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Kirche: Ein Provisorium?

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Es gehört zu den frappantesten Erkenntnissen der Soziologie, daß auch das menschliche Wissen in Form und Inhalt tiefgreifend von gesellschaftlichen Voraussetzungen abhängt. Küng legt dies an Hand der Lehre von der Kirche bestechend dar: Je nach der wirklichen Situation der Kirche gab es sehr unterschiedliche Kirchenbilder, schon in der alten Kirche und im Mittelalter, aber auch in der Neuzeit, wobei das letzte vom jüngsten Vatikanischen Konzil formuliert wurde.

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Es gehört zu den frappantesten Erkenntnissen der Soziologie, daß auch das menschliche Wissen in Form und Inhalt tiefgreifend von gesellschaftlichen Voraussetzungen abhängt. Küng legt dies an Hand der Lehre von der Kirche bestechend dar: Je nach der wirklichen Situation der Kirche gab es sehr unterschiedliche Kirchenbilder, schon in der alten Kirche und im Mittelalter, aber auch in der Neuzeit, wobei das letzte vom jüngsten Vatikanischen Konzil formuliert wurde.

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Freilich, verschiedene Bilder zeugen von einer letztlich gleichen Sache. Verschiedene Gestalten verweisen auf ein zugrunde liegendes Wesen. Veränderung von einer tieferen Identität. Konsequenterweise versucht deshalb Küng, dieses stets Bleibende an der Kirche aufzufinden. Als Quelle dient ihm dazu Jesu Botschaft von der anbrechenden Herrschaft Gottes und kommt auf diesem Weg zu drei grundlegenden Bestimmungen der Kirche: Volk Gottes, Geistesbau und Christusleib. Im Rahmen dieser Bestimmungen werden verschiedentliche aktuelle Fragen heutiger Kirchenstruktur aufgegriffen. Das Verhältnis Kirche und Reich Gottes, die Klerikalisierung der Kirche, die Frage nach den Charismen. Die Reduktion der Kirchenlehre auf die genannten drei Merkmale hält Küng für einen wichtigen ökumenischen Dienst, denn alle christlichen Kirchen, die der Botschaft Jesu folgen, könnten sich auf eine solche Kirchenlehre einigen. Mit demselben Anliegen behandelt Küng im folgenden die traditionellen Notae Ecclesiae, die im Verständnis überkommener Theologie geeignet waren, unter den vielen christlichen Kirchen die eine wahre Kirche Jesu ausfindig zu machen. Die Dimension, wie Küng die notae umdefiniert und ihnen den Charakter eines scheidenden Kriteriums nimmt, der Apostoli-zität bietet das Sprungbrett die Frage nach den Diensten der Kirche, dem Priesteramt und insbesondere des Petrusamtes aufzuwerfen und Losungen vorzuschlagen. Ein Kapitel über das Verhältnis von Kirche und Welt rundet diese Kurzfassung seiner Ecclesiologie ab. Wer den Ansatz Küngs, der zunächst ein wissenssoziologischer ist und die traditionellen Ecclesiologien deshalb zu Recht relativiert, konsequent zu Ende denkt, wird auch nach dem gesellschaftlichen Hintergrund der Küngschen Kirchenlehre (und damit weitgehend der Auffassung des II. Vatikanischen Konzils) fragen. Es ist ohne Zweifel die schmerzliche Erfahrung einer angesichts der säkular werdenden Welt versagenden Christenheit, die sich in Unkonfessionellen Streitigkeiten aufreibt und so allzuviel von jener Energie verliert, die sie für den Dienst an dieser Welt einsetzen müßte. Gerade der Weltdienst der Kirche zwingt zu einer Neubestimmung des Selbstverständnisses der Kirche(n). Inwieweit freilich die von Küng vorgeschlagenen Lösungen überkommener Streitfragen sowie das damit gezeichnete Kirchenbild selbst wieder ein im Angesicht der immer rascher sich wandelnden Welt ein Kind der Zeit und damit ein Provisorium ist, mag man auf dem Hintergrund des wissenssoziologischen Ansatzes Küngs mit Recht fragen.

WAS IST KIRCHE? Von Hans Küng, Verlag Herder, Freiburg, Herderbücherei, 376 Seiten, DM 3.90.

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