Abendmahl mit protestantischen Kirchen, das Verhältnis zum Islam etc.) als zeitübergreifende Weichenstellung positioniert.

Schließlich war da noch das kirchenpolitische Nachbeben des verstorbenen Kardinals George Pell, jenes australischen Kirchenmanns, der am 10. Jänner nach einer Hüftoperation verstorben war. Während Papst Franziskus Pell nach dessen Tod als treuen Weggefährten würdigte, zeigte sich in den Tagen danach ein anderes Bild: Nicht nur soll der verblichene Pell, so der Vatikanjournalist Sandro Magister, der anonyme Verfasser jenes Memorandums gewesen sein, das im März 2022 eine vernichtende Bilanz der Kirchenführung durch Franziskus zog, sondern am Tag nach seinem Tod veröffentlichte die Zeitschrift The Spectator einen Text Pells, in dem er den von Franziskus angestoßenen weltweiten synodalen Prozess aufs Schärfste kritisiert.

Pell gehörte zu jener Schicht mächtiger konservativer Kirchenmänner, welche die synodalen Reformanliegen von Papst Franziskus als gefährlichen Angriff auf die Integrität der göttlich gestifteten Ordnung der katholischen Kirche sieht. In seinem anonymen Schreiben aus dem Jahr 2022 gab sich Pell den Decknamen „Demos“ (griechisch: Volk) und sah sich wohl als Sprachrohr der katholischen Gläubigen, als Verteidiger der überlieferten Tradition, als Hüter der kirchlichen Identität.

Davon abgesehen, dass eben­jene Sprachform, nämlich die postulierte Repräsentation einer scheinbaren Mehrheit kollektiven Stimmungsbildes, auch von populistischen Vertretern in der weltlichen Politik verwendet wird, so offenbaren die innerkirchlichen Scharmützel neben den persönlichen Eitelkeiten, theologischen Angstzuständen und kirchenpolitischen Verbarrikadierungsfantasien ihrer Akteure ein handfestes systemisches Problem.

Die Schlammschlachten, die sich in den letzten Wochen abspielten, geben bereits ein verheerendes Bild ab. Was aber noch viel zerstörerischer scheint, ist, dass sie das gegenwärtige Kern­pro­blem kirchlicher Verfasstheit in seiner systemischen Unauflösbarkeit deutlich machen: Die eigentlich streng gehütete heilige Ordnung (griech.: hierós-heilig/arché-Regierung, Herrschaftsbereich) des Katholizismus ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend durchlässig geworden.

Ist im hierarchischen System der Kirche (zumindest theoretisch) ­allen ihr jeweiliger Platz mit dem zugehörigen Stimmgewicht zugeordnet und definiert, wessen Interpretation und Direktive schwerer wiegen als jene des Gegenübers, so haben sich die Vorzeichen dieser Kräfteverhältnisse geändert. Das Prinzip „Roma locuta causa finita – Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt“ hat Risse bekommen. Dies zeigt sich nicht nur in Fragen moderner Lebensführung, offener Reformdebatten, sondern eben auch in der fragiler werdenden Integrität der sonst so geschlossenen kirchlichen Ordnung.

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