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Kirche und Naturrecht

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Für einen neuen Weg in der Frage „Kirche und Naturrecht" spricht sich der Schweizer Soziologe P. J. David SJ. in einem Beitrag in der katholischen Zeitschrift „Orientierung" (30. Jg., Nr. 11) aus. Die vorgetragenen Thesen, die vor allem Trennung von Lehr- und Hirtenamt betonen, sind von dem bekannten Wissenschaftler als Anstoß zur genaueren Untersuchung und Abgrenzung der Lehrautorität der Kirche in Fragen des reinen Naturrechtes gedacht. Sie wollen einen neuen Weg andeuten, auf dem viele Aussagen der „christlichen Soziallehre", der Staatslehre, der Ehe- und Sexualmoral einer theologischen Verbindlichkeit fernergerückt werden. Dadurch würde die Moraltheologie von manchem Ballast befreit werden. Man könnte Irr- tümer und Mißverständnisse einerseits, Entwicklungen und Fortschritte sowohl der Erkenntnis wie der Verhältnisse anderseits leichter integrieren, ohne daß immer gleich die Lehrautorität der Kirche in Anspruch genommen und — gleichzeitig aber — in Gefahr gebrächt würde. „Freilich müßte dann die Theologie auf manche Aussagen verzichten, für die sie ohnehin nur eine zweifelhafte Zuständigkeit besitzt.“

Nach ausführlicher Darstellung der Fragestellung und der Problematik, die sich aus den kirchlichen Lehrentscheidungen, insbesondere auf dem Ersten Vatikanischen Konzil, ergeben, entwickelt P. David seinen

Lösungsvorschlag, den er folgendermaßen zusammenfaßt:

„1. Die Kirche lehrt im Anschluß an die Heilige Schrift und mit dogmatischer Bestimmtheit, daß es ein Naturrecht gibt und daß dieses in seinen wesentlichen Bestimmungen mit der natürlichen Vernunft erkennbar ist.

2. Sie hat im Rahmen ihres Lehramtes darüber zu entscheiden, ob eine bestimmte Naturrechtslehre mit der Offenbarung vereinbar ist oder nicht.

3. Wenn sie selbst über den Inhalt dieses Naturrechtes weitere Aussagen macht, so gehören solche Aussagen, selbst wenn sie in feierlicher Form erfolgen, eher ins Hirten- als ins Lehramt. Sie können keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben, es sei denn, der Inhalt dieser naturrechtlichen Sätze sei zugleich in der göttlichen Offenbarung enthalten. Die Quellen der rein naturrechtlichen Sätze sind weder die Heilige Schrift noch eine echt theologische Tradition, da diese ja die Offenbarung zur Voraussetzung hat.

4. Trotzdem ist die Kirche unter bestimmten Umständen berechtigt und sogar gezwungen, auch Aussagen über bestimmte Forderungen des natürlichen Sittengesetzes zu machen — dies aber in Funktion nicht ihres Lehramtes, sondern ihres Hirtenamtes. Sie hat ja den Auftrag, den Gläubigen in der Verwirklichung christlichen sittlichen Lebens behilflich zu sein und ihnen auch zur richtigen Urteilsbildung zu verhelfen, wenn die Gläubigen aus eigenen Erkenntnissen dazu nicht in der Lage sind.

5. Da die Kirche zum Hirtenamt einen echten Auftrag hat, kann sie auch-in Fragen der sittlichen Lebensführung, die das Gewissen ihrer Gläubigen so tief bewegen, auf besonderen Beistand des Heiligen Geistes zählen, auch wenn sie damit nicht die Garantie der Unfehlbarkeit in diesen Fragen besitzt. Darum muß sie hier ganz besonders das Wissen und Urteil der Fachleute beiziehen, falls sie überhaupt sich gezwungen sieht, hier Stellung zu nehmen. Dasselbe gilt ja auch bei politischen Stellungnahmen, beispielsweise gegenüber dem Nationalsozialismus, Bolschewismus, in Schulfragen usw.

Da der Gläubige dem Hirtenamt der Kirche untersteht und anderseits die Kirche eines besonderen Beistandes des Heiligen Geistes sich erfreut, ist der Gläubige gehalten, solchen Weisungen der Kirche seine Zustimmung zu geben, auch wenn er sich bewußt ist, daß es sich hier nicht um unfehlbare Entscheidungen handelt. Besitzt aber der Gläubige genügendes Fachwissen und Einsicht, so können ihn schwerwiegende Gegengründe von dieser Zustimmung entbinden, ja sie können ihn sogar verpflichten, nicht nur persönlich der gegenteiligen Einsicht zu folgen, sondern gegebenenfalls diese auch, sei es privat, sei es öffentlich, zu vertreten."

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