Kein Platz für Religionen?

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Die Diskussion ums Kölner Beschneidungsurteil zeigt einmal mehr, dass in einer säkularen Gesellschaft grundlegende Elemente der Religionen zur Disposition stehen. Doch ebendiese Gesellschaft sollte mit der Religion anders umgehen.

Die Reaktionen aus dem Bereich aller Religionen waren ablehnend bis heftig ablehnend: Dass das Kölner Landgericht die Beschneidung von Knaben als Straftat qualifizierte, hat eine Debatte ausgelöst, die auch hierzulande von Bedeutung ist, selbst wenn es in Österreich bislang keinen vergleichbaren Spruch gibt.

Auffallend ist, dass sich nicht nur Juden und Muslime gegen das Kölner Urteil wenden, sondern auch die christlichen Kirchen (vgl. dazu auch Seite 18): Hier geht es für alle Religionen ans Eingemachte, das Zueinander von Religion und säkularer Gesellschaft ist massiv betroffen. Von daher darf der Kölner Spruch nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Das Judentum ist wohl am unmittelbarsten betroffen, gilt doch die Knabenbeschneidung für alle, also auch die liberalen Richtungen des Judentums, als konstitutiv. Es wurde auch auf die Pikanterie hingewiesen, dass ausgerechnet in Deutschland eine der elementarsten religiösen Praktiken des Judentums per Strafrecht geahndet werden soll. In den letzten Jahren ist bekanntlich oft vom jüdisch-christlichen Erbe Europas die Rede. Diese Rede erweist sich ohne die Zulassung der religiösen Praxis aber als hohle Phrase.

Nonchalant gegenüber elementaren Riten

Und für die Muslime, die um ihren Platz in Europa ringen, ist das Urteil nicht minder desaströs: Einmal mehr fühlen sie in der Ansicht bestärkt, ihre neuen Heimatgesellschaften gehen mit elementaren Riten ihres Glaubens, gelinde gesagt, nonchalant um.

Heiner Bielefeldt, ein führender Menschenrechtsexperte in Deutschland und UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, qualifiziert das Beschneidungsurteil als "groben Unsinn“ und ortet in dessen Begründung "bizarre Aussagen“: Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit - hier trifft sich Bielefeldt mit den Stimmen aus den Religionen - werde hier ausgeblendet.

Natürlich handelt es sich bei der Frage der Beschneidung auch um Güterabwägung, die nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist: Ja, es geht auch um die Frage nach der Unversehrtheit der Person und darum, dass jeder mündige Mensch sich für oder gegen eine Religion entscheiden darf. Auch das sind Menschenrechte. Es kommt hier zweifelsohne zur Kollision zwischen diesen.

Aber es ist auch für einen Christen, der von der Beschneidungsfrage in seiner Religionsausübung ja nicht unmittelbar betroffen ist, essenziell, dass hier dem hohen Gut der Religionsfreiheit ein mindestens so großer Stellenwert eingeräumt wird wie anderen Rechten.

Um nur ein Argument herauszugreifen: Für einen christlichen Vater ist es unabdingbar, dass seine Kinder in der für ihn maßgeblichen Religion aufwachsen können. Das beschränkt deren Freiheit, sich später auch gegen diese Religion entscheiden zu können, keineswegs. Das Kölner Urteil weiterdenkend, würde dann auch die Kindertaufe zur Disposition stellen. Diesbezügliche Diskussion darf und soll es natürlich innerhalb der Religionsgemeinschaften geben. Aber es kann nicht Aufgabe einer säkularen Rechtsprechung sein, den Religionen hier ins Handwerk zu pfuschen.

Säkulare Gesellschaft braucht Religionen

In der Auseinandersetzung um den säkularen Rechtsstaat geht es heute ja nicht mehr um die Frage, ob Religionen darin ihren Platz haben sollen. Wenn - so wie es etwa das II. Vatikanum bahnbrechend ausdrückt - Religionen als Versuch gesehen werden, dem Menschen Antworten auf Fragen wie "Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn des Lebens?“ zu ermöglichen, dann muss es das genuine Interesse auch der säkularen Gesellschaft sein, diesen Religionen Lebensraum zu bieten. Der Zustand ebendieser Gesellschaften stellt sich ja nicht so dar, dass sie auf die Religion verzichten sollten.

Religion ist aber auch in einer säkularen Moderne nicht "antiseptisch“ oder abstrakt zu haben. Im Gegenteil: Sie bedarf auch heute der sinnlichen wie körperlichen Elemente. Man kann es drehen und wenden, wie man will: In dieser Perspektive ist das Kölner Urteil schlichtweg eine Katastrophe.

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