Kirche ohne Putin

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Seit Dezember hat die Ukraine ihre eigene unabhängige orthodoxe Kirche, seit Jänner ist sie auch vom Ökumenischen Patriarchat anerkannt. Dennoch bleibt die Kirche des Moskauer Patriarchats einflussreich.

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Seit Dezember hat die Ukraine ihre eigene unabhängige orthodoxe Kirche, seit Jänner ist sie auch vom Ökumenischen Patriarchat anerkannt. Dennoch bleibt die Kirche des Moskauer Patriarchats einflussreich.

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"Heute ist die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) geboren", gab der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Mitte Dezember 2018 mit pathetischen Worten in der berühmten Kiewer Sophienkathedrale bekannt. "Es geht um die Kirche ohne Putin. Ohne Kirill (Der Patriarch der russischorthodoxen Kirche; Anm. d. Red.). Aber mit Gott und mit der Ukraine." Das war der Moment, in dem Tausende Menschen auf dem benachbarten Sophienplatz in Jubelstürme ausbrachen. Die Ukraine hatte damit ihren vorletzten Schritt zur Schaffung einer von Russland unabhängigen und international anerkannten Kirche vollzogen.

Der letzte Schritt war zu diesem Zeitpunkt formell schon gegangen. Bereits im Frühjahr 2018 hatte sich Poroschenko mit Bartholomäus I., dem Patriarchen von Konstantinopel, in Verbindung gesetzt, mit der Bitte, die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats offiziell anzuerkennen. Genau das hatten vorherige Präsidenten, vor allem der in Folge der Orangenen Revolution 2004 gewählte Wiktor Juschtschenko, bereits erfolgslos versucht. Die Erteilung der sogenannten Autokephalie zu beschleunigen, wurde zum Projekt Poroschenkos, der nach wie vor mit schlechten Umfragewerten vor der Präsidentschaftswahl kämpft. Diese Umtriebigkeit wurde zuerst mit Skepsis wahrgenommen. Doch diesmal lief alles anders. Erstens wurde auf der Basis der Kirche des Kiewer Patriarchats eine vereinte Kirche gegründet, zu der nun auch die vorher ebenfalls nichtkanonische autokephale Kirche gehört. Und zweitens haben Poroschenko und Metropolit Epiphanius, das erste Oberhaupt der neuen OKU, Anfang Jänner in Istanbul den Tomos, so wird ein wichtiger Erlass in der orthodoxen Welt genannt, erhalten. Allerdings legte die russisch-orthodoxe Kirche als Gegenmaßnahme ihre Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel auf Eis - und es gibt derzeit keine kanonische orthodoxe Kirche, die die OKU offiziell anerkennen will.

Es wird noch Zeit vergehen

"Es wird noch Zeit vergehen, bis sich alles etabliert", sagt Natalja Sydorenko, eine 67-jährige Rentnerin, als sie an einem sonnigen Februar-Sonntag einen Gottesdienst in der kleinen Kirche im Kiewer Bezirk Obolon besucht. Das Gotteshaus gehörte auch früher schon zum Kiewer Patriarchat. Natalja stammt aus Kiew -und ist ukrainischsprachig, was für die älteren Menschen in der ukrainischen Hauptstadt untypisch ist, denn lange galt Russisch als die dominante Sprache. "Ich war schon immer davon überzeugt, dass man in die eigene Kirche gehen muss. Vor der Annexion der Krim 2014 hatte ich aber nichts gegen das Moskauer Patriarchat. Seitdem die Russisch-Orthodoxe Kirche aber den Krieg in der Ostukraine unterstützt, habe ich immer weniger Verständnis für die Leute, die noch in die Moskauer Kirche gehen", setzt sie fort. "Nun fühlen wir, dass Konstantinopel hinter uns steht -und haben die Chance, etwas Großes aufzubauen", strahlt Nataljas Freundin Olexandra begeistert.

Groß ist der Gottesdienst nicht. Etwa 20 Menschen beten in einem schön dekorierten Raum. Hier kennen sich alle. Man trifft sich jeden Sonntag. Nebenan wird ein neues Gebäude hochgezogen, so soll die Kirche sichtbarer werden und an Bedeutung gewinnen. "Seitdem klar ist, dass wir den Tomos bekommen, wird hier viel gemacht, es gab sogar Besuche von hohen Geistlichen", erzählt Natalja weiter. "Auch wir hatten die Befürchtung, die Schaffung der OKU sei rein politisch und Poroschenko wolle einfach nur wiedergewählt werden, aber jetzt spürt man die Veränderungen."

Dass die Gründung der OKU sowie der Tomos hochpolitisch sind und Poroschenko bei der Wiederwahl helfen sollen, steht außer Frage. Zusammen mit Metropolit Epiphanius tourte der 53-Jährige durch einige Städte der Ukraine und präsentierte den Tomos der Bevölkerung.

Poroschenkos wichtigste Wahllosung, "Armee, Sprache, Glaube", ist vielsagend - ebenso seine Wahlplakate, die ihn mit dem Tomos zeigen und dies zum historischen Ereignis hochjubeln. Zudem besuchte Epiphanius Ende Jänner die Nominierungsveranstaltung des Präsidenten, auf der Poroschenko, übrigens ehemaliger Gläubiger der Kirche des Moskauer Patriarchats, seine Kandidatur für die Wahl im März verkündete. Seitdem ist das Thema "Kirche" in seinem Wahlkampf in den Hintergrund getreten. Man dürfe nicht übertreiben, wird in Poroschenkos Wahlstab jetzt betont.

Hat er den Bogen etwa überspannt? Zustimmen würden wohl nicht wenige Ukrainer. "Die OKU mag eine gute Sache sein, aber ich kann nicht mehr hören, wie unsere Politiker über die Kirchenfrage reden, obwohl sie sich früher gar nicht oder nur punktuell dafür interessierten. "Plötzlich wollen alle strenggläubig sein", klagt Oleh Iwanow, ein Kiewer mittleren Alters, der bei einem Mobilfunkanbieter arbeitet. "Außerdem ist die Ukraine doch ein säkularer Staat, das steht so in der Verfassung. Kirche und Politik sollten getrennt sein. Aber Poroschenko sitzt im Präsidium beim Vereinigungskonzil. Das klingt für mich nach Mittelalter." Auch der 33-jährige Sportjournalist Maxym Krawez ist die Kirchenrhetorik leid: "Das ist schon komisch, dass das Thema derart präsent ist. Klar ist das wichtig, aber wir leben doch im 21. Jahrhundert."

Dennoch freut sich Krawez, der sich selbst als rigorosen Atheisten bezeichnet, vor allem aus einem Grund über den Tomos und die Gründung der OKU: "Ich begrüße alles, was den Einfluss des Moskauer Patriarchats in der Ukraine verringert. Einige Bekannte machen dort aktiv mit und lassen sich von deren Propaganda berieseln, die auf dem Niveau des russischen Staatsfernsehens daherkommt. Solche Gehirnwäsche brauchen wir in der Ukraine nicht."

Mit etwa zwei Dritteln der orthodoxen Gemeinden bleibt die Kirche des Moskauer Patriarchats auch nach der Gründung der OKU die größte des Landes. Eine knappe Mehrheit der Gläubigen tendiert aber laut jüngster Umfragen zur neuen OKU. Darüber hinaus sollen laut Andrij Jurasch, der im ukrainischen Kultusministerium für Religionsfragen zuständig ist, bereits 340 Gemeinden vom Moskauer Patriarchat in die OKU gewechselt sein. "In all diesen Fällen hat ein Treffen der jeweiligen religiösen Gemeinde stattgefunden -und es gab Zeugen, die dieses Treffen beobachtet haben", sagte Jurasch in einem Interview. Die Kirche des Moskauer Patriarchats bezweifelt diese Zahlen offiziell. Die OKU sei ja erst am 30. Jänner registriert worden. Hinter vorgehaltener Hand gibt man jedoch zu, dass die Zahlen nah an der Wahrheit sind. Weil das Moskauer Patriarchat insgesamt aber rund 12.000 Gemeinden zählt, ist diese Entwicklung nicht katastrophal -vorerst. Es soll jedoch mehrere Vorfälle gegeben haben, bei denen die Gemeinden des Moskauer Patriarchats durch staatlichen Druck, etwa unter Mithilfe des Inlandsgeheimdienstes SBU, übergetreten seien.

Dmytro Kosak und Dmytro Karymskyj, beide um die 20 Jahre alt, stammen aus Priesterfamilien des Moskauer Patriarchats -und sind Studierende des theologischen Seminars. "Einerseits sind wir fassungslos, dass unsere so Kirche wenig dagegen unternimmt. Andererseits verstehen wir die Ohnmacht des Moskauer Patriarchats -und mit den Wahlen im Anmarsch lohnt es sich vorerst, stillzuhalten und das Ergebnis abzuwarten", erklärt Karymskyj, der die OKU zutiefst verachtet. "Der Tomos ist kirchenrechtlich genauso nichtig wie Klopapier. Dass niemand die OKU anerkennen will, sagt doch alles." Kosak, der zusammen mit seinem besten Freund als Kellner in einem georgischen Restaurant schuftet, teilt die Kritik, ist aber zurückhaltender: "Unsere Stimmung ist im Keller, obwohl wir Witze über den Tomos reißen. Was wir merken, ist, dass vor allem junge Priester in die OKU wechseln."

Viele in ihrer Kirche überlegten, bei der Präsidentschaftswahl den Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj, der derzeit die Umfragen anführt und vor allem bei der russischsprachigen Wählerschaft im Südosten der Ukraine beliebt ist, zu wählen. Alles, um eine weitere Amtszeit Poroschenkos zu verhindern. Ob Tomos und OKU-Gründung Poroschenko also tatsächlich geholfen haben, ist fraglich. Zwar konnte er Julia Timoschenko überholen und liegt momentan auf dem zweiten Rang, aber Selenskyjs Vorsprung wächst. - Sogar Poroschenkos eigene Wählerschaft findet, dass die OKU nicht zuerst Poroschenkos Verdienst ist.

Die 30-jährige Katholikin Iryna Kostenko aus Truskawez in der Westukraine freut sich über den Tomos: "Das ist sehr wichtig für unsere nationale Identität, die Schaffung der OKU macht mich einfach glücklich." Sie will für Poroschenko stimmen, ausschlaggebend dafür ist aber nicht die OKU: "Da hat er zwar mitgewirkt, aber nur aus PR-Gründen. Ich wähle ihn, weil er auf mich souveräner wirkt als Selenskyj und Timoschenko. Die Kirche hat damit nichts zu tun."

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