RÜCKKEHR DER PIUSBRÜDER?
Das II. Vatikanum wurde notwendig, weil die katholische Kirche zwei Schocks nicht wirklich verarbeitet hatte: ihre Entmachtung durch die bürgerliche Gesellschaft und die Entdeckung der Geschichtlichkeit auch religiöser Institutionen und Positionen. In ersterer sah man eine unzulässige Freiheit für den Irrtum, in letzterer die Gefährdung des kirchlichen Wahrheitsanspruchs.
Das II. Vatikanum hat die Bindung an die staatliche Macht wie die Kopplung an eine philosophische Position aufgebrochen, die Geschichtlichkeit mit Relativismus und mangelnder religiöser Authentizität identifizierte. Das führte einerseits zur Anerkennung von Religionsfreiheit, Menschenrechten und Ökumenismus als Konsequenzen des Evangeliums selbst, andererseits zur Pastoralkonstitution Gaudium et spes und ihrem grundlegenden Gedanken, dass das konkrete solidarische Handeln der Kirche in der Welt von heute der Ort ist, an der sich die Präsenz des Evangeliums zeigen und bewähren muss - und auch kann.
Das Konzil knüpft darin ans heilsgeschichtliche Denken der Bibel und der Kirchenväter an, bricht also nicht mit der Tradition, sondern entdeckt sie neu und beendet damit typisch neuzeitliche Verengungsgeschichten der katholischen Kirche, in denen die Piusbrüder bis heute so dramatisch verstrickt sind. Sollte die Versöhnung mit ihnen bedeuten, dass sie nach und nach die Weite der katholischen Tradition wiederentdecken: gut. Sollte ihre Rückkehr aber bedeuten, dass die katholische Kirche ihren Einsatz für Menschenrechte, Religionsfreiheit, ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit und ihren Kampf gegen jeden Antisemitismus auch nur ansatzweise infrage stellt (und das beginnt schon, wenn man die entsprechenden Konzilstexte in ihrer Verbindlichkeit abwertet) dann droht unermesslicher Schaden.
Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Uni Graz
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