Kein Satz des Bedauerns

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Unbeschadet der berechtigten Würdigung vieler Verdienste Kardinal Groërs (und der Autor dieser Zeilen weiß zu schätzen, wie viel er als Schüler des Verstorbenen von diesem gelernt hat) hätte wenigstens ein Satz in den offiziellen kirchlichen Nachrufen in etwa lauten können: "Wir bedauern, dass er sich nicht in der Lage sah, zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs klärend Stellung zu nehmen, und dass bis heute auch seitens der Zuständigen in der Kirche weder nachvollziehbare Schritte der Klärung dieser Vorwürfe noch eine Stellungnahme dazu erfolgt sind." Aber ein solcher oder ein ähnlicher Satz gleichen Inhalts hat gefehlt. Statt dessen gab es Anspielungen wie, dass Schatten auf den letzten Teil der Amtszeit des Kardinals gefallen seien, oder, dass das Urteil der Geschichte abzuwarten sei.

Ich bedauere das nicht nur, weil Offenheit und Wahrheit keineswegs im Widerspruch zu Takt, Respekt und Pietät stehen müssen. Auch als Leiter einer Ombudsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche hätte ich eine solche Offenheit als Zeichen begrüsst, dass es der Kirche endlich um einen sorgfältigen Umgang mit derartigen Vorwürfen und um deren möglichste Klärung geht. Ich weiß aus vielen Gesprächen an der Ombudsstelle, wie sehr der Umgang mit den Vorwürfen in den von Missbrauch betroffenen Menschen die Annahme bestärkt hat, dass sie in der Kirche ohnedies kein Gehör finden würden und bestenfalls alles unter den Teppich gekehrt werde.

Eine offen-kritische Anmerkung in den Nachrufen wäre ein Signal in eine andere Richtung gewesen. Vor allem für die Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche, die die Folgen Zeit ihres Lebens ohnedies nicht los werden.

Der Autor leitet die Ombudsstelle der Erzdiözese Wien für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche.

KONTAKT ZUR OMBUDSSTELLE: 1090 Wien, Liechtensteinstr. 102/11

Tel. (01) 319 66 45, Fax -24, Mobil 0664-515 52 70

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