Kein Platz für Geschäftemacherei

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Im Vergleich zur Entschädigung von Zwangsarbeitern ist die Entschädigung von enteignetem jüdischen Vermögen sehr viel komplexer.

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Im Vergleich zur Entschädigung von Zwangsarbeitern ist die Entschädigung von enteignetem jüdischen Vermögen sehr viel komplexer.

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Das Ende des Kalten Krieges und der mit der deutschen Wiedervereinigung deutliche Schlusspunkt unter den Zweiten Weltkrieg hat dazu geführt, dass die Frage der materiellen und moralischen Entschädigung verschiedener Opfergruppen des nationalsozialistischen Terrors noch einmal sehr vehement gestellt wird. Das hat verschiedene Gründe: Einerseits war für manche Entschädigungen bereits 1945 vorgesehen worden, dass ihre Regelung in einem Friedensvertrag erfolgen solle. Nunmehr, wo klar ist, dass ein solcher nie mehr kommen wird, drängt man auf eine abschließende materielle Regelung. Manche Rücksichten, die die US-Regierung im Kalten Krieg gegenüber ihren tatsächlichen und moralischen Verbündeten geübt hat, sind nun nicht mehr erforderlich. Und nicht zuletzt haben amerikanische Anwaltsgruppen das Instrument der Sammelklagen im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Gewaltpolitik entdeckt und dabei recht erfolgreich moralische Entrüstung mit Geschäftsinteressen vermischt.

Schulden anerkennen Österreich, wenngleich neutral, konnte sich als weit vorgeschobener Außenposten des Westens erheblicher Rücksichtnahme erfreuen, damit recht geschickt seine Rechtsmeinung vom ersten Opfer der Hitlerschen Aggression verteidigen und sich manche unangenehme Fragen und Forderungen ersparen. Schon in der Waldheimkrise ist diese Position brüchig geworden. In den späten neunziger Jahren ist sie weiter abgebröckelt und von verschiedenen Seiten immer mehr hinterfragt worden.

Auch wenn die österreichische Vergangenheitsbewältigung nicht so augenzwinkernd war, wie häufig behauptet wird - nicht weniger vergesslich als in anderen Ländern -, so hat Österreich offene Schulden. Erich Kästner hat seine Haltung zur Kollektivschuldthese auf die einfache Formel gebracht: "Die Schuld müss-te ich ablehnen. Die Schulden würde ich anerkennen." Die Schuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus hat Österreich als Staat zu Recht zurückgewiesen. Bei den Schulden war das Land, und das rächt sich, bisweilen peinlich kleinlich, was die Rückstellung und Entschädigung für beschlagnahmte Vermögen oder offizielle Gesten gegenüber Zwangsarbeitern betrifft, die in der österreichischen Wirtschaft arbeiten mussten.

Mit dem nun ausgehandelten Entwurf über die Entschädigung von "Sklaven- und Zwangsarbeitern" ist Österreich ein gutes Stück weiter gekommen. An Zwangsarbeiter aus Weißrussland, der Ukraine, der Russischen Föderation, aus Polen und zu einem Teil aus Tschechien, dazu Ungarische Juden sollen rund sechs Milliarden Schilling an Entschädigung ausbezahlt werden. Der Entwurf der Vereinbarung sieht vor, dass Zwangsarbeiter in NS-Lagern einen Betrag von 105.000 Schilling erhalten. Für in der Industrie eingesetzte Zwangsarbeiter sind 35.000 Schilling vorgesehen, bei Zwangsarbeit in der Landwirtschaft 20.000 Schilling. Diese Zahlungen stehen auch jenen zu, die als Kinder unter zwölf Jahren ihre Eltern in die Zwangsarbeit begleiten mussten. 5000 Schilling zusätzlich erhalten Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen ein Kind zur Welt brachten.

In der Sklaven- und Zwangsarbeiterregelung wird eine Versöhnungsgeste gesetzt, keine rechtliche Verpflichtung Österreichs erfüllt. Die Entschädigung für Opfer in Konzentrationslagern wird in dieser Regelung ausdrücklich von Deutschland übernommen. Von Österreich werden nur Zwangsarbeiter, die nicht in Konzentrationslagern, sondern als Zivilarbeiter in Industriebetrieben und in der Landwirtschaft eingesetzt waren, entschädigt.

Während sich die Entschädigung für heute noch lebende Zwangsarbeiter vergleichsweise einfach darstellt, weil hier seit 1945 noch keinerlei Regelung erfolgte, ist die Problematik der Entschädigung von enteignetem und beschlagnahmtem jüdischen Vermögen sehr viel komplexer. Das ungeheure Unrecht, das den Juden angetan wurde, muss immer bewusst bleiben. Dass sich der Holocaust einer materiellen Bewertung entzieht, steht weitgehend außer Streit. Die Frage aber, in welcher Art Österreich als Staat dafür zur Verantwortung gezogen werden kann, ist sehr viel komplexer. Wenn bisweilen der Eindruck vermittelt wird, als ob in Österreich bei Entschädigungen völlig bei Null angefangen werde, so zeigt das nur von viel Unkenntnis.

Die Fakten sind nicht wirklich klar. Weder ist restlos bekannt, wie hoch die jüdischen Vermögen 1938 tatsächlich waren (die Angaben gehen sehr weit auseinander), noch weiß man in den meisten Fällen, wer profitiert hat. Vor allem weiß man nicht, wieviel zurückgestellt wurde. In sieben Rückstellungsgesetzen und zahlreichen Begleitgesetzen ist eine umfangreiche Naturalrestitution eingeleitet worden. Entschädigungszahlungen wurden geleistet, deren Summe man noch nie genau und unstrittig ermittelt hat.

18 Milliarden Dollar Der amerikanische Anwalt Edward Fagan hat eine Sammelklage gegen die Republik Österreich, die ÖIAG und 80 Unternehmen, darunter auch Banken, eingebracht. Dabei forderte er 18 Milliarden US-Dollar (etwa 260 Milliarden Schilling) als Entschädigung. Darin sind neben den Ansprüchen der Zwangsarbeiter jene von enteigneten NS-Opfern enthalten. Seine Summe begründet Fagan mit der jüdischen Zahl 18 als Symbol für Leben. Das ist aber nun wirklich kein Beispiel für eine wissenschaftlich begründete oder rechtlich untermauerte Forderung.

Das jüdische Vermögen in Österreich im Jahr 1938 wird auf zwei bis drei Milliarden Reichsmark (RM) geschätzt. Nach heutigem Stand wären das 100 bis 150 Milliarden Schilling. Die Aufteilung auf einzelne Vermögensarten stellt sich folgendermaßen dar: Das in industriell-gewerbliche Unternehmungen in ganz Österreich veranlagte jüdische Vermögen betrug etwa 320 Millionen RM. Mehr als eine halbe Milliarde machten die Liegenschaften aus, Grundstücke, Mietshäuser, Einfamilienhäuser, landwirtschaftliche Vermögen, 266 Millionen die Wertpapiere, 690 Millionen die kapitalisierten Ansprüche auf Renten und Pensionen, 180 Millionen die Kapitalforderungen, 150 Millionen die Sparbücher und Bargelder, 54 Millionen die Kunstgegenstände und Wertsachen, 51 Millionen die Lebensversicherungen.

Problem Mieterschutz Man kann davon ausgehen, dass alles, was im Grundbuch steht, mehr oder weniger vollständig restituiert wurde, und dass der Großteil des unternehmerischen Besitzes, die rund 5.000 größeren Unternehmen zurückgestellt oder in einem Vergleich entschädigt wurden. Bei den Geldvermögen, die durch die Nachkriegsinflation völlig entwertet wurden, erfolgte hingegen keine oder höchstens eine symbolische Entschädigung. Die Gelder hat der Deutsche Staat eingezogen. Sofern es überhaupt Sparbücher oder Versicherungspolizzen gab, die nicht abgeliefert wurden, so war ihr Wert nach 1945 durch die Hyperinflation dezimiert. Natürlich müssten von den Aktiva auch die Schulden in Abzug gebracht werden, die auf den jüdischen Vermögen lasteten.

Gänzlich ungeklärt ist die Situation bei den mietergeschützten Mietwohnungen. Durch Arisierungen und Zwangsdeportationen wurden in Wien insgesamt etwa 63.000 Wohnungen von jüdischen Familien frei. Ein entsprechendes Rückstellungsgesetz diskutierte man zwar in den vierziger Jahren, hat es dann aber nie beschlossen. Bisher fand keine Rückstellung statt. Aber wie könnte eine derartige überhaupt aussehen? Was kann man bei Mieterschutzrechten zurückstellen? Den Anspruch auf die Wohnung, wenn die Betroffenen oder die direkten Erben zurückkehren? Wer müsste dafür aufkommen? Jene, die jetzt die Wohnungen benutzen? Oder die Immobilienmakler, die profitierten oder heute davon profitieren, dass Häuser von geschützten Mietern frei geworden waren? Oder die Stadt Wien, die sich den Bau von Wohnungen ersparte? Am wenigsten wohl der gesamtösterreichische Steuerzahler. Denn außerhalb Wiens gab es praktisch kaum von Juden bewohnte Mieterschutzwohnungen.

Die österreichische Historikerkommission beschäftigt sich ebenfalls mit den Vermögensschäden anderer Gruppen: Die Roma, die in Österreich vor allem im südlichen Burgenland ansässig waren, hatten sowohl hinsichtlich ihrer Arbeits- als auch ihrer Wohnsituation durch den Nationalsozialismus erhebliche Vermögensnachteile. Mehr als die Hälfte der etwa 11.000 österreichischen Roma und Sinti wurde ermordet. Letztlich wurden die Angehörigen der Volksgruppe in Sammellagern inhaftiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt, später in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Der zu erforschende Vermögensentzug umfasst daher sowohl die Verunmöglichung eines eigenen Erwerbes sowie einer Schulbildung als auch die Einziehung des Besitzes. Eine Entschädigung ist bislang kaum erfolgt. Ob und wie weit bei Slowenen, Tschechen, anderen nationalen Minderheiten, bei Homosexuellen, politisch Verfolgten, religiösen Minderheiten und bei der katholischen Kirche Vermögensverluste nicht abgegolten wurden, auch darüber laufen Forschungsprojekte der Historikerkommission.

Die Aufarbeitung wird eher Jahre als Monate in Anspruch nehmen. Was für Unrecht es im Vermögensbereich gegeben hat, inwieweit eine Wiedergutmachung stattgefunden hat, und wenn nein, inwieweit heute noch etwas getan werden kann, ist ohne gründliche Forschungen nicht zu beantworten. Es muss die Aufarbeitung des ungeheuer umfangreichen Datenmaterials, das die nationalsozialistische Bürokratie, wie die österreichischen Rückstellungskommissionen hinterlassen haben, abgewartet werden. Denn konkrete Schritte zu einer noch ausstehenden Entschädigung können nur auf Basis fundierten Wissens erfolgen.

Der Holocaust ist so schrecklich, dass auch nur der Anschein einer Geschäftemacherei mit den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Rechtsordnung zivilisierter Staaten keinen Platz haben sollte. Vor allem darf der von Österreich eingeschlagene Weg einer Entschädigung für Betroffene und der damit verbundenen Versöhnung nicht durch unbegründete oder eigennützige Forderungen von Anwälten unterlaufen werden.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz und Mitglied der Historikerkommission.

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