Die eigentliche Ökumene beginnt dort, wo sich die Kirchen als Kirchen im Sinne des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses anerkannt haben. Zur Zeit kann davon keine Rede sein.
Dass das ökumenische Klima rauer geworden ist, ist bekannt. Die Stolpersteine auf dem Weg zu größerer Annäherung der Kirchen sind schnell aufgezählt: Nach wie vor gibt es kein gemeinsames Abendmahl für Protestanten und Katholiken. Trotz gemeinsamer Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist Rom weiterhin nicht bereit, die evangelischen Kirchen als Kirchen anzuerkennen, und auch in der Frage von Ordination und geistlichem Amt tritt man auf der Stelle.
Auch wenn die führenden kirchlichen Repräsentanten beteuern, dass der Prozess der Ökumene unumkehrbar sei und das Verbindende alles Trennende überwiege, ist doch eine neue Bescheidenheit angesagt. Dass elf Kirchen in Deutschland kürzlich feierlich die wechselseitige Anerkennung der Taufe bekräftigt haben - neben Ka-tholiken, Protestanten, Methodisten und Anglikanern auch die orthodoxe Kirche in Deutschland -, gilt schon als Sensation.
Die Schärfung des eigenen Profils ist eine Reaktion auf den religiösen und weltanschaulichen Pluralismus der Gegenwart. Bei aller Betonung des gemeinsam Christlichen ist die Profilierung der eigenen kirchlichen Identität auch dem Bewusstsein einer gewissen Konkurrenz der Konfessionen geschuldet.
So stellt sich die Frage nach neuen Konzepten, die der Ökumene neue, aber auch realistische Perspektiven eröffnet. Es mangelt offenkundig an klaren Zielvorstellungen und beflügelnden Visionen.
Mangel an Visionen
Verschiedene Zugänge und Sichtweisen können durchaus in einem kritischen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Bisweilen sind es ja gerade Gemeinsamkeiten, die trennen, und Unterschiede, die verbinden. Es gibt aber auch fundamentale Differenzen, die auf echte Widersprüche in der Sache hinauslaufen. Mit solchen haben wir es offenbar in der Frage des Kirchen- und Amtsverständnisses zu tun.
Das hat jüngst noch einmal das Schreiben der Glaubenskongregation Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche gezeigt. Darin bekräftigt Rom - mit ausdrücklicher Billigung von Papst Benedikt XVI. - nochmals seine Auffassung, nach welcher den Kirchen der Reformation die apostolische Sukzession im Weihesakrament und damit "ein wesentliches Element des Kircheseins" fehlt.
Daher lautet die Schlussfolgerung: "Die genannten kirchlichen Gemeinschaften, die vor allem wegen des Fehlens des sakramentalen Priestertums die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, können nach katholischer Lehre nicht, Kirchen' im eigentlichen Sinn genannt werden."
Die römisch-katholische Kirche nimmt dagegen für sich ihre vollständige Identität mit der einen Kirche Jesu Christi in Anspruch, die im Glaubensbekenntnis bekannt wird. In diesem Sinne interpretiert das zitierte Schreiben das Wort "subsistit" aus der Dogmatischen Konstitution des II. Vatikanums Lumen gentium.
Die Verwendung des Ausdrucks "subsistit" anstelle von "est" habe keineswegs zu einer Veränderung der vorkonziliaren Lehre von der Kirche geführt, sondern bringe lediglich "klarer zum Ausdruck", dass es unbeschadet der Identität der Kirche Christi mit der katholischen Kirche Elemente der Heiligung und der Wahrheit - aber eben nicht mehr - auch außerhalb derselben Kirche gebe.
Sehenden Auges wird die Ökumene von katholischer Seite einmal mehr brüskiert. Kompromittiert werden aber auch viele katholische Theologen und Theologinnen, die Roms negative Sicht der übrigen Kirchen kritisieren und für eine offenere Lesart der Konzilsdokumente eintreten. Unmissverständlich warnt die Glaubenskongregation vor "irrigen Interpretationen" der reinen Lehre.
Es gab in letzter Zeit verschiedene Vorschläge, das römische Kirchenverständnis in einer Weise zu formulieren, die neue Türen für das Gespräch mit den evangelischen Kirchen öffnen könnten. Denkbar wäre es, die reformatorischen Kirchen als Kirchen eigenen Typs zu bezeichnen. Oder man könnte sagen, die evangelischen Kirchen seien nicht Kirchen im Sinne des von der Glaubenskongregation verwendeten Sprachgebrauchs. Aber nicht einmal zu einer solchen winzigen Selbstrelativierung des eigenen Alleinvertretungs- und Vormachtsanspruchs ist Rom bereit.
Vormachtsanspruch Roms
Die Aussagen des II. Vatikanums mochten vor 40 Jahren einen ökumenischen Aufbruch signalisieren. Dass sie schon 2000 im Dokument Dominus Iesus und nun erneut von der Glaubenskongregation unverändert wiederholt und in einer rückwärts gewandten Lesart interpretiert werden, zeugt von ökumenischer Borniertheit, die geradezu sektiererische Züge trägt. Eine Ökumene mit Rom, welche die Anerkennung des römischen Primats und die Bindung der Apostolizität der Kirche an die bischöfliche Amtssukzession der katholischen Kirche zur unabdingbaren Voraussetzung erklärt, wird es jedoch niemals geben. Sie existiert nur in der Fantasie katholischer Kirchenführer.
Gegen die katholische Abwertung der evangelischen Kirchen, es handle sich gar nicht um Kirchen "im eigentlichen Sinne", hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, gelegentlich den Vergleich ins Feld geführt, jeder Vertreter der Automarke Mercedes-Benz würde es für respektlos halten, wenn VW behaupten wollte, ein Mercedes sei kein "Auto im eigentlichen Sinne". Dass das Ansinnen Roms in aller Klarheit zurückzuweisen ist, das eigene Kirchenverständnis zum allein gültigen zu erklären, steht außer Frage. Das Problem besteht aber doch darin, dass Rom die evangelischen Kirchen, um im Bild zu bleiben, weder für einen Mercedes, noch für einen Fiat oder einen Mazda, sondern bestenfalls für eine Seifenkiste oder ein viersitziges Fahrradtaxi hält, das vielleicht wie ein Auto aussehen und sich sogar fortbewegen mag, aber eben doch kein "Auto im eigentlichen Sinne" ist.
Ohne Bild gesprochen: Auch die evangelischen Kirchen gestehen keineswegs jeder religiösen Gemeinschaft, die sich als Kirche bezeichnet, zu, nach evangelischem Kirchenverständnis tatsächlich auch Kirche zu sein. Man denke nur an die "Vereinigungskirche" der Mun-Sekte oder an die "Scientology-Kirche". Und dass die evangelischen Kirchen die römisch-katholische Kirche heutzutage als Kirche anzuerkennen bereit sind, obwohl sie sich mit der Fortentwicklung zur Papstkirche seit dem Tridentinischen Konzil und dem I. Vatikanum immer weiter vom evangelischen Kirchenverständnis entfernt hat, versteht sich doch auch nicht von selbst.
Evangelikale ohne Ökumene
Die großen Konfessionen stehen außerdem gemeinsam vor der Herausforderung einer beständig wachsenden Zahl neuer Kirchen, deren Verständnis für die bisherige ökumenische Bewegung sich - gelinde gesagt - in Grenzen hält. Es handelt sich um evangelikale oder charismatische Kirchen, die im weitesten Sinne der protestantischen Tradition zuzurechnen sind. Häufig verbreiten sie jedoch fundamentalistisches Gedankengut und unterhalten zu den so genannten Main churches, also auch zu den in der Reformationszeit entstandenen lutherischen und reformierten Kirchen, keine ökumenischen Beziehungen.
Eines aber sollte deutlich gesagt werden: Die eigentliche Ökumene beginnt erst dort, wo Kirchen sich als Kirchen im Sinne des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses anerkannt haben. Alle anderen Formen des wechselseitigen Respekts, der Zusammenarbeit, aber auch des gemeinsamen Gebets um Einheit sind Schritte auf dem Weg zur echten Ökumene und bilden erst eine Vorstufe derselben. Darum ist z.B. der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich lediglich eine Arbeitsgemeinschaft, aber keine Kirchengemeinschaft.
Frei nach der Formulierung Roms, die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen seien nicht Kirchen im eigentlichen Sinne, muss man bedauerlicherweise feststellen, dass die Ökumene mit Rom noch immer keine Ökumene im eigentlichen Sinne ist.
Der Autor ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Nächste Woche: Margit Hauft über Frauen in der Kirche.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!