Kein Erlöser – Zum Tod eines Umstrittenen

Werbung
Werbung
Werbung

Niemand wird durch den Tod ein guter Mensch. Nicht der Tod richtet über unser Leben, sondern Gott. Im Tod begegnen wir Gott, und in dieser Begegnung begegnen wir unserem Leben, so wie es war, groß und armselig, tapfer und erbärmlich, voller Lebenslust und manchmal auch verzweifelt. Nur durch die Begegnung mit Gott wird unser Leben gut und das geht nicht, so glauben Christen, ohne erneuten und letzten Blick auf das, was nicht gut an ihm war.

Daraus folgt: Es ist gut und recht, über Tote vor allem und zuerst gut zu reden. Zuletzt, weil jeder von uns zugeben muss, wie arm sein Leben dasteht vor dem, was Gott mit ihm eigentlich vorgehabt hat, wie sehr wir also alle der Gnade bedürfen, wollen wir auch nur in der Erinnerung der Menschen bestehen. Die Einsicht in die eigene Gnadenbedürftigkeit macht gnädig mit den Toten.

Man muss auch die Person von ihren Taten unterscheiden. Beide hängen zusammen, sind aber nie identisch: Jeder Mensch bleibt ein Geheimnis, das nur Gott kennt. Auf diese Unterscheidung hat jeder Mensch ein Recht. Aber es gilt eben auch: Jeder muss sich verantworten für sein Leben.

Das Bild war meist er selbst

Jörg Haider war ein Umstrittener und das zu Recht. Der Kern seines Erfolgs lag in Ressentiment und Inszenierung. Ressentiment ist Selbstzustimmung durch Abwertung anderer. Wen man da dann abwertet, ist eigentlich gleichgültig und wird nach Gelegenheit entschieden: die Immigranten, die „Mächtigen da oben“, die Intellektuellen, die modernen Künstler.

Haider formulierte die Gefühle jener, denen die Komplexität und Pluralität einer entwickelten Gesellschaft nicht die Spiel- und Bewegungsräume eines interessanten und reichen, mehr oder weniger selbstbestimmten Lebens eröffnen, sondern für die sie Verlust an Geborgenheit und soziale Abwertungsprozesse bedeuten. Jene, die sich als Modernitätsverlierer fühlen, sind zahlreicher, als sich das mit seinem Erfolg beschäftigte Bürgertum denkt. Das hat Haider erwiesen.

Haiders Erfolg beruhte zudem darauf, dass er diesen Diskurs des Ressentiments nach den Gesetzen einer Mediengesellschaft inszenierte: als Kombination von Bild und Wort, von Bild und Bildunterschrift. Das Bild war dabei meist er selbst, sein Körper, seine sportive Dynamik, seine Passagefähigkeit hinein in die unterschiedlichsten Rollen. Jene Generation, die mit den Stones, Pink Floyd und The Who erwachsen geworden ist, musste damals zudem erstmals zur Kenntnis nehmen, dass Popkultur nicht nur emanzipatorisch wirken kann. Haider spielte viele Rollen der Popkultur und er spielte sie gut und er nutzte diese Rollen, um zu sagen, was viele denken, aber sich nicht zu sagen trauen. Seine mediale Inszenierung sagt: Ich gehöre nicht zur grauen Politikerkaste, sondern zu Euch, ich bin einer von Euch.

Freilich: Haider war kein Modernisierungsverlierer, er war, wie sie gerne sein wollten, und hat daher auch manche der flotten, traditionsarmen Modernisierungsgewinner angezogen. Jetzt, da er tot ist und endgültig zur Projektionsfläche von Sehnsüchten wird, greift dieser Mechanismus umso mehr.

Es sind Erlösungssehnsüchte, die sich da formulieren. Die Politik als Ort der Erlösung – das hat eine alte Tradition.

Gerade Menschen, die dem „Politikbetrieb“ ferne sind, stehen ihm mit einer gewissen „Alles oder Nichts“-Haltung gegenüber: Politik soll mich erlösen – oder in Ruhe lassen. Gerade dies beides aber kann Demokratie nicht.

Demokratie kann, will und darf diese Erlösungswünsche nicht erfüllen. Es würde ihr damit genau das aufgelastet, wovon sie selbst befreit hat und befreit ist: die religiöse Überhöhung des Politischen. Demokratie organisiert Entscheidungen bei bleibendem Dissens und anhaltender Revisionschance durch die unterlegene Minderheit, nicht mehr, nicht weniger. Die Institutionen der Demokratie sind Institutionen des veröffentlichten Konflikts unterhalb der Bürgerkriegsschwelle.

Demokratie darf nicht erlösen

Die metaphysische Stelle der Macht ist und bleibt leer in der Demokratie – deswegen tat sich ja auch die katholische Kirche so lange schwer mit ihr. Demokratie ist eine „freischwebende Herrschaftsform, die ihre eigenen Bedingungen immer wieder neu herstellen und verändern muss“. Demokratisches „Wir“ „entsteht nicht im Konsens …, sondern im expliziten Konflikt, der beide Seiten verbindet.“ (Christoph Möllers). Das ist meist wenig attraktiv und kann bisweilen sogar ausgesprochen nerven. Vor allem, wenn man von der Politik veritable Erlösung erwartet. Die Alltäglichkeit und Unattraktivität des konkreten Machtgebrauchs auszuhalten ist aber jene Form der Demut und des Gehorsams, die heute gegenüber dem Politischen notwendig ist.

Es ist gut und recht, über Tote vor allem und zuerst gut zu reden. Das betrifft jenen Jörg Haider, der, wie Christen glauben, jetzt vor Gott steht und dort dessen Gnade erfährt.

Dieser Jörg Haider ist viel mehr als jener Haider, der als Politiker selbst wahrlich kein Erlöser war, wahrscheinlich sogar ein Verführer, weil er mehr versprach, als demokratische Politik je leisten kann, und der dabei allzu oft abwertend auf andere zeigte. Haider war kein Erlöser. Aber er ist, so glauben Christen, in Gott erlöst.

Jeder bleibt verantwortlich für sein Leben, aber jeder Mensch bleibt auch ein Geheimnis, das nur Gott kennt – und das er annimmt, wie es war.

Der Autor ist Pastoraltheologe an der Universität Graz

„Im Tod begegnen wir Gott, und in dieser Be gegnung begegnen wir unserem Leben, so wie es war, groß und armselig, tapfer und erbärmlich.“

„Der Kern von Haiders Erfolg lag in Ressentiment und Inszenierung. Ressentiment ist Selbstzustimmung durch Abwertung anderer.“

„Es ist gut und recht, über Tote vor allem und zuerst gut zu reden“, meint der Grazer Theologe Rainer Bucher.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung