"Keine Angst davor, auf die Straße zu gehen"

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Noch kennt die Welt Papst Franziskus nicht. Aber das Lebenszeugnis von Kardinal Jorge Mario Bergoglio birgt Hoffnungszeichen. Gerade für eine mutlos scheinende Kirche.

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Noch kennt die Welt Papst Franziskus nicht. Aber das Lebenszeugnis von Kardinal Jorge Mario Bergoglio birgt Hoffnungszeichen. Gerade für eine mutlos scheinende Kirche.

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"Buona sera." Die Schlichtheit der ersten Worte des 76-Jährigen drückten mehr aus als jede programmatische Ansage. Und dann die Bitte, bevor er den Segen an die fromme Menge erteilt: Alle mögen in Stille Gottes Segen für ihn selber, den neuen Papst Franziskus, erflehen. Der Segen Urbi et Orbi, der auch Elementeeines paternalistischen Herrschaftssymbols in sich trägt, wurde selten so schnell und eindrücklich auf seine geistliche Ebene zurückgebracht, mehr als ein Hauch dialogisches Prinzip - das der katholischen Kirchenrespitze so not tut: Ihr betet, bitte, für mich. Und ich bete für euch.

Der Papst aus einem noch ferneren Land

Was für ein atmosphärischer Duktus, den Jorge Mario Bergoglio, der neue Papst aus einem noch ferneren Land, als es die Kirchengeschichte bislang kannte, da vorlegte. Und was in den letzen Wochen an Job Descriptions eines der unmöglichsten Job der Menschheit herumschwirrte, reiht sich nahtlos in den Paradigmenwechsel, der mit dem 11. Februar 2013, dem Tag der Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. die katholische Kirche(nspitze) durchweht.

Nur ein paar Pinselstriche mögen das andeuten: Ein Papstrücktritt ist nicht bloß eine juristische Möglichkeit, sondern nach 700 Jahren auch praktische Realität. Eineinhalb Jahrhunderte ist es her, dass zuletzt ein Ordensmann Papst wurde. Ein Jesuit war es überhaupt noch nie, und würde es, so eine bis zum 13. März 2013 durchaus verbreitetet Einschätzung, auch nie werden. Und dann noch der "geografische Durchbruch":

Erstmals ein Papst außerhalb des europäisch-mediterranen Kulturkreis, vom "anderen Ende der Welt", wie der Neugewählte anmerkte.

Das Bewusstsein, Weltkirche zu sein, wird nun auch symbolisch in der Person dieses Papstes eingeholt. Und gleichzeitig der Anspruch des Weltbürgertums, der für das katholische Selbstverständnis auch so wichtig ist: ein Sohn italienischer Einwanderer, ein Abkömmling nicht der Oberschicht; und ein Kirchenfürst, der alles Fürstliche glaubhaft abgelegt hat. Auch die Namenswahl Franziskus deutet darauf hin, dass es dem neuen Pontifex genau um diese Dimension geht:

Der Bürgersohn aus Assisi rührte mit seiner radikalen Hinwendung zur Armut in der feudalen Kirche seiner Zeit um.

In der Wirklichkeit der Armen

Wenn es gerade in den letzten Monaten einen Konsens vieler darüber gibt, dass das "System Vatikan" gründlicher Reform bedarf, so zeigt hier der überraschende Rückgriff des Jesuiten Bergoglio auf das franziskanische Ideal auch die Richtung an, in die es gehen kann. Man darf gespannt sein, ob es gelingt, in das Geflecht der Seilschaften und Verkrustungen Schneisen zu schlagen.

Dazu gehört schließlich auch die Glaubwürdigkeit, den Einsatz für die Armen zum Programm zu machen sowie die eigene Lebensweise daran auszurichten. Was etwa der Befreiungstheologe Jon Sobrino auch im FURCHE-Gespräch fordert (vgl. Seite 9), nämlich die Wirklichkeit der Welt von heute in der Wirklichkeit der Armen zu sehen, lebte der Kardinal und Erzbischof von Buenos Aires, seit Jahren vor.

Jorge Mario Bergoglio war bislang zwar ganz sicher kein Befreiungstheologe, und auch seine Positionen in Moralfragen gelten als sehr konservativ. Aber die Authentizität seines persönlichen Lebens zeugt von jener Option für die Armen, wie sie sich ja auch der Jesuitenorden selber im Gefolge des II. Vatikanums als grundlegende spirituelle Ausrichtung gegeben hat.

Man darf gespannt sein, wie einer, der aus seinem erzbischöflichen Palais ausgezogen ist, um in einer einfachen Wohnung zu leben, diese Werte ins höfische Gepränge des Apostolischen Palastes, in dem er nun residieren wird, inhaltlich und zeichenhaft zur Geltung wird bringen können.

Keiner, der sich fürchtet

Bergoglio ist jedenfalls keiner, der sich fürchtet, wie auch aus einem Ausspruch hervorgeht, den der Vatikanist der US-Wochenzeitung National Catholic Reporter, John Allen, kurz vor dem Konklave berichtete: "Wir müssen die spirituelle Krankheit einer auf sich selbst bezogenen Kirche vermeiden", so Bergoglio: "Wenn man auf die Straße geht, läuft man natürlich Gefahr, in einen Unfall verwickelt zu werden. Aber wenn die Kirche in sich geschlossen, auf sich selbst bezogen bleibt, dann sieht sie alt aus. Vor die Wahl gestellt zwischen einer Kirche, die Verkehrsunfälle erleidet, und einer Kirche, die krank vor Selbstbezogenheit ist, bevorzuge ich zweifelsohne die Erstere."

Eine Analyse von Otto Friedrich

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