Katholische Kirche zwischen Luther und Lefebvre

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Schon als Professor in Regensburg befasste sich der spätere Benedikt XVI. mit der Causa Lefebvre. Norbert Leser erinnert sich an ein Gespräch mit Ratzinger - und mahnt Kirchenreformen ein.

Im Zusammenhang mit den jüngsten Turbulenzen in der römisch-katholischen Kirche, die auch außerhalb derselben virulent sind, entsinne ich mich eines bemerkens- und berichtenswerten Gespräches, das ich in den frühen 70er Jahren, als Josef Ratzinger noch vor seiner großen kirchlichen Karriere stand und "nur" Professor in Regensburg war, führen durfte. Ich war damals Politologe an der Universität Salzburg und wir beide machten eine Kur in Bad Hofgastein, wo uns der dortige Pfarrer miteinander bekannt machte und uns zu einer Jause in den Pfarrhof einlud. In unserem Gespräch, das dann auch noch eine schriftliche Fortsetzung fand, und das auch in Anwesenheit seines Bruders stattfand, ging es, ohne dass die Zukunft natürlich vorhersehbar gewesen wäre, um die päpstliche Macht und um die, die dieser Macht in der einen oder anderen Weise widerstanden. Höchst aktuell war damals noch das Schisma mit Erzbischof Lefebvre und seinen Anhängern, sodass sein Name in diesem Gespräch eine große Rolle spielte. Professor Ratzinger gab mir recht, dass die Opposition Lefebvres insofern ein Novum in der Kirchengeschichte ist, als der Widerstand gegen die päpstliche Gewalt historisch in der Regel von mehr oder weniger radikalen Reformern kam und nicht von Traditionalisten. Natürlich tauchte dann der Name Martin Luther auf, der die wohl folgenschwerste Abkehr von der päpstlichen Zentralgewalt durchführte und damit nicht bloß Kirchengeschichte schrieb und bewegte.

Während die Auseinandersetzung mit den Traditionalisten, die durch die Aufhebung der Exkommunikation der abtrünnigen Bischöfe reaktualisiert wurde, nur ein Randphänomen der katholischen Kirche berührt, berührt die nachwirkende Konfrontation mit Luther und dem Protestantismus den Nerv der kirchlichen Autorität. Luther hat die päpstliche Autorität in Wort und Schrift in Frage gestellt, ja er hat in einem Pamphlet mit dem Titel "Wider das Papsttum, vom Teufel gestiftet", eine Schärfe an den Tag gelegt, die im Zeichen der Ökumene von keinem protestantischen Theologen mehr zitiert, sondern schamvoll verschwiegen wird. Die Protestanten von heute sind durchaus bereit, den Ehrenvorrang des Inhabers des Petrusamtes anzuerkennen, freilich nicht die seit 1870 postulierte Unfehlbarkeit. Jedenfalls ist die Auseinandersetzung mit Luther und den im Laufe der Reformation gegründeten Kirchen gegenüber jener der Abgrenzung von den Traditionalisten weitaus folgenreicher und prinzipieller gewesen und geblieben.

Die katholische Kirche aber sollte Luther und das, was er bewirkte, nicht bloß als Schreckgespenst sehen, sondern als historische Warnung für die Gegenwart ernst nehmen und Konsequenzen in Richtung Reform ziehen. Denn es war keineswegs Luthers ursprüngliche Absicht gewesen, eine eigene Kirche zu gründen. Luther zielte vielmehr auf eine Reform der bestehenden ab. Wäre die Kirche weitblickender und Luther etwas demütiger gewesen, hätte sich die Kirche den Abfall der Protestanten in Gestalt der Reformation erspart und Luther hätte einer der größten katholischen Heiligen werden können, denn es besteht kein Zweifel, dass Luther ein religiöses Genie war und er einen insgesamt unverzichtbaren Beitrag in der Geschichte des Christentums geleistet hat. Es könnte der katholischen Kirche, wenn sie aus diesem historischen Fehler nichts lernt, eine Wiederholung in Form einer neuen Spaltung, die die bisherigen Absatzbewegungen quantitativ übertrifft und dann auch in eine neue Qualität umschlägt, blühen. Zumal heute keine so gravierenden Korrekturen notwendig sind wie zur Zeit des Ablasshandels, der ein Missbrauch der kirchlichen Autorität ohnegleichen war und sich dann auch bitter gerächt hat.

Nachteile des Zölibats sind offenkundig

Doch auch heute gibt es Reformen, die die Kirche angehen muss, wenn sie sich nicht in Richtung einer Sekte wie "der Heiligen der letzten Tage" bewegen will. Eines der dringendsten Probleme, wenn nicht das Zentralproblem überhaupt, das den Bestand der Kirche als Volkskirche und nicht bloß als "kleine Herde" betrifft, ist die Lockerung des Zölibats. Dieser steht kein Dogma, sondern nur jahrhundertelange Praxis und Disziplin entgegensteht, deren Nachteile offenkundig sind und die in keinem Verhältnis zu möglichen Vorteile stehen.

Die Praxis, an der Rom bis jetzt eisern festhält, ist eine doppelte Rücksichtslosigkeit: eine gegenüber den Gläubigen, die einen Anspruch auf sakramentale Versorgung haben, und eine gegenüber den physisch und psychisch vielfach überforderten Zölibatären. Es ist nicht glaubwürdig, wenn die Kirche immer wieder über den Priestermangel klagt und nicht eingesteht, dass sie es in der Hand hätte, den beklagten Zustand abzustellen, wenn sie, wenn auch nur vorsichtig und schrittweise, Reformen mit Hilfe und der Zuhilfenahme der schon geweihten Diakone und viri probati in Angriff nimmt. Freilich wäre es naiv zu meinen, dass damit alle Probleme der Kirche gelöst wären, aber ein Hauptproblem, das nicht nur in Österreich zunehmend zu einem Stein des Anstoßes wird, wäre damit aus der Welt geschafft. Die pastoralen Pflichten sollten der Kirche über die Wertschätzung der päpstlichen Autorität gehen, die sonst Gefahr läuft, nicht nur von protestantischen Theologen, wie dem Reformierten Ulrich Körtner, der "Papolatrie" geziehen zu werden.

Der Einzelfall in der Diözese Linz scheint zur Erleichterung aller Beteiligten beigelegt zu sein, aber es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich solche Ereignisse ohne Strukturreformen nicht wiederholen können. Eine solche Reform müsste auch die Stärkung der konziliaren und synodalen Traditionen der Kirche einschließen, um so den vom II. Vatikanum und nicht bloß von den Protestanten bejahten "Priestertum aller Gläubigen" Rechnung zu tragen. Nur dann kann der vatikanische Betriebsunfall in Linz zum Ausgangspunkt einer wirklich erneuerten Kirche werden. Ein Umstand jedenfalls sollte dem Papst und der vatikanischen Bürokratie zu denken geben, ja sollte alle Alarmglocken bei ihnen schrillen lassen: Der Umstand nämlich, dass es sich bei den Vorgängen in der Diözese Linz insofern um einen Qualitätssprung handelt, als es dort nicht nur aufmüpfige Laien, sondern auch gestandene Kleriker waren, die Rom die absolute Loyalität, die offenbar von ihnen erwartet wurde, deutlich remonstrierten und demonstrierten.

* Der Autor ist emeritierter Politikwissenschafter

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