Kein Halt auf diesem Weg

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1997 hat die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Jad Waschem der Kalvinistin Jane Haining den Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" zuerkannt. Vor 60 Jahren starb die schottische Retterin von Budapester Juden in Auschwitz.

Wenige fühlen als Erwachsene, sie müssten den gelernten Beruf aufgeben und ihre Lebensumstände radikal ändern, und noch weniger tun es dann auch wirklich.

Eine solche Spätberufene war die 1897 im kleinen Dorf Dunscore geborene schottische Farmerstochter Jane Haining. Schon als Kind zeichnete sie sich als gute Schülerin aus, mit 12 Jahren kam sie in die Mittelschule mit angeschlossenem Mädcheninternat in die Kleinstadt Dumfries, wo sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Die scheue 18-jährige Jane absolvierte in Glasgow eine einjährige Handelsschule und begann in einem großen Textilunternehmen als Angestellte. Binnen kurzer Zeit wurde sie zur Privatsekretärin des Generaldirektors ernannt. Sie wohnte nicht weit von der Queen's Park Church und leitete als gläubiges Mitglied der Church of Scotland die Sonntagsschule.

Missionarin bei den Juden

1560 hatten die schottischen Reformatoren ihre Verbindungen zum Papst abgebrochen. Bereits damals verkündete die Church of Scotland die Mission "an alle Nationen", doch erst in den 1790er Jahren wurden die ersten Missionsvereine in Glasgow und Edinburgh gegründet. Die schottischen Missionare legten und legen den größten Wert auf Bildung und schufen weltweit ein Netz guter Schulen.

Jane Haining hörte 1927 einen Vortrag über die schottische Mission für Juden in Mitteleuropa, der sie sehr beeindruckte und Anfang der dreißiger Jahre beschloss sie, ihr Leben zu ändern und Missionarin zu werden. Nach dem Besuch einer einjährigen Haushaltsschule wurde Jane 1932 von der Mission als Leiterin ihres Mädcheninternats in Budapest angestellt. Damals beherrschte sie nur Deutsch, doch innerhalb eines Jahres konnte sie sich gut auf Ungarisch verständigen und nach drei Jahren sprach sie diese schwierige Sprache fließend. Jane eroberte die Herzen ihrer Mitarbeiter und der Mädchen und sie fühlte sich bald in dieser schönen Stadt zu Hause.

Jane Haining kannte zuvor wenig Juden, aber für sie war es selbstverständlich, keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden zu machen.

1938 nach dem "Anschluss" nahm sie vier jüdische Flüchtlingsmädchen aus Österreich auf. Im gleichen Jahr verbündete sich Ungarn mit Deutschland. Die antisemitische Agitation nahm zu und es kam zu einer Reihe antijüdischer Ausschreitungen. Jane kommentierte den ansteigenden Hass gegen Juden: "Was für ein furchtbares Gefühl muss es sein zu wissen, dass dich niemand mag, und zu fühlen, dass dein Nachbar dir wörtlich dein tägliches Brot neidet."

1938 und 1939 beschloss das ungarische Parlament zwei Juden diskriminierende Gesetze. Die sozialdemokratische Abgeordnete Anna Kéthly wandte sich vehement dagegen. Sie sagte: Die Linderung der internen Schwierigkeiten kann nicht durch ein "Judengesetz" erfolgen, sondern nur durch ein ehrliches Wahlgesetz, durch ausreichende Sozialpolitik und durch eine gründliche Bodenreform und mahnte: "Diejenigen aber, die hier und heute mit deutschen Gesetzen argumentieren, und diesen prophylaktisch glauben entgegentreten zu können, indem sie den Übertreibern des Antisemitismus' den Wind aus den Segeln nehmen, die warne ich, dass es auf diesem Weg wirklich keinen Halt gibt." Dabei berief sie sich auf das christliche Gebot der Barmherzigkeit: "Die Unbarmherzigkeit ist wirklich der Lieblingsspruch der halben und ganzen Faschisten, die Barmherzigkeit als Sentimentalität brandmarken, doch diesen Spruch haben sie vom Bolschewismus übernommen, welcher die Barmherzigkeit als Sentimentalität verdammt." Das Parlament hörte nicht auf Anna Kéthly und einige andere Abgeordnete; die Gesetze gegen die Juden wurden auch mit den Stimmen der Kirchenfürsten im Oberhaus beschlossen.

Den Sommer 1939 verbrachte Jane Haining in Großbritannien und fuhr erst nach Kriegsausbruch zurück nach Ungarn. Die Wehrmacht eroberte in kürzester Zeit große Teile Europas, und die britische Armee musste aus Dünkirchen evakuiert werden. Da die Kriegsgefahr auch in Ungarn wuchs, wurde Jane gebeten, über Istanbul und Palästina nachhause zurückzukehren. Doch sie schrieb: "Wenn diese Kinder mich in sonnigen Tagen brauchten, um wie viel mehr brauchen sie mich in dunklen Tagen." So sorgte sie für ihre Schützlinge um ausreichende Verpflegung und bewältigte auch alle anderen Probleme, die sich durch die sich ständig verschlechternden Lebensumstände ergaben.

Gestapohaft in Budapest

Am 19. März 1944 wurde Ungarn von deutschen Truppen besetzt. Jane Haining wurde Anfang April von der Gestapo verhaftet und verhört, dann in ein Budapester Gefängnis gebracht. Eine britische Staatsbürgerin, die ihre Zelle teilte, berichtete nach dem Krieg über die Anklagepunkte gegen Miss Haining, die unter anderem beschuldigt wurde, "unter Juden gearbeitet und geweint zu haben, als sie die Mädchen mit gelben Sternen sah, dass sie ein Radio sowie viele britische Besucher hatte, britische Kriegsgefangene besuchte und ihnen Pakete sandte und zuletzt, dass sie aktiv politisierte". Jane leugnete nur, "politisiert" zu haben. Ende April wurde sie vom Gefängnis in das Internierungslager Kistarcsa gebracht, von wo sie am 12. Mai 1944 in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert wurde. Dort wurde ihr die Nummer 79467 eintätowiert. Als "Schutzhäftling" durfte sie einen Brief in deutscher Sprache nach Budapest senden, in dem sie, ihr Schicksal ahnend, am 15. Juli schrieb: "Es gibt nicht viel zu berichten. Sogar auf dem Weg zum Himmel gibt es Berge, aber sie sind entfernter als unsere." Der Brief wurde am 21. Juli abgestempelt, doch laut einem Dokument der deutschen Botschaft in Budapest starb sie am 17. Juli an Auszehrung.

Ungarn heute: kein Erinnern

Wenn man im ungarischen Google nach Jane Haining sucht, findet man lediglich eine kurze Erwähnung, und die auch nur, weil die Church of Scotland einen "Jane Haining Preis" gestiftet hat, deren drei Gewinner Schottland im Sommer besuchen können. Allerdings wurde in Budapest in der Vörösmarty-Schule, wo sich die schottische Mission befand, 1984 eine Gedenktafel der jüdischen Gemeinde Budapest enthüllt, die Jane Haining als Märtyrerin würdigt.

Der Umgang der ungarischen Gesellschaft mit dem Andenken an die Schoa und der eigenen Verantwortung zeichnet sich durch allgemeine Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit aus. Die Tatsache, dass der ungarische Staatsapparat aktiv und oft in vorauseilendem Gehorsam an der Deportation von mehr als einer halben Million jüdischer Ungarn beteiligt war, wollen viele Ungarn bis heute nicht zur Kenntnis nehmen.

In Schottland hingegen wird an einigen Orten das Andenken an diese christliche Märtyrerin, die einzige schottische Gerechte unter den Völkern, gepflegt, zum Beispiel in ihrer Kirche in Glasgow und in der kleinen Kirche ihres Geburtsortes Dunscore.

Der Autor ist freier Journalist und Korrespondent des israelischen Radios in Wien.

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