Ketzer von Beruf

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Adolf Holl wird 75 - und legt in seinem neuen Buch "Der lachende Christus" an intellektuell-publizistischer, angreifbarer und augenzwinkernder Virtuosität noch einiges drauf.

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Adolf Holl wird 75 - und legt in seinem neuen Buch "Der lachende Christus" an intellektuell-publizistischer, angreifbarer und augenzwinkernder Virtuosität noch einiges drauf.

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Glauben Sie, dass der Herr Professor Heer noch katholisch ist?" Diesen Ausspruch Kardinal Königs, "als ich mit ihm in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre noch gut unterwegs war", hat Adolf Holl auch in der Furche (18. September 2003) überliefert. Wenige Jahre danach hätte die Kardinals-Frage auch vertauscht - also an Heer über Holl - gestellt werden können.

Zwischen dem 1983 verstorbenen Friedrich Heer und Adolf Holl, der am 13. Mai den 75er begeht, gibt es mehr als einen Berührungspunkt: Beiden gebührt das Prädikat "Polyhistor", bei beiden ist das unbändige Verlangen evident, alles in große geschichtliche Bögen einzuordnen und dabei mit Details und Zusammenhängen aufzuwarten, die man zuvor nicht vermutet hätte. Und bei beiden ertappt man sich wiederholt beim Verdacht, dass sie vor allem die Belege, die diese Bögen stützen, zusammenpflücken - Raum für Gegenargumente lassen beide wenig.

Bruch in der Biografie

Wahrscheinlich will Holl, selbst wahrlich kein lakonischer Autor, sich mit der Meterdicke der hinterlassenen Heer-Werke nicht messen, wie umgekehrt Heer von den Verkaufszahlen Holl'scher Publizistik nur hätte träumen können. Und obige - reale wie fiktive - Kardinals-Frage scheint beantwortet: Friedrich Heer blieb doch noch katholisch, Adolf Holl hingegen war es für Franz König nicht mehr. 1973, zwei Jahre nach dem Erscheinen von Holls "Jesus in schlechter Gesellschaft", suspendierte der damalige Wiener Erzbischof, bekanntlich alles andere als ein dogmatischer Hardliner, den Autor als Priester und später auch als katholischen Theologen.

Als Papst wäre der ehemalige Priester sowieso aus seiner Rolle gefallen. Denn im Ketzersein, zumindest aber im Gottesnarrentum hat Holl seinen wahren Beruf gefunden.

Den Bruch in der Biografie hat Adolf Holl in seinen Büchern kontinuierlich aufgearbeitet. Vielleicht hat solch permanenter persönlicher Bezug zum publizistischen Erfolg beigetragen; sicher gehörte dazu auch sein Talent fürs verständliche Ausdrücken komplexer Sachverhalte (in der deutschsprachigen Theologenzunft bis heute eine seltene Gabe) sowie das Gespür für religiöse Themen, noch bevor sie in Mode kamen: Seine 1977 erstmals erschienene "Mystik für Anfänger" kann auch heute noch allen empfohlen werden. Exzeptionell gleichfalls die Franziskus-Biografie "Der letzte Christ" (1979), die Wiederentdeckung der Demut ("Die Welt zum Narren halten", 1993) oder "Die linke Hand Gottes. Eine Biographie des Heiligen Geistes" (1999). 1998 legte Adolf Holl sogar ein Programm fürs höchste Amt der Christenheit vor: "Falls ich Papst werden sollte". Das jüngste Konklave ging darüber aber bekanntlich hinweg, und so steht jetzt ein Benedetto (Benedikt XVI.) und nicht Sistosesto (Sixtus VI.), wie sich Holl genannt hätte, den Katholiken vor.

Als Papst wäre der ehemalige Priester sowieso aus seiner Rolle gefallen. Denn im Ketzersein, zumindest aber im Gottesnarrentum hat Holl seinen wahren Beruf gefunden. Trotz ehrbarer Auszeichnungen wie des Staatspreises für Kulturpublizistik (2003) verstörte er bis zuletzt durch seinen augenzwinkernden Zugang zu den "Religionsangelegenheiten". So wurden im vergangenen Jahr die Ö1-"Gedanken für den Tag" mit Adolf Holl nach einer von sechs geplanten Sendungen abgesetzt: Der Publizist hatte aus seinem Buch "Weihrauch und Schwefel" gelesen - und zwar eine ihm berichtete Sexualfantasie beim Betrachten einer Madonnenstatue, womit er brave Gläubige sowie die orf-Oberen maßlos verschreckte.

Konservative Religiosität

Dabei sind Gläubigkeit und eine konservative Religiosität - wenn auch eben in bewusst ketzerischem Gewand - Markenzeichen von Adolf Holl. In seinem neuen Buch "Der lachende Christus" spielt er virtuos auf dieser Klaviatur und legt noch einiges darauf: Ausgehend von einer 1945 in Ägypten entdeckten Schrift sinniert Holl 300 Seiten lang über ein Gegenbild zum leidenden Christus, das ihn jahrelang, und, wie er insistiert, die ganze Christenheit seit jeher in Bann gehalten hat. Die Schrift aus der Frühzeit des Christentums offenbart nicht den am Kreuz umgekommenen Menschheitserlöser, sondern eine lachende Version dazu.

Holl dekliniert seine Argumente für diese - neue - Christusgestalt anhand aller ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarien durch. Er zieht die Gnosis dabei ebenso heran wie die Bibel und legt dabei einen Parforce-Ritt durch Christentums- und Religionsgeschichte vor: Wer liest heute noch die Kirchenväter oder Aristoteles und Plato? Bei Adolf Holl werden die alten Geschichten und Überlegungen zu neuem Leben erweckt und in die Argumentation des Autors eingebaut. Dazu dann auch die Wüstenväter der ersten nachchristlichen Jahrhunderte oder Symeon der Säulenheilige, ebenso die Gottesnarren der russischen Orthodoxie. Solches und anderes mixt Holl mit Erkenntnissen von und über C. G. Jung, Sigmund Freud, Hans Jonas oder Ludwig Wittgenstein, und er zieht Parallelen zu anderen Weltreligion wie dem schiitischen Islam.

Gott ist manisch, so Holls Charakteristik der "syrischen Narrentheologie" aus dem ersten Jahrtausend, an anderer Stelle nennt er Moses, Jesus und Mohammed die "drei Menschheitsbetrüger" - und das ist nicht blasphemisch oder despektierlich gemeint, sondern eben gottesnärrisch, echt hollisch also.

Humorlose Religion(en)

Intellektuell virtuos, dogmatisch ein Wahnsinn (für alle im Buch bemühten Konfessionen und Religionen!), aber das alles einmal mehr verquer denkend und so zum Nachdenken anregend: Wer sich und seinen Glauben dem aussetzen mag, ist mit dem "Lachenden Christus" gut bedient - und wer zusätzlich wissbegierig ist, erfährt viel und wird manche Erkenntnis neu einordnen.

Buchstäblich auf den letzten Buchseiten kommt Adolf Holl drauf, dass in dieser Mixtur aus Religions- und Ketzergeschichte von allen Seiten nur männliche Blickwinkel und männliche Akteure zur Sprache kommen. Auf den ersten Blick ärgerlich: Hat man da jetzt hunderte Seiten mit politischer Inkorrektheit verplempert? Auf den zweiten Blick: Nein. Denn Holl, dieser Meister theologischer Subversion, hat damit nur einen weiteren Floh ins Ohr gesetzt: Er hält in den letzten Zeilen jedenfalls die Erkenntnis bereit, "vor der Mauer des weiblichen Schweigens in den Religionsangelegenheiten der letzten paar tausend Jahre" bleibe "ein Problem für die männliche Selbstkritik". Vielleicht, so der argumentative Schlusstrick Holls, ist das ja der Grund dafür, dass das Christentum und andere so humorlose Religionen geblieben sind.

Adolf Holl: Der lachende Christus - © Foto: Paul Zsolnay Verlag
© Foto: Paul Zsolnay Verlag
Buch

Der lachende Christus

Von Adolf Holl
Paul Zsolnay Verlag 2005
318 S., geb., € 22,10

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