"Kirche ist Gottes Friedensbewegung"

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"Politisch" hat sich der neue Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer schon als Theologe betätigt - indem er sich etwa mit Franz Jägerstätters Spiritualität und Gewissenszeugnis auseinandersetzte. Ein Gespräch über die politische Dimension des Bischofsamtes und aktuelle gesellschaftspolitische Positionierungen - vom Verhältnis zum Islam bis zu Gott in der Verfassung.

Die Furche: Johannes Paul II. hat vor kurzem in einem Dokument über das Bischofsamt den Bischof als "Stifter von Gerechtigkeit und Frieden" bezeichnet. Das ist eine klare politische Dimension. Wie politisch fassen Sie Ihr Amt auf?

Bischof Manfred Scheuer: Da ist im Bischofsamt die Grundaufgabe von Kirche gebündelt, "Zeichen und Werkzeug der innersten Gemeinschaft des Menschen mit Gott und der Menschen untereinander" - wie es im Konzilsdokument "Lumen gentium" steht - zu sein. Das heißt: Die Kirche ist von ihrem Grundauftrag her Gottes Friedensbewegung. Von den Seligpreisungen her ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und das Stiften von Gerechtigkeit in die Gesichtszüge Jesu hineingeschrieben. Was das konkret heißt, ist auf sehr unterschiedlichen Ebenen und auch im Alltag zu buchstabieren - manchmal ziemlich mühsam.

Die Furche: Österreichs Kirchen haben gemeinsam versucht, sich im Ökumenischen Sozialwort zu positionieren. Ist das so eine Konkretion?

Scheuer: Das Ökumenische Sozialwort ist im Gespräch zwischen den Kirchen ein Meilenstein. Zum einen haben die Kirchen vom Evangelium her den Auftrag, Zeugen und Anwälte der Gerechtigkeit zu sein, zum anderen sind sie dazu auch legitimiert, weil sie innerhalb der Gesellschaft gerade im Bereich der Solidarität, der Caritas sehr viel tun. Sie sind also auch praktisch Erfahrene. Die Kirchen haben hier ein gewichtiges Wort in die Gesellschaft einzubringen. Das ist im Disput, manchmal auch im Streit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen durchzuführen. Wichtig ist dabei, dass dies in grundsätzlicher Achtung voreinander geschieht.

Die Furche: Sie selbst setzen sich schon lange mit Politik auseinander, indem Sie sich besonders für Gestalten des NS-Widerstandes interessieren: Franz Jägerstätter, Jakob Gapp... Was ist davon für heute wichtig?

Scheuer: Weder Jägerstätter noch Gapp haben sich selber zu Widerstandskämpfern ernannt, sondern sie haben aus ihrem Gewissen heraus eine Entscheidung gegen menschenverachtende Ideologien getroffen. Politische Bedeutung ist erst später herausgekommen. Das gilt für viele Formen des Martyriums: Gesucht wird nicht der Widerstand an sich, gesucht werden zunächst Gerechtigkeit und Humanität oder die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, wie es bei Franz Jägerstätter der Fall war. Was kann das heute bedeuten? Gegenwärtig lässt sich das Unrechtssystem nicht so klar benennen wie damals. Ich möchte demokratische Systeme nicht auf eine Ebene mit dem Nationalsozialismus rücken. Wer das tut, der verachtet die Leiden der Opfer. Gegenwärtig sind es eher anonyme Mächte, denen es zu widerstehen gilt. Etwa: Was bedeutet auf Dauer die Ökonomisierung unterschiedlicher Lebensbereiche - etwa der Bildung oder auch der Pflege, teilweise auch eine Ökonomisierung von Religion? Wohin führt die Aufspaltung der Menschen in lebenswerte und lebensunwerte? Wohin geht eine Gesellschaft, in der Gewalt und Verachtung zum alltäglichen Vokabular gehören? Heute braucht es das Vorleben konkreter Alternativen aus dem Evangelium heraus, es braucht das Einüben von Sozialformen des Glaubens und des Lebens, gefragt ist anschauliche Solidarität.

Die Furche: Eine zentrale Frage gegenwärtiger politischer Auseinandersetzung ist das Verhältnis zum Islam. Wie soll sich die Kirche da positionieren?

Scheuer: Zum einen gibt es da die Grundaussagen des 2. Vatikanischen Konzils, dass die katholische Kirche nichts von dem ablehnt, was in den anderen Religionen wahr und heilig ist. Von da aus gilt es zunächst, in anderen religiösen Traditionen das Positive wahrzunehmen und nicht von vornherein vom Bösen, von Verdunkelungen zu reden. Zum anderen ist im Hinblick auf den Islam ganz stark zu differenzieren zwischen unterschiedlichen Erscheinungsformen. Wir dürfen die Gesprächspartner nicht auf Extremvarianten des Fundamentalismus reduzieren. Und schließlich: Am Dialog führt kein Weg vorbei. Er ist manchmal mühsam, sicher, und ich stimme der Aussage von Bischof Kapellari zu, dass Toleranz keine Einbahnstraße sein kann. Gerade weil die katholische Kirche von der Einzigartigkeit und Universalität der Offenbarung in Jesus Christus überzeugt ist, kann sie lernbereit im Gespräch mit anderen sein. Das ist keine Schwäche sondern eine Stärke!

Die Furche: Auch unter Katholiken findet man klammheimliche Bewunderung des Islam, weil da die Religion eine Rolle spielt, wie sie bei uns verloren gegangen ist.

Scheuer: Es stimmt, dass im Islam Lebenskräfte da sind, die wir in den mitteleuropäischen Ausprägungen von Kirche teilweise vermissen. Manchmal ist es, wie Alfred Delp einmal geschrieben hat, dass eine müde gewordene Kirche müde gewordenen Menschen etwas vorsetzt. Und das bringt dann nicht viel. Ich gehe aber davon aus, dass wir als Kirche berufen sind, die christliche Identität zu suchen und Profil zu zeigen. Das setzt eher andere Fragen frei, nämlich: Wie verhält sich die Kirche in der säkularen Gesellschaft? Da sind z. B. Auseinandersetzungen im Kontext der Verfassungsfragen auf österreichischer und EU-Ebene: Wir haben als Kirche Gott zu bezeugen, das Evangelium öffentlich einzubringen. Toleranz kann sicher nicht bedeuten, dass den Christen die politische Stimme verboten wird. Eine Herausforderung ist auch, wie es Jürgen Habermas jüngst formulierte, dass die säkulare Gesellschaft etwas von den religiösen Traditionen lernt und dass umgekehrt auch die Religion, die Kirchen durch die Läuterung der Aufklärung hindurchgehen. Diese Reinigungsprozesse brauchen alle.

Die Furche: Soll Gott also in der Verfassung drinstehen oder nicht?

Scheuer: Diese Frage ist eine Verkürzung: Es geht ja nicht darum, dass da ein unbestimmtes Wort X drinnensteht. Es müsste darum gehen, dass wir nicht bloß allgemein oder beliebig von Gott reden, sondern konkret von der biblischen Offenbarung her. Und dann sind die Inhalte einer Verfassung und Gott aufeinander zu beziehen. Es würde nichts bringen, wenn in einer Präambel Gott drinnensteht, die Verfassungsinhalte aber wenig von Menschenwürde und Menschenrechten kennen würden.

Das Gespräch führten Otto Friedrich und Rudolf Mitlöhner.

Oberösterreichischer Theologe für die Tiroler

Als am 21. Oktober letzten Jahres die Ernennung des Trierer Dogmatik-Professors Manfred Scheuer zum Bischof von Innsbruck bekannt wurde, war die Überraschung perfekt: keiner der kolportierten Namen kam zum Zug,aber auch keiner, der polarisieren würde. Bei näherer Betrachtung erscheint Scheuers Kür aber logisch: Ein leiser, unaufgeregter Theologe, der Gesprächsbereitschaft vermittelt, aber dennoch ganz und gar nicht zum Revoluzzer wider die römische Linie taugt. "Spiritus vivificat - Der Geist macht lebendig" - Scheuers bischöflicher Wahlspruch, fasst sein geistliches Programm, dem er seit jeher verpflichtet ist, zusammen.

1955 wurde Scheuer in oberösterreichischen Haibach geboren, sein Studium absolvierte er in Linz, Rom und Freiburg. 1980 wurde er zum Priester der Diözese Linz geweiht, 1999 habilitierte er sich in Dogmatik in Freiburg, ab 2000 lehrte er dieses Fach an der Universität Trier. Schwerpunkt der Spiritualität, mit der sich Scheuer auch wissenschaftlich beschäftigte, waren die Themen "Glaube und Widerstand" sowie "Gedächtnis der Opfer und Täter". Scheuer setzte sich da insbesondere mit dem Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter auseinander und war im Linzer Diözesanprozess um eine Seligsprechung Jägerstätters der kirchliche Anwalt.

Am 14. Dezemeber 2003 wurde Manfred Scheuer zum vierten Bischof der jungen Tiroler Diözese geweiht.

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