Keltenbäume, Kraftorte, Kapitalquellen

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Vor dem Besuch eines Qi-Gong-Seminars empfiehlt sich die Lektüre des ersten spezifisch österreichischen Sekten- und Esoterikatlas. Er bietet seriöse und gleichzeitig spannende Aufklärung.

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Vor dem Besuch eines Qi-Gong-Seminars empfiehlt sich die Lektüre des ersten spezifisch österreichischen Sekten- und Esoterikatlas. Er bietet seriöse und gleichzeitig spannende Aufklärung.

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Kaum ein Kurhotel kommt heute mehr ohne ihn aus: Die gut besuchten Seminare des attraktiven Qi-Gong-Lehrers sind fester Bestandteil aller Wellness-Zentren und Volkshochschulen. "Weck den Tiger in dir!" ermuntert er seine meist weiblichen Teilnehmer, die von Zeit zu Zeit eine Art Urschrei ausstoßen. Tut das chinesische Entspannungsritual Qi-Gong "einfach nur gut"? Oder steckt hinter dem Seminarangebot eine Sekte, die samt Energieströmen eine irrationale und frauenfeindliche Weltanschauung miteinfließen läßt?

Wer den österreichischen Sekten- und Esoterikatlas "Kraftorte-Geldquellen" gelesen hat, traut nachher nicht einmal mehr Qi-Gong und Bachblüten-Tröpfchen über den Weg. Doch keine Angst vor dem ebenfalls esoterisch klingenden Namen der Autorin: die Journalistin El Awadalla gilt bei Fachleuten in Sektenberatungsstellen als seriöse Kennerin der Esoterik- und Sektenszene.

Im ersten Teil des Atlas präsentiert sie - nach Bundesländern geordnet - einen Überblick über die Aktivitäten esoterischer und sektiererischer Zirkel: Der erstaunte Leser aus Wien erfährt beispielsweise, daß Esoteriker bevorzugt zum "Kraftort Virgilkapelle" am Stephansplatz pilgern. Niederösterreichische Eltern im Bezirk Baden dürfte es wiederum interessieren, daß die sogenannte "Lernwerkstätte" nicht nur eine besondere Methode des Nachhilfeunterrichts, sondern auch eine Zweigstelle der Scientology-Sekte ist.

Feng Shui bis Opus Dei Im zweiten Teil des Atlas hat El Awadalla die wichtigsten Begriffe und Praktiken totalitärer und fundamentalistischer Bewegungen gesammelt unter Stichwörtern von "Feng Shui", "Holosophische Gesellschaft" bis zum "Keltischen Baumkreis". Hier findet sich auch eine Aufzählung katholischer Bewegungen, die unter "konservativ", "autoritär" und "fundamentalistisch" subsumiert sind: Die Liste beinhaltet unter anderem die "Legio Mariae", das "Neokatechumenat", das "Opus Dei" oder "Das Werk", seltsamerweise wird dabei auch der "Cursillo" genannt. Die Aufzählung ist sowohl hinsichtlich der Vollständigkeit als auch der Gewichtung und Bewertung problematisch. Andererseits ist anzuerkennen, daß Awadallas betont areligiöser Standpunkt keinen Unterschied macht zwischen autoritären Gruppierungen, seien sie esoterisch oder katholisch. Nicht zuletzt deshalb gelingt es ihr, sachliche Distanz zu wahren.

Ab und zu mischt sich ein Ton ungläubiger Ironie in ihre manchmal fast zu kurzen, aber prägnanten Beschreibungen: Vor allem dann, wenn sie die Verflechtungen von esoterischen Zirkeln und öffentlichen Interessen an Touristenattraktionen beschreibt: Da unterstützt das Kulturamt der Stadt Villach die sogenannte "Lithopunktur" des "sensitiven Künstlers" Marco Pogacnik, der auf den "Kraftpunkten" Villachs Steinsäulen errichtet - riesige Akupunkturnadeln zur "Heilung" zerstörter Landschaften. Und auch die Gemeinde Wien hat ihr Herz für die Esoterik entdeckt: Laut Awadalla hat sie mit vermutlich 40 Millionen Schilling (!) die Errichtung eines keltischen Baumkreises in der Nähe des Cobenzl im Wienerwald unterstützt. Hier teilt ein Horoskop dem Keltengläubigen mit, welche Baumsorte zu seinem Charakter paßt.

Spätestens hier wird klar: Was lange Zeit von aufgeklärten Menschen als harmlose Spinnerei einiger Esoteriker bezeichnet wurde, ist längst fester Bestandteil des öffentlichen Lebens und der Politik, ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor und Einfallstor für menschenverachtende Sekten. Aufklärung über diese Verflechtungen ist dringend notwendig. Awadalla liefert mit ihrem Esoterikatlas dazu eine gute Grundlage.

Kraftorte - Geldquellen. Österreichischer Sekten- & Esoterikatlas.

Von El Awadalla. Folio Verlag, Wien 2000. 240 Seiten, brosch., öS 270,-/e 19,62

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