Kein Watschenmann mehr

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Das öffentliche Interesse am christlich-jüdischen Dialog ist groß. Hohe Vertreter beider Religionen betonen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit. Doch den großen Worten fehlt es an finanzieller Unterstützung - was vor allem am kleinen Beitrag der katholischen Kirche liegt.

Das katholisch-kirchliche Pendant zum Watschenmann im Wiener Prater ist der "Körberljud". So heißt eine barocke Figur bei der letzten Station des Kalvarienbergs der Pfarrkirche in Wien Hernals. Das Kreuz ist abgeräumt, der Körberljud sammelt das liegen gebliebene Werkzeug und die Nägel ein. Im neu herausgegeben Kirchenführer ist zur Geschichte dieser Figur zu lesen: "An dieser Station ereigneten sich in der Vergangenheit hässliche Szenen so genannten christlichen Eifers gegen die Juden. Der Körberljud wurde angespien und geohrfeigt. Zunächst musste die Nase, später der ganze Kopf aus Eisen gefertigt werden. So ist die Station zu einem Zeichen des Antisemitismus geworden. Ist Antisemitismus heute aufgearbeitet oder ist er in allgemeine Ausländerfeindlichkeit übergegangen?"

Markus Himmelbauer besucht bei seinen Stadtspaziergängen "Jüdisches Wien" regelmäßig den Körberljud in Hernals. "Da wird christlich-jüdischer Dialog mit einem Mal handgreiflich", sagt er. "Da wird bewusst, dass christlich-jüdischer Dialog kein abgehobenes Theoretisieren ist." Und das Interesse an seinen Stadtspaziergängen ist groß. Aus ganz Österreich und darüber hinaus reisen Gruppen an. Die Theologischen Kurse in Wien und im Bildungshaus Batschuns in Vorarlberg bieten zudem Lehrgänge zum Thema Judentum an - und sind ausgebucht. Himmelbauer weiß von Wartelisten, Seminaren, Vortagsreihen, Ausstellungen, Interreligiösen Gebetsstunden - eine Fülle von Veranstaltungen erfüllen gegenwärtig den christlich-jüdischen Dialog mit regem Leben.

Allein Schadensbegrenzung

Markus Himmelbauer, in seiner Funktion als Geschäftsführer des "Koordinierungssausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit", könnte zufrieden sein. Ist er auch - und doch auch wieder nicht: Die große Nachfrage, das wachsende Interesse machen die prekäre finanzielle Situation des Koordinierungsausschusses noch schmerzlicher spürbar. Die Lage habe sich in den letzten Jahren zugespitzt, jetzt gehe es ihm nur mehr um Schadensbegrenzung, erklärt der Geschäftsführer. "Wir haben es nicht geschafft", so Himmelbauer, "unsere erfolgreiche Tätigkeit in Image umzusetzen." Ganz stimmt Himmelbauers selbstkritische Rückschau nicht. Die kontinuierlich wachsende Zahl der Mitglieder im Koordinierungsausschuss, die ebenfalls steigende Abonnentenzahl der Vereinszeitschrift Dialog - Du Siach / christlich-jüdische Informationen sprechen eine andere Sprache. Genauso wie die Erklärungen von Repräsentanten des Juden- bzw. Christentums durchaus den Rückschluss erlauben, dass auch diese dem jüdisch-christlichen Dialog große Bedeutung beimessen.

Doch diesen Erklärungen fehlt es teilweise an Taten, beklagt Himmelbauer. Konkret meint er damit die Österreichische Bischofskonferenz, die dem Koordinierungsausschuss immer weniger finanzielle Unterstützung zukommen lässt. Einzelne der Sache gewogene katholische Bischöfe greifen zwar in ihre Privatschatulle und steuern Geld bei, weiß Richard Ames, einer der stellvertretenden Präsidenten des Koordinierungsausschusses, doch den drastischen Rückgang der Gelder aus der Bischofskonferenz können diese Zuschüsse Einzelner - "die nicht genug zu loben sind" (Ames) - auch nicht wett machen. Dass die finanziellen Schwierigkeiten jetzt so massiv auftauchen, stört Ames besonders. "Gerade in letzter Zeit", so der Kultusrat und Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde Graz, "sind wirkliche Fortschritte in den jüdisch-christlichen Beziehungen gemacht worden."

Vergangenheit überwinden

Über die "aktuellen Früchte des Dialogs" gerät Ames, der neben Eva Petrik (katholisch) und Alfred Raddatz (evangelisch) das Präsidium des Koordinierungsausschusses bildet, ins Schwärmen. Von mehr als 140 Schulungen in der Grazer Synagoge weiß er zu berichten. Die Erfolge dieser Veranstaltungen sieht Ames darin begründet, dass jetzt auf beiden Seiten eine Generation teilnimmt, "die von der Vergangenheit weniger negativ belastet ist".

In ein ähnliches Horn stößt die Leiterin des Jüdischen Instituts für Erwachsenenbildung in Wien, Brigitte Ungar-Klein: Die große Chance für eine gute Zukunft zwischen Juden und Christen sieht sie in den zahlreichen persönlichen Kontakten, die der Dialog mit sich gebracht hat. Denn: "Was man nicht kennt, wird mit Vorurteilen belegt, als unheimlich, mitunter sogar gefährlich abgelehnt." Doch bei allem Interesse für den Dialog schränkt Ungar-Klein ein, die "Hauptsorge kann nicht von jüdischer Seite getragen werden".

Auf diesen Aspekt verweist auch Geschäftsführer Himmelbauer: Natürlich fragt die Kultusgemeinde, warum sie einspringen soll, wenn die Katholiken auslassen. Von den 100.000 Euro die der Koordinierungsausschuss für eine gedeihliche Arbeit braucht, zahlt die österreichische Bischofskonferenz derzeit 3.600. Viel zuwenig, um damit auch nur einen kleinen Teil der Kosten zu bestreiten. Das Sekretariat und der Posten des Projektreferenten sind deswegen schon verwaist und auch die Geschäftsführung kann nur mehr in Teilzeit ausgeübt werden. Präsident-Stellvertreter Richard Ames versteht ja, dass in Zeiten schrumpfender Kirchenetats Einsparungen nötig sind, "doch hier wird am falschen Platz gespart". Dabei sind es keine Unsummen, die sich der Koordinierungsausschuss von der Bischofskonferenz wünscht. Mit 15.000 Euro wäre viel geholfen, heißt es.

Keine Judenmission

Bei seinem Stadtspaziergang durch das jüdische Wien ist Himmelbauer inzwischen am Judenplatz angekommen. Am Schoa-Denkmal legt er eine Rose nieder. Beim Weitergehen kommt er auf die Dokumente des Zweiten Vatikanums und die Erklärung der Wiener Synode von 1970 zu sprechen. In diesen Texten heißt es, "die Christen müssen die Existenz auch des heutigen Judentums heilsgeschichtlich verstehen". Das Christentum von der jüdischen Quelle aus verstehen - wie geht das? Christen sollen keine Juden werden, stellt Himmelbauer klar. Ebenso lehnen er und der Koordinierungsausschuss "jegliche Form der Judenmission ab". Die Idealisierung des Judentums, genauso wie die Verunstaltung jüdischer Rituale zu exotischer Folklore sind ihm ein Gräuel. "Keine Vereinnahmungen" will Himmelbauer, sondern den ernsthaften Versuch, "als Christ aus den Wurzeln des Judentums heraus zu leben".

Am Ende seiner Führung angelangt, steht Himmelbauer vor der Fassade eines Gemeindebaus. Irene Harand, die Namensgeberin dieses Hauses, eine Wienerin aus bürgerlichem Haus und überzeugte Christin, war eine erbitterte Gegnerin des Nationalsozialismus. Mit ihrem Buch "Sein Kampf" entlarvte sie die falschen Vorurteile und den Hass gegenüber Juden, die Hitler in "Mein Kampf" formulierte. Vorurteile abbauen, Hass bekämpfen und dazu beitragen, dass der Watschenmann allein im Wiener Prater bleibt, sind die Aufgaben des jüdisch-christlichen Koordinierungsausschusses - wenn man ihn nur lässt.

Weitere Informationen

Christlich-Jüdisches Informationszentrum

Gentzgasse 14/5/1, 1180 Wien

Tel./Fax 01/4797376

www.christenundjuden.org

Terminhinweis: Kursreihe Kirchen im Nationalsozialismus; jeden Dienstag im November 18.30 Uhr; Jüdisches Institut für Erwachsenenbildung, 1020 Wien, Praterstern 1, Tel. 01-2161962; www.jud-institut-wien.at/jiw

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