Vatikan - © Foto: Pixabay

Kein "Holy Ghost Writer"

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Mythos und Wirklichkeit: Karl Rahner als Konzilstheologe auf dem II.Vaticanum.

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Mythos und Wirklichkeit: Karl Rahner als Konzilstheologe auf dem II.Vaticanum.

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Im Feldkircher Lins-Verlag erschien 1988 die "Konzilsgeschichte" des amerikanischen Konzilsbeobachters Ralph Maria Wiltgen. Unter dem Titel "Der Rhein fließt in den Tiber" wurde ein Mythos von der größten Verschwörung der neuzeitlichen Kirchengeschichte erzählt. Strategisch gut organisierten Konzilsteilnehmern aus den Anrainerländer des Rheines sei es gelungen, in konzilsmanipulierenden Alleingängen der katholischen Kirche einen falschen Anpassungsprozess an die moderne Welt aufzuhalsen.

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Wiltgen trieb seine Argumentation so weit, dass er letztlich einem einzelnen Theologen zutraute, das ganze Zweite Vatikanische Konzil beeinflusst zu haben. Denn einem einzigen sind in seinen Augen die Bischöfe aus Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Belgien hörig gewesen: dem Jesuitenpater Karl Rahner.

Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien gerade mit Jesuiten erfreuen sich seit jeher größter Beliebtheit; die Societas Jesu löste den dafür im Mittelalter bevorzugten Templerorden ab. Wer sich jedoch einmal auch nur einen flüchtigen Eindruck von der realen Komplexität konziliarer Entscheidungsfindungsprozesse verschafft hat, für den kann Wiltgens These nur als irrational gelten. Trotzdem hält sie sich in der populären Konzilsliteratur mit erstaunlicher Hartnäckigkeit.

Für die Interpretation des II. Vatikanums hat sie verheerende Konsequenzen: Denn gelingt es erst einmal, eine konziliare Errungenschaft auf das starke Agieren einzelner Teile im Konzil, gar nur auf einzelne Theologen, zurückzuführen, dann ist der Weg zur Feststellung der Beschränktheit der Konzilsaussage selbst nicht mehr weit. In einem zweiten Schritt soll schließlich der "römische Tiber" von allen "liberalen Einflüssen" aus dem Norden wieder rein gewaschen werden.

Karl Rahner selbst ist nie müde geworden, solche historisch völlig naiven Vorstellungen von einem Konzil zu desillusionieren. Wenn Rahner in Interviews während und nach dem Konzil auf seinen Einfluss angesprochen wurde, reagierte er geradezu stereotyp mit Abwehr. Teilte der Interviewer Prädikate wie "Schlüsselfigur", "heimlicher Architekt" oder "Holy Ghost Writer" des gesamten Konzils zu, konnte er sich dessen gewiss sein, dass Rahner mit aller Vehemenz Einhalt gebieten wird:

"Ach, das sind so Sprüche, die keinen Sinn haben. Gut, ich war beim Zweiten Vatikanischen Konzil dabei. Ich hatte auch Kontakte mit deutschen Bischöfen, mit österreichischen Bischöfen. Ich war einmal bei den brasilianischen Bischöfen zum Vortrag eingeladen, oder mehrmals. Ich war einmal bei den polnischen Bischöfen. Ich war Mitglied der Theologischen Kommission, die sowohl das Dekret über die Kirche wie auch über die göttliche Offenbarung gemacht hat. Ich war bei der Kommission dabei, die diese Erklärung über das Verhältnis der Kirche zur heutigen Welt erstellt hat. Aber auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil waren von der Natur der Sache her so viele Köche dabei, so viele Mitarbeiter, so viele Theologen und Bischöfe, wenn es da hunderte und aberhunderte Verbesserungsvorschläge bei jedem Dekret von zweitausend Bischöfen gegeben hat, und wenn Sie bedenken, dass ich zum Beispiel in der Theologischen Kommission wahrhaftig auch bei den Theologen, im Unterschied zu den Bischöfen, absolut nicht der Chef war, dann muss man nicht so tun, als ob ich eine Schlüsselposition im Zweiten Vatikanischen Konzil gehabt habe."

Neuerdings werden nun solche Selbstrelativierungen Rahners wiederum in ein anderes Extrem verzerrt: In einem Artikel, der im September 2003 in der konservativ-katholischen Tagespost erschien, behauptet eine junge neokonservative Theologin, einem Rahner wäre auf dem Konzil überhaupt keine Bedeutung zugekommen.

Kollektive Wahrheitsfindung

Dem historischen Befund werden beide - im Wesentlichen kirchenpolitisch motivierten - Perspektiven auf den Konzilsbeitrag Karl Rahners nicht annähernd gerecht. Wer die Konzilsnachlässe der deutschsprachigen Väter und Theologen des Konzils konsultiert, dem begegnet ein Karl Rahner, der bis "zur Erschöpfung für dieses Konzil tätig gewesen ist" (Herbert Vorgrimler; vgl. untenstehenden Beitrag). Sucht man in den Archiven nach direkten, auf dem Konzil selbst entstandenen Beiträgen, findet man allerdings keinen einzigen Text, den Rahner "alleine" verfasst hat.

Selbst ein schließlich von Rahner ausformuliertes Papier objektiviert stets das Gespräch einer ganzen Gruppe. Sind verschiedene Überarbeitungen eines Entwurfes erhalten geblieben, lässt sich an dessen allmählicher Reifung der kooperative Arbeitsstil besonders gut ablesen.

Mit seinen jesuitischen Mitbrüdern Otto Semmelroth und Alois Grillmeier und seinem Freund, dem kurz vor Konzilsbeginn zum Bischof von Mainz geweihten Hermann Volk, stand Karl Rahner über alle vier Sessiones hinweg in nahezu ununterbrochener "kollektiver Wahrheitsfindung". Neben der jesuitischen Sozialisation kommt hier ein bestimmtes Wahrheitsverständnis und ein bestimmter kirchlich-theologischer Habitus zum Tragen, mit dem das hohe Maß an Bereitschaft erklärbar ist, die eigenen Interessen zugunsten eines gemeinsam errungenen Konsenses hintanzustellen. Wie andere Theologen auch hat Karl Rahner seine Arbeit fürs Konzil immer unpersönlich verstanden: "Sie wurde im Dienste des Konzils geleistet und hat daher die Grenzen eines persönlichen Gedankens, einer persönlichen These gesprengt, um in die Formen einer Lehre der Kirche einzugehen" , wie der französische Konzilstheologe Yves Congar anmerkte.

Freilich kam Rahner bei aller Eingebundenheit in eine größere Gruppe eine spezifische Rolle zu. Rahner war oft der inspirierende Initiator eines gemeinsamen Projektes; er war in einzelnen Themen, die ihm wichtig erschienen, engagiert, dort aber dann außerordentlich stark und federführend. In der Erinnerung von Kardinal König galt Rahners "besonderes Interesse der Mitarbeit an den verschiedenen Textvorlagen von Lumen gentium, der großen Kirchenkonstitution." (vgl. das Interview auf Seite 21).

Neben seinem Einsatz für die grundsätzliche Ausrichtung des Kirchendokuments lässt sich anhand der Unterlagen seines Konzilsnachlasses ein Schwerpunkt insbesondere im Engagement für die Lehre von der Bischofskollegialität und - damit verbunden - für eine Theologie der Ortskirche festmachen.

Wasserträger des Konzils

Geradezu selbstausbeuterisch hat sich dieser "Wasserträger des Konzils" für das Gelingen des II. Vatikanums eingesetzt. Für noch so minimale Textänderung arbeitete er ganze Nächte durch. Rahner verbrannte sein Feuer für die kleinste "Sichtbarkeit" dieses Konzil. Und doch ist ihm immer klar gewesen, dass dieser immense Aufwand an den "Mitteln" seine Berechtigung erst dann erhält, wenn er sich einmal nach dem Konzil als Dienst am "Unmittelbaren" erweist.

Was Rahner mit seiner sakramentalen Ekklesiologie für die Kirche insgesamt aussagen wollte, das gilt auch für ein einzelnes kirchliches Institut wie ein Konzil: Auch ein Konzil ist für ihn ein Moment an der "Kirche als Sakrament", deren sichtbare Konkretheit nur dann ihren wahren Sinn erfüllt, wenn sie transparent ist für das unsichtbare Geheimnis Gottes. Auch ein Konzil sucht letztlich "das Herz, das glaubend, hoffend und liebend sich losläßt und sich dem Geheimnis Gottes übergibt." Der 100-jährige Karl Rahner hätte uns Heutigen wohl kaum erlaubt, die Wirkungsgeschichte dieses Konzils (auf der Ebene der Herzen) als abgeschlossen zu betrachten.

Der Autor ist Theologe und Studienleiter an der Akademie des Bistums Mainz "Erbacher Hof".

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