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Kein Recht, konservativ zu sein

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Viele Gläubige sind der Überzeugung, daß der Episkopat nicht länger zu gewissen Vorgängen schweigen dürfe. Sie sind bedrückt und leiden sehr unter dem vermeintlichen Schweigen. Und doch hat die Zahl der kirchenamtlichen Mahn- und Warnrufe von Monat zu Monat zugenommen. Allein im vergangenen Jahr sind, angefangen vom Schreiben Pauls VI. zur Eröffnung des Jahres des Glaubens und zu seinem feierlichen „Credo“ zum Abschluß dieses Jahres und einem Schreiben an die Priester samt den Mahn- und

Warnworten bei vielen Audienzen, die großen Hirtenschreiben der deutschen und französischen Bischöfe, ein Brief der österreichischen Bischöfe an den Klerus und anderes mehr erschienen. Warum verhallen die Worte der Hierarchie fast ins Leere? Bis in die letzte Zeit hat sowohl die Tagespresse wie auch die Kirchenpresse, deren eigentlichste Aufgabe es wäre — wir schließen hier die halbamtliche Kirchenpresse nicht aus —, diese Stimmen zwar erwähnt, teilweise auch im Wortlaut gebracht, aber selten in einer geeigneten Stellungnahme auch kommentiert. Man hat sie sozusagen gerade erwähnt. Gleichzeitig war aber die Presse, wohl mit Unterschied, sehr beflissen, alle Sensationsmeldungen zu bringen, die sich mit Neuerungen, mit negativen Erscheinungen im kirchlichen Leben befassen. Man konnte sich bisher in vielen Presseorganen nicht des Eindruckes erwehren, also ob es die Redakteure in erster Linie mit den „Progressisten“ im negativen Sinne hielten. Ob es mangelnder Mut war, als reaktionär, fortschrittsfeindlich gebrandmarkt zu werden oder ob es ein willentliches Verschweigen war, können wir nicht beurteilen. Auf jeden Fall aber mußte dieses Schweigen dem aufmerksamen Beobachter aufallen. Kardinal König hat auf dem Weltkongreß der Kathölischen Internationalen Union der Presse in Berlin erklärt, der katholische Journalist stehe heute vor der großen Gefahr und Versuchung, die Verbindung mit der Kirche zu verlieren, wenn er im vermeintlichen Dienst an der Kirche nur die Kirche der Vergangenheit und nicht die in die Zukunft schreitende Kirche sieht. Die Konstitution „Kirche und Welt“ sagt: „Eine Kritik in der Kirche, auch die von Journalisten geübte Kritik, darf sich auf das Wort des Konzils berufen: ,Wie immer die Geschichte über all das Versagen in der Kirche urteilen mag, wir selber dürfen dieses Versagen nicht vergessen, sondern müssen es unerbittlich bekämpfen, damit es der Verbreitung des Evangeliums nicht schade1 “ Dann aber bemerkt Kardinal König, daß die Journalisten diese Aufgabe nicht in Überheblichkeit und Besserwisserei, sondern in Verantwortung und der

notwendigen Bescheidenheit zu leisten hätten. „Auch die Journalisten sind nicht als die alleinigen Richter über die Kirche eingesetzt. Es wäre kein guter Tausch, wenn die Klero- kratie gegen die Journalistokratie eingetauscht würde.“ Dieses Wort müßten nicht wenige Journalisten, aber auch Priester und Laien beherzigen, die in ihrem übergroßen Reformeifer glauben, es sei schon alles gewonnen, wenn man die Flucht nach vorne, das heißt in die Presse, eingeschlagen habe. Es gibt heute Presseerzeugnisse, die alles weniger als der Wahrheit und der Kirche dienend wirken.

In diesem Zusammenhang sei noch auf eine zweite Gefahr hingewiesen. Der „Progressive Katholizismus“ — um mit einem Worte Wilfried Daims zu sprechen — hat nicht nur den Drang zur Flucht nach vorne in die breiteste Öffentlichkeit um jeden Preis, sondern er spricht auch sehr viel von Demokratisierung der Kirche und möchte sie eifrig betreiben. Aber die Art des Vorgehens ist nicht immer demokratisch. Mit dem Schlagwort „Triumphalismus“ und anderen ähnlichen Schlagworten bekämpft man in einer unbekümmerten Schwarzweißmalerei Institutionen und Gebräuche in der

Kirche, man liebt es, vom konstan- tinischen Zeitalter zu sprechen, mit dem man nicht weniger als zirka 15 Jahrhunderte der Kirchengeschichte bezeichnet und als die große Sünde der Kirche hinstellt, um sich ein Bild der Kirche nach eigenem Geschmack zurechtzuzimmern. Man folgert daraus, die Berechtigung, mit rücksichtsloser Intoleranz Gesetze, Einrichtungen und Gebräuche der Kirche zu bekämpfen, rechtens noch bestehende Gesetze zu ignorieren, die Liturgie ohne Zustimmung der kirchlichen Behörde zu mißbrauchen und so ständig Fakten gegen eine noch rechtlich bestehende Ordnung zu setzen. Wird dagegen Einspruch erhoben oder werden Bedenken angemeldet, dann wird dies als Engstirnigkeit und Intoleranz gebrandmarkt.

Eine so betriebene Demokratisierung mutet innerhalb der Kirche sehr sonderbar an, da ähnliche Methoden in der staatlichen Ordnung als revolutionär und totalitär genugsam bekannt sind.

Wir wissen alle, daß wir uns heute in vielen Fragen des kirchlichen Lebens auf unmarkierten Wegen befinden, daß Reformen notwendig sind und zahlreiche Mängel bestehen. Die neuen Wege müssen mühsam gesucht werden. Keiner hat das Recht, konservativ zu sein im Sinne des nur Beharrens. Im Geiste der Kirche müssen wir alle progressiv sein, das heißt nicht nur in die Vergangenheit zurück-, sondern in die Zukunft schauen. Es können Meinungsverschiedenheiten über die einzuschlagenden Wege auftreten. Wir müssen die Vergangenheit kritisch prüfen und die Fehler offen eingestehen. Wir werden nicht immer die „rechte Mitte“ sofort finden. Wir müssen daher einander auch Fehler verzeihen und uns nicht zu schnell zum Richter über den Gegner aufspielen.

Demokratisch sein heißt aber nicht, die Meinung des anderen einfach zu unterdrücken zu inkrimi- nieren oder totzuschweigen. Es ist an der Zeit, daß ein derartiges Vorgehen bei seinem wahren Namen genannt und daß sowohl die Kritik an der Kirche wie auch die Methode, Reformen voranzutragen, auf das ihr gebührende Maß und die Art der Schreibweise auf den eines gläubigen Katholiken würdigen Ton zurückgeschraubt werde.

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