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Katholische Mitte: Konstruktion oder Urständ

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ZWISCHEN GHETTO UND KATAKOMBE. Von christlicher Freiheit heute. Von Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 357 Seiten. Preis 94 S

Alles wäre einfach (und man macht es sich zuweilen auch solcherart einfach), wenn das politische Schema von „rechts“ und „links“ auch auf die Kirche, zumindest auf ihre weltliche Repräsentanz, zu übertragen wäre. Man könnte dann nämlich, friedfertig der Aristotelischen Tugendlehre folgend, eine ideale „Mitte“ ausrechnen und sich dort, erhaben über den Extremen stehend, nach beiden Seiten hin aber gönnerhaft nickend, bequem und dauernd ansiedeln. So manches katholische Blatt, so mancher katholische Verlag denkt sich ja sehnsüchtig in einen solchen stillen Raum im Zentrum des Taifuns, im toten Winkel der Geschütze hinein. Kuehnelt-Leddihn, der Kritiker und Essayist, glaubt nicht an diese Konstruktion. Zwei ihn charakterisierende Eigenschaften bewahren ihn heilsam vor solcher Illusion: einmal eine kosmopolitische, journalistisch wache, fast überwache Weit-gereisfheit in des Wortes weitestem Sinn verstanden, zum andern aber sein bohrender, das Paradox des Zuendegedachten unaufhörlich produzierender Einzel-gängerverstand. Und so stellt er die Frage auf den Kopf (dem Rezensenten, der ihm in diesem Punkt vollkommen beipflichtet, will allerdings scheinen: auf die Füße). Er bezeichnet die „katholische Mitte“ nicht als ein erst in der Zukunft zu erarbeitendes Ziel, sondern als den Urständ christlicher Existenz, von dem „rechts“ und „links“ nur Abweichungen bedeuten, die zu Fehlhaltungen des einzelnen wie der Gemeinschaft führen müssen. Aus dem „Rechten“ wird der aggressive Ghettobewohner, aus dem „Linken“ der Assimi-lant, dem das Katakombendasein in der fast inbrünstig herbeigesehnten nachkonstantinischen Gesellschaft ehrenwerter Atheisten als Erfüllung Christlicher Geschichte erscheint. Die ersten beiden Abschnitte im III. Teil seines essayistichen Buches, deren polemische Brillanz (zuweilen fast in die Nähe Bloys und Kierkegaards gerückt) nur noch durch die Kapitel über das katholische Verlagswesen mit seinen wahrhaft saftigen Formulierungen übertroffen wird, sparen nicht mit einer Fülle höchst drastischer und köstlicher Beispiele solcher Abartung. Der Autor scheut sich auch nicht, diese hochgemute und mannhafte Mitte beim Namen zu nennen. Er bezeichnet sie als die Welt des „katholischen Liberalen“.

Und mit dankenswerter Trennschärfe grenzt er diesen Begriff von ähnlich lautenden, aber durchaus verfehlten Konstruktionen, wie etwa der eines „katholischen Liberalismus“, gar der eines „liberalen Katholizismus“, ab, wie ejr>ja überhaupt — und hier wieder ganz zu Recht — das scheußliche Wort „Katholizismus“, als instinktlose Fehlprägung zurückweist. In einem abschließenden Kapitelgang müht er sich dann um die nähere politische Definition dieses Zentralbegriffs. Sie gelingt ihm nur teilweise, wie überhaupt die systematischen, ins rein Theologische vorstoßenden Teile dieses nicht ohne sichtbare Nahtstellen zusammengehaltenen Buches ungleich schwächer geraten sind als die rein analytischen, karikaturistisch charakterisierenden Abschnitte. (So erscheint uns etwa das einleitende Kapitel „Liebe, Geschlecht, Ehe und Tod“ ganz einfach als verfehlt. (Hier werden Phänomene der verschiedensten Bereiche und Perspektiven der verschiedensten Wissenschaften von Kinsey bis Hieronymus, von der Moraltheologie Noldins bis C. G. Jung auf wenigen Seiten nebeneinander gebracht, ohne daß die Position des Autors so deutlich sichtbar würde, wie dies ja für eine Grundlegung unerläßlich ist.) Auch das historische Kapitel über den Jansenismus gewinnt und leidet zugleich unter dem fesselnden und farbigen Stil des Autors. Sehr komplexe Zusammenhänge erscheinen filmisch „geräfft“, meisterhaft „ausgeleuchtet“, unerhört geistvoll kombiniert ... trotz oder wegen dieser Schreibweise aber keinesfalls objektiv dargestellt, geschweige denn ausgewogen beurteilt. Bei allei persönlichen Abneigung gegen den Calvinismus kann man dieses religiöse Phänomen nach den neuesten Arbeiten von Rössler (..Weltgeschichte in Einzeldarstellungen“) und van der Pool („Das reformatorische Christentum“) nicht mehr so polemisch vereinfachend abtun, wie dies hier geschieht. Der Autor, der in einer sehr beherzigenswerten Bemerkung auf die bestürzende En?e der Ausdrucksmöglichkeit hinweist, die heute eine Beschränkung auf den nur deutschen Sprachraum bedeutet, brilliert mit einer geradezu verblüffenden polyglotten Belesenheit. Zitate und Vokabel erscheinen aus dem Bulgarischen, Japanischen und Portugiesischen (manchmal sogar unübersetzt). Man muß es also glauben. Ganz bescheiden möchte der für diese Idiome nicht kompetente Rezensent allerdings — beckmesserisch — auf einen Irrtum im Tschechischen hinweisen. Die auf S. 148 erwähnte Völkspartei in der' Tschechoslowakei hieß nicht ^'.T-'udova strana“ (das der Nnme der nach 1945 nicht mehr erstandenen ' slowakischen Partei HfUfkas),“ sondern „Lidovä strana“.

Aber trotz allem: Es ist gut, daß dieses in der Polemik erfrischende, im reinigenden Gewitter über so manchem innerkatholischen Muff zu begrüßende Buch geschrieben wurde:

„Es gibt niemanden (im deutschen christlichen Schrifttum), der schreit, weint, tobt und beschwört. Das würde schon der akademische Ton nicht vertragen. Dafür wird um so mehr gepredigt, doziert, gerügt und gejammert.“

Mit diesen Worten beklagt der Autor (S. 244) einen unleugbaren Übelstand. Er besorgt dies alles in reichem Ausmaß. Und dafür sei ihm gedankt: denn der Htimorlojigkeit. von der er (S. 29) — allerdings ohne ausführliche Ableitun? — benanntet. Sankt Thomas habe sie als „insensibilitas“ für eine größere Sünde als die Unkeuschheit angesehen, wollen wir uns auf keinen Fall schuldig machen.

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