Keine Verschwörung der Bibelwissenschaft

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Die von Carsten Peter Thiede - auch in der furche - publikumswirksam forcierte Frühdatierung neutestamentlicher Texte aufgrund eines angeblichen Fundes des Markusevangeliums in Qumran hat in Fachkreisen keine Anerkennung gefunden; zu Recht, wie sich zeigt. Umso erhellender sind die Hintergründe für Thiedes Annahmen.

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Die von Carsten Peter Thiede - auch in der furche - publikumswirksam forcierte Frühdatierung neutestamentlicher Texte aufgrund eines angeblichen Fundes des Markusevangeliums in Qumran hat in Fachkreisen keine Anerkennung gefunden; zu Recht, wie sich zeigt. Umso erhellender sind die Hintergründe für Thiedes Annahmen.

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Als im Jahre 1947 in Qumran am Toten Meer die bislang ältesten Schriftrollenfunde des Alten Testamentes und darüber hinaus einer ganzen Reihe apokrypher Texte gemacht wurde, war die wissenschaftliche Sensation perfekt. Wiewohl der Stellenwert dieser Funde wissenschaftlicherseits kaum überschätzt werden kann, trafen sämtliche populärwissenschaftlich angekündigten Sensationen jedoch nicht ein: Weder hat es je eine Verschwörung des Vatikans gegeben, um unliebsame, in Qumran gefundene Schriftdokumente aus der Zeit Jesu zu unterschlagen, noch musste aufgrund der Qumran-Texte ein völlig neues Jesusbild konzipiert werden.

Überhaupt hat es in Qumran keine direkten Berührungspunkte mit dem Christentum gegeben. Zu unterschiedlich waren wohl auch die Standpunkte der völlig auf die Erfüllung priesterlicher Reinheitsgebote eingeschworenen Qumran-Gemeinde einerseits und der nicht mehr von den kultischen Reinheitsgeboten her argumentierenden Christen andererseits.

Ein oder kein Iota?

Daran vermag auch das fünfte Textfragment der siebenten Höhle von Qumran (im Fachjargon mit dem Sigel 7Q5 bedacht) nichts zu ändern. Bereits im Jahre 1972 hatte der spanische Bibelwissenschaftler O'Callaghan versucht, dieses - kaum mehr als daumennagelgroße (!) - Textfragment mit einer Passage des Markusevangeliums (Mk 6,52-53) zu identifizieren. Postwendend erfolgte die Antwort des Doyens neutestamentlicher Textforschung, Kurt Aland, der dieser Identifizierung sowohl in epigraphischer Hinsicht als auch aufgrund widriger Rahmenbedingungen widersprach.

In epigraphischer Hinsicht (also betreffs des Textbestandes) weist das kleine Papyrusstück nur acht sicher identifizierbare Schriftzeichen auf - und das obendrein auf vier Textzeilen aufgeteilt. Umso schwerer wiegt es da, dass gerade einer dieser Buchstaben, das in der ersten Textzeile deutlich sichtbare Iota (I) des griechischen Wortes twi (gemäß Grammatik ein Iota adscriptum als Kennzeichen des Dativs), nicht zu dem veranschlagten Evangeliumstext passen will. Für diesen Text wäre hier nämlich ein N, vonnöten gewesen, um die zweite Person Plural zu konstruieren.

Während die These O'Callaghans aufgrund dieser Unstimmigkeit ad acta gelegt wurde, frischte Carsten Peter Thiede die längst beendet geglaubte Diskussion zwölf Jahre später (1984) wieder auf, indem er den nur mehr fragmentarisch erhaltenen Buchstaben nach dem Iota als Rest eines zweiten N-Stiches zu identifizieren suchte.

Dabei berief sich Thiede allerdings nicht auf das Original, sondern auf eine ihm vorliegende Photographie. Abgesehen davon, dass selbst auf dem unscharfen Foto die Rekonstruktion eines N kaum möglich erscheint, hat eine mikroskopische Spurensuche am Original ein eindeutig negatives Ergebnis für weitere Tintenreste erbracht und Thiedes Thesen damit endgültig ins Reich der Phantasien verwiesen.

Ein weiteres Argument gegen die von Thiede forcierte Identifikation stellt vor allem auch die Rollenform des vorliegenden Textfragmentes dar - normalerweise war diese nur heiligen Texten des Alten Testamentes vorbehalten. Die Christen verfassten ihre neutestamentlichen Texte von allem Anfang an ausschließlich in der handlicheren Codexform (der modernen Buchform), die ein beidseitiges Beschreiben der Blätter zuließ und eine leichtere Handhabung der Schriften möglich machte.

7Q5 ist allerdings nur einseitig beschrieben und dürfte daher am ehesten einen Text aus dem Alten Testament wiedergeben. Als weitaus bessere Identifizierungsmöglichkeiten für 7Q5 bieten sich gleich drei alttestamentliche Texte an: Exodus 36,10-11; zweites Königsbuch 5,13-14 oder Sacharja 7,4-5, wobei letzterem die höchste Wahrscheinlichkeit zukommt.

Damit allerdings offenbart sich ein weiteres Problem solcher Textidentifizierungen: Völlige Sicherheit betreffs der Zuordnung eines Textes lässt sich erst dann finden, wenn das Fragment beidseitig beschrieben und damit die Möglichkeit einer Gegenprobe gegeben ist. Bei kleinen Textfragmenten ist eine eindeutige Zuschreibung im Falle einseitiger Beschriftung allerdings nicht mehr möglich.

Ideologische Vorgaben Spätestens hier allerdings muss man der von Thiede an den Tag gelegten Hartnäckigkeit weiter auf den Zahn fühlen. Bei objektiver Betrachtung gelingt es nicht ganz, sich des Eindrucks zu erwehren, dass für Thiedes These eher ideologische Vorgaben denn wissenschaftliche Redlichkeit Pate gestanden haben.

In der Tat hält Thiede mit seinem eigentlichen Anliegen auch nicht hinterm Berg. Auch in der furche vom 21. Juni nennt er die Frühdatierung des Markusevangeliums als Konsequenz seiner Thesen. Im Jahre 68 wurde die Siedlung von Qumran in den Wirren des Jüdischen Krieges durch die von Jericho heranrückenden Römer zerstört. Sämtliche Schriftrollen müssen daher vor diesem Datum entstanden sein. Hätte man in Qumran ein Fragment des Markusevangeliums gefunden, müsste man obendrein mit einer längeren Vorgeschichte des Textes rechnen und käme so auf ein Entstehungsdatum etwa um 50 n. Chr.

Tatsache ist, dass wir von keiner Schrift des Neuen Testamentes mit Sicherheit ein konkretes Entstehungsdatum nennen können. Dennoch gibt es in fachlichen Kreisen einen fast einmütigen Konsens, dass der erste Evangelist, Markus, erst um das Jahr 70 sein Evangelium verfasste. Dafür können triftige Gründe genannt werden - etwa das beginnende Wegsterben der Zeitgenossen Jesu und der damit verbundene Wunsch nach schriftlicher Fixierung alter Traditionen. Weiters lassen sich in den Evangelien bereits konkrete Spuren einer fortschreitenden Institutionalisierung der Kirche ablesen. Nicht zuletzt aber wirkte die Katastrophe des Jahres 70 (Fall Jerusalems und Zerstörung des Tempels durch die Römer) als Scheidemarke zwischen Juden und Christen.

Mangelnder Glaube Die in den Evangelien geleistete Reflexionsarbeit darf dabei nicht als eine Verfälschung der ursprünglichen Jesusbotschaft verstanden werden, wie dies oft von konservativen Kreisen als Kritik an moderner Bibelwissenschaft moniert wird. Gerade in der theologischen Reflexion der Evangelisten vermag der Gläubige das Werk des Heiligen Geistes zu sehen.

Die Sehnsucht, mit einer Frühdatierung der Evangelien noch näher an den historischen Jesus selbst heranzurücken und damit "echtere", authentischere Berichte zu gewinnen, erweist sich aus dieser Perspektive als mangelnder Glaube an das Wirken des Gottesgeistes in seinen Evangelisten - sowie als eine Verkennung historischer Prozesse. Ein Evangelium wird dadurch nicht "wahrer", dass man es von 70 auf 50 n. Chr. vordatiert.

Umgekehrt kann man aber auch bei einer Datierung nach dem Jahre 70 davon ausgehen, dass in der lebendigen Erzähltradition Palästinas die wichtigsten Ereignisse des Lebens Jesu korrekt und in der für unser Heil relevanten Form zuverlässig kolportiert wurden. Ein Etikettenschwindel ist dafür allerdings nicht vonnöten.

Der Autor, Angehöriger des Franziskanerordens, ist Assistent für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Umstrittene Frühdatierung der Evangelien Die These: "Wir haben ein Schriftrollenfragment aus der Höhle 7 von Qumran dank papyrologischer Analysen als eine Stelle aus dem sechsten Kapitel des Markus-Evangeliums identifizieren können. Das ist deshalb spannend, weil die Höhlen nachweislich 68 n. Chr., als die Siedlung von den Römern erobert wurde, verschlossen worden sind. Trotzdem möchte ich hinzufügen, dass die Funde von Papyri allein nicht ausschlaggebend sein können. Sie geben uns nur das spätest mögliche Datum an. [...] Schon in den 70er Jahren hat der britische Theologe und Neutestamentler John A. T. Robinson behauptet, alle Texte des Neuen Testaments müssten vor dem Jahr 70 entstanden sein. Heute kommen viele Historiker, Altphilologen und auch Theologen zur Erkenntnis, dass Robinson in vielem Recht gehabt hat."

Aus dem Gespräch mit Carsten P. Thiede, furche 25/S. 11

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