"Kein Kampf der Kulturen"

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Ousman Kane ist Islamismus-Forscher an der Universität Harvard. Ein Interview über die Taktik radikaler muslimischer Gruppierungen und wie man am besten damit umgehen sollte.

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Ousman Kane ist Islamismus-Forscher an der Universität Harvard. Ein Interview über die Taktik radikaler muslimischer Gruppierungen und wie man am besten damit umgehen sollte.

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Der aus Dakar, Senegal, stammende Ousman Kane, 58, ist Professor für zeitgenössische Islamstudien und islamische Politik an der Harvard Divinity School in Boston, USA. Seine bevorzugten Forschungsgebiete sind die Geschichte der islamischen Organisationen, die intellektuelle Geschichte des Islam in Afrika und das Phänomen der muslimischen Globalisierung. Er war Anfang Oktober auf Einladung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) in Wien und Graz.

DIE FURCHE: Man kann in Westafrika die Ausbreitung von extrem konservativen Koranschulen und Moscheen beobachten. Was sind die Gründe für diese Ausbreitung fundamentalistischer Strömungen?

Ousman Kane: Da unterscheidet sich Westafrika nicht von anderen Teilen der muslimischen Welt. Westafrika hat eine Bevölkerung von 370 Millionen Menschen. Davon ist grob die eine Hälfte muslimisch und die andere christlich. Daneben gibt es noch traditionelle afrikanische Religionen. Bis vor kurzer Zeit waren die Muslime mit einem politischen Projekt eine kleine Minderheit. Der Islam spielte für ihr Leben eine wichtige Rolle, aber nicht als politisches Projekt. Die islamische Wiederbelebung hat in den 1970er Jahren begonnen. Das liegt wohl daran, dass die alten nationalistischen Eliten gescheitert waren. Sie regierten autoritär und konnten die Entwicklungsverheißungen nicht einlösen. Damit beginnt die islamische Erneuerung, die natürlich von Saudi-Arabien und reichen Golfstaaten gefördert wurde.

DIE FURCHE: Die Islamische Heilsfront (FIS) in Algerien und andere islamistische Gruppen gewannen über Sozialarbeit viel Zuspruch. Ist das auch in Westafrika so?

Kane: Die Armut ist natürlich ein Faktor. Die westafrikanischen Länder gehören zu den ärmsten der Welt, was Zugang zu Gesundheitsdiensten, Lebenserwartung oder Percapita-Einkommen betrifft. Es gibt viele Gruppen, die Sozialarbeit benutzen, um ihre Ideen zu verbreiten.

DIE FURCHE: Also breitet sich auch der evangelische Fundamentalismus aus?

Kane: Ja. In Nigeria dürfte die islamische Erneuerung eine Antwort auf die Ausbreitung von Pfingstkirchen an den Universitäten gewesen sein. Die sind sehr einflussreich geworden und bedrohen ältere kirchliche Gemeinschaften.

DIE FURCHE: Der Vormarsch des Islamismus in Nigeria begann ja im Jahr 1999, als Ahmed Sani Yerima zum Gouverneur des Bundesstaates Zamfara gewählt wurde. Hat er schon im Wahlkampf angekündigt, Körperstrafen einzuführen?

Kane: Soviel ich weiß, ja. Er sprach von der vollen Verankerung der Sharia. Da das muslimische Familienrecht ja längst anerkannt war und praktiziert wurde, ging es wohl um die Einführung des Strafrechts. Tatsächlich wurde ja dann die Abtrennung von Gliedmaßen als Strafe praktiziert.

DIE FURCHE: Westafrika war ja lange Zeit unter dem Einfuss sufistischer Strömungen, die einen friedlichen, toleranten Islam leben. Werden die auch attackiert?

Kane: Bevor Mohammed Yusuf Boko Haram als radikal fundamentalische Organisation gründete, gab es die Gruppe Ahl al Sunna oder Yan Izala, die jede Neuerung verbannen und die die alten Traditionen wieder einführen wollte. Für sie ist der Sufismus kein echter Islam weil da auch Menschen verehrt werden. Seit 1978 bekämpfte Yan Izala die Sufis und gewann dabei große Unterstützung. Aber sie strebte weder die Macht an, noch forderte sie die Staatsgewalt heraus. Es war ein gewaltloser Kampf. Yusuf und seine Anhänger verfolgten dann eine jihadistische Linie. Der Sufismus war im 20. Jahrhundert die vorherrschende Strömung in der Region, wurde aber mit dem Vormarsch des von Saudi Arabien geförderten Wahabismus in den 1970er Jahren zurückgedrängt.

DIE FURCHE: Zum Beispiel in Mali. Dort konnte die zu Al Kaida gehörige Gruppe Ansar Dine zwar die Macht ergreifen, aber die Herzen der Menschen hat sie nicht erreicht.

Kane: Fast ein Jahr regierte islamistischer Fundamentalismus im Norden Malis und übte dort ein Terrorregime aus. Sehr zum Unmut der Al Kaida im Maghreb (AQIM), die eine andere Agenda hat. Die Führung von AQIM, die in Algerien sitzt, hat diesen Gruppen nach ihrer Vertreibung aus dem Norden Malis ein Memorandum geschickt. Darin wird das Vorgehen verurteilt, weil die Islamisten nicht genug Macht gehabt hätten, um die volle Sharia durchzusetzen. Die neue Strategie setzt auf Mäßigung, bis eine neue Generation von Mitgliedern gewonnen ist, mit der man den islamischen Staat aufbauen kann.

DIE FURCHE: Die Studie "Tolerance and Tension" zeigt ein widersprüchliches Phänomen, dass zwar 70 Prozent der Muslime die westliche Kultur dekadent finden und verurteilen, gleichzeitig aber 65 Prozent sagen, sie mögen westliche Filme und Musik.

Kane: Ja, die westliche Kultur übt eine gewisse Faszination aus. Die Menschen mögen die Filme, den technischen Fortschritt und andere Aspekte westlicher Kultur. Gleichzeitig fühlen sie sich vom Islam angezogen. Dieses Spannungsverhältnis ist real. Was dabei herauskommt, ist noch nicht klar. Ich denke, die Mehrheit der Menschen ist nicht gegen Toleranz und Demokratie. Es kommt auf die Entwicklung im jeweiligen Land an, ob sich die toleranten und demokratischen Kräfte durchsetzen. Es gibt da keinen Kampf der Kulturen. Vielmehr sollte man auf dieser Faszination, die die Menschen für westliche Kultur verspüren, aufbauen.

DIE FURCHE: Was würden Sie Nigerias Präsidenten Goodluck Jonathan empfehlen, wenn er Sie als Berater heranzöge?

Kane: Zuerst müsste er versuchen, die Gewalt zu beenden. Es muss einen Dialog mit Boko Haram geben, wenn man die Spirale der Gewalt brechen will. Als nächstes müßten Übergriffe und außergerichtliche Hinrichtungen durch die Sicherheitskräfte untersucht und bestraft werden. Mohammed Yusuf, der Anführer von Boko Haram kam ja auch im Polizeigewahrsam zu Tode. Viele Unschuldige wurden ermordet. Gleichzeitig muss die Regierung dafür sorgen, dass in den Schulen und Moscheen keine radikalen Inhalte mehr gelehrt und gepredigt werden. Der Verbreitung von gewalttätigen Ideologien waren ja keine Schranken gesetzt.

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