Kierkegaard für die Predigt

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Der scharfe Christenheits-Kritiker bleibt auch 150 Jahre nach seinem Tod ein unangenehmer "Zeitgenosse".

Soeren Aabye Kierkegaard ist für die christliche Kirche eine große Verlegenheit. Wenn Joakim Garff in seiner großen Biografie gleich zu Beginn beschreibt, wie Bischof Martensen halb hinter dem Vorhang versteckt die Leute beobachtet, die nach dem Begräbnis Kierkegaards aus der Kirche strömen, dann ist das ein sprechendes Bild. Und es offenbart die ganze Ambivalenz diesem Menschen gegenüber, der das Christentum in die Christenheit einführen wollte.

Er war ein Störenfried, und er wollte das auch sein. Ein christlicher Sokrates, und ebenso lästig wie dieser. An einer Stelle seiner Tagebücher beschreibt er sich als einen gut abgerichteten Jagdhund dessen Blick in allem allein auf seinen Herrn gerichtet ist. Wenn dieser ihm befiehlt, still zu halten, dann erleidet er, was mit ihm getan wird. Befiehlt dieser ihm aber, seine Macht zu gebrauchen, dann packt er zu und beutelt die kleinliche weltlich-kluge, ideenlose Mittelmäßigkeit.

Wider die Mittelmäßigkeit

Das klingt nicht nach einem angenehmen Zeitgenossen. Und angenehm ist er auch 150 Jahre nach seinem Tode nicht, wenn man ihn ernst nimmt. Denn: Zwar haben sich die (kirchlichen) Zeiten geändert, aber gewisse Grundstrukturen sind gleich geblieben und damit auch die schmerzhafte Treffsicherheit mancher Kritik Kierkegaards.

Der Einfluss Kierkegaards auf die Theologie insgesamt und damit auch auf die Verkündigung war eine Zeit lang im Zusammenhang mit der dialektischen Theologie und ihren Ausdifferenzierungen sehr groß. Das ist jedoch schon längere Zeit nicht mehr so; weder in der Praktischen Theologie noch in der Homiletik (abgesehen von Fred B.Craddock) spielt er eine größere Rolle und ich schätze seinen direkten Einfluss auf die Predigtpraxis als entsprechend gering ein.

Dennoch wirkt er unterirdisch weiter, und ich möchte im Folgenden zwei Punkte herausgreifen, die mir für die Verkündigung von bleibender Relevanz zu sein scheinen und in denen Kierkegaard heute wie damals in seiner Kritik zu hören wäre:

Frage der Gleichzeitigkeit

Originalton Kierkegaard: Und lass uns nicht vergessen: Zeichen und Wunder in der Lage der Gleichzeitigkeit haben eine ganz andere Federkraft, abzustoßen und anzuziehen als dieses Sanftfromme, dies, wie die Pastoren für gewöhnlich es aufwärmen, noch Sanftfrömmere über Zeichen und Wunder - die achtzehnhundert Jahre her sind. Zeichen und Wunder in der Lage der Gleichzeitigkeit sind so etwas, das einem verflucht auf den Leib rückt, etwas, das einen auf höchst genierliche Weise beinahe zwingt, eine Meinung zu haben, etwas, über das man sich, wenn man nun einmal nicht dazu aufgelegt ist zu glauben, in hohem Maße erbittern kann um deswillen, dass man mit ihm gleichzeitig ist, denn es lässt das Dasein gar zu anstrengend werden, sonderlich je verständiger, entwickelter und gebildeter man ist."

Diese Kategorie der Gleichzeitigkeit ist zentral, denn gegenüber dem Unbedingten gibt es keine andere Kategorie als eben diese Gleichzeitigkeit. Und das bedeutet: der Anspruch der Person Jesu, seine Handlungen und Worte bringen mich in die (durchaus unangenehme) Lage, mich ihnen gegenüber verhalten zu müssen.

Kierkegaards Intention war es, jene wohlwollende Neutralität zu durchbrechen, die meinte: Ja, das Christentum müsse etwas Bedeutendes sein, denn es habe sich ja im Lauf der Geschichte gezeigt, dass es Kraft besessen habe usw.

Demgegenüber beharrt er darauf, dass die Geschichte (also die Wirkung) des Christentums über seine Wahrheit gar nichts auszusagen vermöge.

Wer Christ sein will, der bleibt auf die Worte dieses unscheinbaren Menschen aus Nazareth verwiesen. Nur so ist der Glaube zu haben, wenn die Möglichkeit, Anstoß zu nehmen, sich daran zu ärgern, nicht durch die Geschichte beseitigt wird.

Denn nur so entsteht der Glaube, in der Beziehung zu dem der eigentlich spricht; nur so ist er in besonderem Sinne unmittelbar, nicht durch Instanzen oder Wirkungen begründet. So wenig Kierkegaard bestreiten würde, dass der Glaube durch diese Instanzen und auch durch die Geschichte vermittelt wird, so wenig ist er dadurch doch begründbar.

Einbruch des Unbedingten

Für die konkrete Verkündigung bedeutet das: In der Predigt dürfen nicht alle Schwierigkeiten des biblischen Textes beseitigt werden.

Es gilt für bestimmte Aspekte diese Schwierigkeiten geradezu herauszustellen. Die Stolpersteine nicht einzuebnen, sondern in den Weg zu legen. Um es in moderner Diktion zu sagen: Wer die manchmal geradezu unheimliche Fremdheit des Tuns, des Anspruches und der Worte Jesu in Verständlichkeit und Begreifbarkeit übersetzt, der baut eine Brücke des Verstehens, die auf jeden Fall nicht zu diesem Jesus von Nazareth führt, sondern zu einer domestizierten, kulturell und kirchlich (!) angepassten Projektion desselben.

Eines des großen Anliegen Kierkegaards war es, darauf hinzuweisen, dass das Christentum nicht darin bestünde, das "normale" Leben zu bestätigen, zu unterstützen und zu verschönen (eine Sammlung milder Trostgründe darzustellen - so seine Diktion), sondern dass es einen Konflikt in das Leben trage, indem es den Einbruch der Unendlichkeit in die Endlichkeit darstelle, des Unbedingten in das Bedingte. Es war für ihn unerträglich zu beobachten, wie das Christentum derart verharmlost wurde, dass nichts mehr durchschien von der radikalen Forderung Jesu in die Nachfolge.

Primat der Erlösung

Dabei ging es ihm nicht so sehr um einen Aufruf zur veränderten Praxis. Vielmehr galt sein heftiger Angriff (zu dem sich dieses Anliegen bald auswuchs) einer Volkskirche, die ihr Glaubens- und Denksystem gegenüber dem radikalen Zugriff Gottes, gegenüber dem Unbedingten abschottete und abschirmte.

Es ist dies ein Motiv, eine Grundspannung, die sich von Anfang an im Alten und Neuen Testament zeigt. Der Mensch findet sich in der Schöpfung. Er arbeitet und lebt in der Familie, wächst auf, findet einen Partner, gründet ein Heim, eine Familie..., genießt sein Leben und richtet sich in seinem Umfeld ein.

Die Spannung beginnt, als Gott sein erwähltes Volk aus Ägypten führt. Denn die Erwählung bringt einen neuen Aspekt zur Geltung. Nicht mehr die "Schöpfungsordnung" ist genug, es gilt ein Neues. Ein Leben zu führen, das Besonders ist, weil herausgerufen. Diese Linie vollendet und radikalisiert sich im Wirken Jesu. Er geht so weit, Menschen aus ihren kreatürlichen Beziehungen herauszurufen, fordert sie auf, diese hintan zu stellen und ihm zu folgen.

Schöpfung und Erlösung stehen in einer Spannung zueinander, und die Erlösung fordert den Primat. Kierkegaard sieht nun in der Volkskirche seiner Zeit die Tendenz, sich ungebrochen in den Schöpfungsbezügen einzurichten und das Christentum zur Erhöhung der Lebensqualität zu benutzen.

Demgegenüber bringt Kierkegaard mit Vehemenz und steigender Schärfe seinen Protest zur Geltung:

Das Christentum ist nicht als ein Prachtstück von milden Trostgründen in die Welt gekommen - sondern als das Unbedingte. Es ist aus Liebe, dass Gott so will, aber es ist auch Gott der da will, und Gott will was er will. Er will sich nicht umschaffen lassen von den Menschen und ein gar lieber - menschlicher Gott werden: er will umschaffen, die Menschen umschaffen, und das will er aus Liebe.

Die Wahrheit, diese Schlinge

Für die Verkündigung bedeutet dies vor allem, dass sie lernen muss: Primäre Aufgabe ist nicht die Stabilisierung menschlicher Existenz und ihrer Verhältnisse, so als wäre Gott für die menschlichen Bedürfnisse da, sondern die Herausforderung zur Nachfolge, zur Orientierung am Reich Gottes, der neuen Wirklichkeit.

Denn, so eine der provozierenden Äußerungen Kierkegaards in den Tagebüchern: Die Wahrheit ist eine Schlinge: Du kannst sie nicht haben, ohne dass du gefangen wirst; du kannst die Wahrheit nicht derart haben, dass du sie fängst, sondern nur derart, dass sie dich fängt.

Der Autor ist Superintendent der evangelischen Diözese A.B. Oberösterreich.

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