Kirche – im Wechselbad der Gefühle

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Auf ein Wort

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Auf ein Wort

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Ein ruhiger Sonntagnachmittag. Zeit zum Nachdenken, auch über die Kirche. Zeit zum Schreiben dieser Kolumne: über die tragische Unfähigkeit Roms, das befreiende „E“-Wort zu sagen – eine ehrliche Entschuldigung für all den Murks der vergangenen Wochen. Für Fehlentscheidungen, die – zugegeben – in ihren Wirkungen noch weit schlimmer waren als in den ursprünglichen Absichten. Denn dass Benedikt XVI. kein Antisemit ist und der Pfarrer von Windischgarsten kein Bösewicht, ist ja offenkundig.

Und doch: Wie bitter hat das Ansehen der Kirche gelitten! Und was wäre den Bischöfen erspart geblieben, hätte ihnen die Erfahrung erlaubt, ihre Enttäuschung und Bestürzung früher und freier äußern zu können!

Wer hat da wem was abgetrotzt?

Und dann der Sonntagabend: Der Fast-schon-Weihbischof gibt auf. Wird aufgegeben. Also: Weg mit dem alten Text vom Nachmittag. Ganz neue Fragen stellen sich. Etwa: Wer hat da wem was abgetrotzt? Volk und Dechanten den Bischöfen? Österreichs Bischöfe der römischen Kurie? Die Kurie gar dem Kandidaten Wagner? Fast meint man, das Ächzen zu hören. Was würde jetzt mancher dafür geben, gäbe es kein Internet, in dem alle Durchhalteparolen der Tage für immer nachlesbar bleiben.

24 Stunden später ist auch dieser Kolumnen-Text Makulatur. Denn die Bischofskonferenz hat gesprochen – und ein guter Geist hat ihr Tun und ihre Feder geführt. Jetzt ist viel von dem niedergeschrieben, was diese Krise und unsere Zeit erfordern: das Eingeständnis der Fehler und der internen Bedrängnis; das Miteinander von Klerus und Volk; die Bitte um (mehr) „pastorales Gespür“ Roms bei der Bischofsauswahl – und das Verlangen, dem Papst künftig nur „verlässliche und umfassend geprüfte“ Unterlagen vorzulegen. Vier wichtige Bischofsernennungen im Land stehen ja bevor. Und: Bischöfe sind ja – bei aller Treue zu Rom – nicht Kapläne des Papstes, sondern Hirten ihrer Diözesen.

Ist jetzt alles gut? Wer das glaubt, übersieht die Breite der Kluft zwischen „fester Burg“ und „gläsernem Haus“, zwischen Autorität und Kollegialität, zwischen Amt und Mysterium, zwischen Homogenität und Pluralität, zwischen Priester-Kirche und „Leute-Religion“. Diese Kluft ist bedrohlich und fruchtbar zugleich. Und wer jetzt das Schweigen Roms zu dem, was sich Österreich leistet, vorschnell als stille Form römischer Zustimmung deutet, der unterschätzt das Repertoire vatikanischer Kunstgriffe im Umgang mit aufmüpfigen Teilkirchen, kurz- und längerfristig.

Erleichterung ist erlaubt

Aber ein Stück Erleichterung ist doch erlaubt. Und wer hätte vorhersagen können, dass dieses Gefühl jetzt Bischöfe, Laien und selbst den Pfarrer von Windischgarsten eint.

Gibt es aus all dem eine Lehre? Ich meine, die Nah- und Fernstehenden könnten erkennen, wie viel Kraft, auch Widerstandskraft, noch immer in dieser belächelten, längst abgeschriebenen Kirche lebt. Wie viel Freude am Glauben hinter allem „Leiden an der Kirche“ überlebt hat. Auch, wie notwendig es ist und bleibt, wachsam zu sein. Und wie sehr sich in einer zuhörenden, liebevollen „Kirche der Mitte“ die Hierarchen auf das gläubige Volk verlassen könnten.

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