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Kein ökumenischer „Einheitsbrei"

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Wie können die Reichtümer verschiedener Spiritualitäten gemeinsam geteilt werden? Mit dieser Frage setzten sich am Wochenende rund hundert Teilnehmer, darunter hochrangige Vertreter mehrerer christlicher Kirchen, bei der diesjährigen Ökumenischen Fachtagung im Wiener Bildungshaus Neuwaldegg auseinander.

Die Referenten waren sich einig, daß die Zeit einer Abgrenzung eigener Frömmigkeit gegenüber der in anderen Kirchen heute vorbei zu sein scheint. Unter wahrer Ökumene kann jedoch nicht verstanden werden, aus den Reichtümern der einzelnen Kirchen einen „Einheitsbrei" zu schaffen, sondern bei Wahrung der eigenen Identität gemeinsam Zeugnis für Christus abzulegen. Gerade das Teilhaben an der Spiritualität der jeweils anderen Kirche, kann zum besseren Verständnis der eigenen beitragen.

Weihbischof Helmut Krätzl unterstrich, daß die Auseinandersetzung mit anderen Traditionen der katholischen Kirche geholfen habe, spirituelle Irrtümer zu korrigieren. Als Beispiel nannte er die Kritik Martin Luthers an „ausufernden Formen" der eucharistischen und marianischen Frömmigkeit. Für Metropolit Michael Staikos drückt sich Spiritualität vor allem im Erlebnis und in der Erfahrung aus. Je tiefer ein Mensch den

Glauben erlebe, desto weniger könne er ihn in Worte fassen. Die wichtigsten Quellen geistlichen Lebens seien für die Orthodoxie die liturgischen und sakramentalen Handlungen, die Ikonographie, das Mönchtum und das Prinzip der Ökonomie.

Daß sich die liturgische Tradition der Ostkirchen bereichernd und impulsgebend auf die evangelischen Kirchen ausgewirkt habe, bestätigte der Wiener Superintendent Werner Horn. Die wechselseitige Inspiration unter den Christen zeige sich auch darin, daß Katholiken in ihren Gottesdiensten Lieder singen, die auf evangelischem Boden entstanden sind. Die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung in Graz 1997 unter dem Thema „Versöhnung" sei, so Horn, ein weiterer Schritt ökumenischer Spiritualität. Die Großveranstaltung müsse jedenfalls —- wolle sie gelingen - als spirituelles Ereignis verstanden und gestaltet werden.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurde mehrmals das Problem angesprochen, daß in unserer Gesellschaft zwar eine große Sehnsucht nach Spiritualität besteht, den Kirchen gelinge es jedoch nicht immer, dieses Bedürfnis zu stillen. Die geistlichen Schätze des Christentums können gerade jungen Menschen, die heute größtenteils ohne kirchliche Tradition aufwachsen, schwer vermittelt werden. Unabhängig davon, wurde der Wunsch geäußert, ob man nicht mehr Anstrengungen unternehmen sollte, um auch junge Theologen und Studierende für die Teilnahme an solchen ökumenischen Tagungen zu gewinnen.

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