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Kirche und Recht

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Geschichte des Kirchenrechts, Band I. Das Recht des ersten christlichen Jahrtausends. Von Willibald M. Plöchl. Verlag Herold, Wien 1953. 439 Seiten. Preis broschiert 118 S, gebunden 140 S

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Geschichte des Kirchenrechts, Band I. Das Recht des ersten christlichen Jahrtausends. Von Willibald M. Plöchl. Verlag Herold, Wien 1953. 439 Seiten. Preis broschiert 118 S, gebunden 140 S

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Nach der Publikation des neuen kirchlichen Gesetzbuches, des Codex Juris Canonici, am Pfingstfest (27. Mai) 1917, hat sich die kartonisti- sche Wissenschaft hauptsächlich auf die Bearbeitung des neuen Rechtsbuches verlegt, die Pflege der Rechtsgeschichte trat scheinbar in den Hintergrund. So ist z. B. das unbestrittene Standardwerk K ö s 11 e r s sein „Wörterbuch zum Codex Juris Canonici". Mehr noch tritt dieser Wandel bei den geistlichen Kanonisten in Erscheinung. Eichmann war seinem wissenschaftlichen Werdegang nach wesentlich Rechtsgeschichtler, so auch als Professor an der theologischen Fakultät der Wiener Universität von 1913 bis 1919. In seinem allgemein anerkannten Werk: „Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Juris Canonici", ist von Rechtsgeschichte wenig zu merken. Aus W e r n z, „Jus Decrėtalium", wurde Wer nz- Vidal, „Jus Canonicum". Scherers, des Rechtshistorikers der theologischen Fakultät der Wiener Universität — gestorben 1919 — unvergängliches Werk: „Handbuch des Kirchenrechtes", erlebte anastatische Neudrucke, aber keine neue Bearbeitung oder eine gleichwertige moderne Bearbeitung des dargebotenen Stoffes.

Die katholischen Kanonisten, vor allem des geistlichen Standes, haben sjch, dem praktischen Bedürfnis der Kirche entsprechend, in ihren großen wissenschaftlichen Arbeiten so sehr der Rechtsdogmatik des geltenden Rechtes zugewendet, daß allmählich das Fehlen einer Gesamtdarstellung der geschichtlichen Entwicklung des katholischen Kirchenrechtes durch katholische Autoren besonders im deutschen Sprachraum als Mangel empfunden wurde. In seinem „Grundriß des Katholischen Kirchenrechtes" bietet Godehard Ebers 1950 einen Ueberblick der kirchlichen Rechtsgeschichte als erste Hälfte seines 479 Seiten umfassenden Buches. Die Beschränkung auf 228 Seiten zwang ihn zu einer sehr summarischen Darstellung des Stoffes.

Eine Kirchliche Rechtsgeschichte, 1. Band „Die katholische Kirche", Weimar 1950, 622 Seiten, verfaßte Hans Erich Feine. Auch er sagt im Vorwort: „Während an guten Lehrbüchern und Grundrissen der Rechtsgeschichte für alle romanischgermanischen Kulturländer mit ihrer reichen Rechtsvergangenheit kein Mangel ist, fehlt es an einer kirchlichen Rechtsgeschichte … durchaus." Trotz der großen Vorzüge seines Werkes tritt schon auf den ersten Seiten in Erscheinung, daß der Verfasser nicht ganz dem Wesen der katholischen Kirche gerecht wird, so wenn er auf S. 23 sagt: „Hatte die kirchliche Ordnung zunächst charismatischen Charakter im Sinne allgemeinen Priestertums, so wandelte sie sich langsam zum Amtsrecht der Bischöfe und des Klerus … Es vollzieht sich der Uebergang von der charismatischen Ordnung der Urkirche zu der auf göttlichem Recht ruhenden altkatholischen Kirche", und in Anmerkung 3 schreibt er: „Eine Kirche im Rechtssinn kennt noch die Zeit um 100 (1. Clemens-Brief) nicht"; ähnlich im Sakramentenrecht und so weiter.

Mit um so größerer Freude begrüßen wir das Werk Plöchls, „Geschichte des Kirchenrechts", das im ersten Band als Recht des ersten christlichen Jahrtausends vorliegt. Was an dieser Gesamtdarstellung zuerst in die Augen springt, ist die überraschend große Zahl von Einzeluntersuchungen und Forschungsarbeiten, die auf allen Teilgebieten der kirchlichen Rechtsgeschichte in drei Jahrzehnten seit dem Erscheinen des Codex Juris Canonici in den Ländern der deutschen

Zunge, in den romanischen Ländern und im angelsächsischen Sprachraum geleistet wurde, besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt kein kirchliches Rechtsinstitut in keiner Epoche der Rechtsgeschichte, das die Forschung nicht neuerdings einer kritischen, quellenmäßigen Untersuchung auch an Hand bisher nicht bearbeiteter Quellen unterzogen hätte. Daher muß man sagen, daß die rechtsgeschichtliche Forschung trotz der überwiegend rechtsdogmatischen Bearbeitung des geltenden Kirchenrechtes nur scheinbar in den Hintergrund trat, tatsächlich ist sie mehr in die Tiefe gegangen.

Plöchls besonderes Verdienst besteht nun darin, die Ergebnisse dieser Jahrzehnte umfassenden Durchforschung und auch Bearbeitung der Quellen in einer großen Synthese zusammėhgefafit zu haben, wobei er Abschnitt für Abschnitt in reicher Zahl die Einzeluntersuchungen zur Ueberprüfung und weiteren Forschungsarbeit anführt.

Der erste Band des Werkes, der die Zeit bis zum Jahre 1054, der endgültigen Trennung der westlichen und östlichen Kirche, umfaßt, ist in drei Bücher geteilt. Im ersten Buch wird „Das Recht der kirchlichen Frühzeit" von der Stiftung bis zur konstantinischen Befreiung behandelt (324). Hier steht der Verfasser der grundlegenden Frage gegenüber, ob die Kirche in ihren Anfängen charismatische Gemeinschaft im Sinne eines allgemeinen Priestertums war, oder ob ihr von Anfang an das Amtsrecht, die Regierungsgewalt auf Grund göttlichen Rechtes zukommt. Es handelt sich um den Rechtsbegriff der Kirche.

Die Beantwortung dieser grundlegenden Frage über das Wesen der von Christus gestifteten Kirche interessiert uns heute mehr als die vor einem halben Jahrhundert in den Vordergrund gestellte Kontroverse, welche Rechte dem Sacer- dotium und dem Imperium, der kirchlichen und der kaiserlichen Gewalt zukommen. Damals stand die katholische Wissenschaft noch unter dem Eindruck der aufgezwungenen Abwehr der „Los-von- Rom-Bewegung", die den Katholiken als „Ultramontanen" vorwarf, daß sie keine guten Deutschen, sondern Rom-Hörige seien. Nachdem aber der überspannte Nationalismus das Deutsche Reich in zwei Weltkriegen in einen tiefen Abgrund gestürzt hat, sind diese Vorwürfe verstummt.

Aber schon damals hat die akatholische Forschung ihre Angriffe auf die Grundfeste der kirchlichen Lehre vorangetragen, ob ihr Recht, ob ihre Gewalt, ob das Kirchenamt wirklich göttlichen Ursprungs oder menschliche Einrichtung ist; die Antwort lautete, das Kirchenrecht steht mit dem Wesen der von Christus gestifteten Kirche in Widerspruch. Am Anfang steht die rein charismatische Ordnung mit dem allgemeinen Priestertum. Diese steht in Widerspruch zu dem Amtsrecht der Bischöfe und des Klerus, das in seinen Grundlagen göttlichen Ursprungs sein will, wie es die katholische Kirche von jeher gelehrt hat und noch lehrt.

Demgegenüber geht Plöchl von der Lehre des Apostels Paulus aus, „nach der jeder einzelne Christ und jede Gemeinde ein Glied oder Organ des mystischen Leibes des Herrn war (corpus Christi mysticum). Dieser Körperschaftsbegriff wurde jedoch nicht bloß theologisch aufgefaßt, sondern er war der Inbegriff der Gesamtkirche. Genau so wie jeder Christ, um ein lebendiges Glied dieses mystischen Leibes zu sein, mit Christus verbunden sein mußte, mußten dies auch die auf Erden lebenden Kinder der Kirche untereinander sein". Mit Kettling weist Plöchl auf die sehr reale Bedeutung des Begriffes der Communio hin. Die Mitgliederschaftsrechte de» einzelnen wie der kirchlichen Gemeinde im Gesamtbild des Corpus Christianorum hängen 'davon ab, ob die Communio vollgültig, beschränkt oder gelöst war. Diese Communio aber nimmt ihren Ausgang von der Gemeinschaft des Abendmahles. Der Körperschaftsbegriff … „war eine wesentliche Stütze des Rechts- und Sozialbegriffes det Kirche".

Gestützt auf die Ergebnisse der Quellenforschung, die für jedermann überprüfbar sind, stellt der Verfasser in den folgenden Kapiteln die Anfänge und Entfaltung der Kirchenverfassung, nämlich die älteren Formen der Gemeindeverfassung, Hierarchie und Jurisdiktionsgewalt, Apostolat, Primat, Chor- oder Landbischöfe, Anfänge der territorialen Organisation, Kirchenversammlungen, das Personenrecht, nämlich das Recht des Klerus und der Laien, den Klerikalstand, das Besetzungsrecht kirchlicher Aemter, das Sakra- mentėnrecht, kirchliche Gerichtsbarkeit und Strafrecht, Vermögens- und Finanzrecht, schließlich die ältesten kirchlichen Rechtsquellen dar. Es ist klär, daß Kirchenrecht und kirchliche Einrichtungen, die in ihrer Grundlegung auf den göttlichen Stifter zutückgehen, einer Entfaltung und Entwicklung unterliegen. Als der Apostel Petrus in Rom seinen Sitz auf schlug, benötigte er für die Verwaltung seines Bischofssprengeis keines Generalvikars und keines Ordinariates, für die Ausübunn seiner obersten Gewalt über die Gesamtkirche nicht elf Kardinalskongregationen, drei Gerichtshöfe und fünf Aėmter der römischen Kurie. Diese Ausbildung ihrer Einrichtungen überließ der Stifter der von ihm der Kirche verliehenen Gewalt. Mit Freuden können wir aber in der Arbeit Plöchlä feststellen, daß auch die emsigste Quellenforschung dės letzten halben Jahrhunderts auf diesem Gebiet die traditionelle Lehre der Kirche vom Unsprung ihres Rechtes und ihres Amtes nicht erschüttert hat, diese Lehre hat die Feuerprobe der emsigsten Quellenforschung bestanden.

Iffl zweiten Buch: Das Kirchenrecht im römischen Rechts- und Kulturkreis (vom Konzil vnn Nizäa, 325, bis zum Trullanum, 692), und im dritten Buch: Das Kirchenrecht im Zeitalter der Ausprägung des morgen- und abendländischen Denkens (von 692 bis zur Trennung der Ost- und Westkirche), werden dieselben Einrichtungen für den Entwicklungsstand dieser Zeitabschnitte geschildert. Es kommen auch einzelne Einrichtungen hinzu, z. B. das Ordenswesen. Hier verdient die Darstellung jener Entwicklung, die zum endgültigen Bruch zwischen der Kirche des Ostens und des Westens geführt hat, ganz besondere Anerkennung, zumal die auf den Seiten 264 bis 272 gebotene Uėbėrsicht. Mit großer Objektivität, mit Mut und mit der Wärme seelischer Anteilnahme sind diese Seiten geschrieben. Diese Eigenschaften des Verfassers treten hier besonders in Erscheinung. Sie sind aber in dem ganzen Buch von Seite Zu Seite zu verspüren und machen neben der klaren Darstellungsweise die Lektüre angenehm und fesselnd. Man möge von uns nicht verlangen, daß wir uns in der Kritik wie ein Schulmeister mit Druckfehlern ausėinandėrsėtzen öder mit abweichenden Meinungen, die man vielleicht gelegentlich haben könnte. Das Werk, als ganzes betrachtet, verdient volle Anerkennung. Wir wünschen dem Verfasser für die Vollendung det beiden ausständigen Bände den gleichen Erfolg.

Univ.-Prof. DDr. Franz Arnold

Kleine Geschichte Englands. Von Heinz Hoepfl. Heinrich-Schefflėr-Verlag, Frankfurt äfi Main. 14 Abbildungen. 170 Seiten. Preis 6.80 DM.

Die Geschichte Englands, von der ersten Landung römischer Legionäre bis zur Krönung Elisabeths II., auf 170 Seiten kleinen Formats zu rekapitulieren, ist keine geringe Aufgabe, sofern es sich, so wie hier, nicht um eine trockene Aufzählung markanter Ereignisse und Daten handelt, sondern um eine zusammenhängende, in Einzelheiten gehende Darstellung. Erfreulicherweise zeigt Hoepfl die Fähigkeit, Entscheidendes vor nicht ganz so Wichtigem hervorzuheben, und das, was er sagen will, bei sparsamsten Gebrauch von Worten präzis und in angenehm lesbarer Form zum Ausdruck zu bringen. Sein Streben nach Objektivität ist unverkennbar, und deshalb wäre es unbillig, jedes Umstandswort unter die Lupe zu nehmen, mit dem er, nicht immer in der glücklichsten Weise, diese oder jene historische Erscheinung qualifiziert. Seine im großen und ganzen gut gelungene Arbeit würde durch Beifügung einer Zeittafel sehr an Wert gewinnen. Man darf hoffen, daß eine Neuauflage Gelegenheit geben wird, diesem Mangel abzuhelfen und auch einige sachliche Unrichtigkeiten (die Schlacht von Waterloo wurde nicht im Jahre 1816 geschlagen) zu korrigieren.

Kurt Strachwitz

Die grüne Steiermark. Von Hans L e i f h e 1 m. Leykam-Verlag, Graz. 3. verbesserte Auflage mit 90 Seiten Text und 72 Lichtbildern auf Kunstdrucktafeln. Preis 110 S.

Daß dieses sehr schöne Buch mit den feinen und liebenswürdigen Landes- und Volksschilderungen des zu früh heimgegangenen bedeutenden Dichters trotz der Ungunst der Zeit seine dritte Auflage in prächtiger Ausstattung erleben konnte, ist an sich erfreulich. Darüber hinaus aber muß es jeden Oesterreicher und. Steirer mit Staunen und Stolz erfüllen, daß es ein — freilich geistig besonders begnadeter — Sohn eines westfälischen Faßbindermeisters vom Niederrhein war, der dieses in die verborgensten Schönheiten und Tiefen von Land und Leuten hineinleuchtende Buch geschrieben hat. In jungen Jahren war Hans Leifhelm auf einer Fußwanderung mit seinem Freunde Heinrich Lersch 1913 in die Steiermark gekommen und hat dort sein Herz so sehr an die unberührtesten Gebiete des Landes und an seine Bergbauern verloren, daß er jahrelang hierblieb und einen großen Teil seines dichterischen Schaffens aus der neuen

Herzensheimat schöpfte. Das Buch, das mit einem sehr anziehenden farbigen Umschlagbild Professor Reichenfelsers und mit vielen ganzseitigen Bildern hervorragender Künstler des Lichtbildes geschmückt ist, empfiehlt sich durch sich selbst. Zumal diese dritte Auflage gegenüber der zweiten, 1940 als Feldpostausgabe erschienenen, mit ihren Textverstümmelungen, durch Erich Gschwend, der ihr auch ein gutes Nachwort auf den früh Verewigten mitgab, unter Mitwirkung der Tochter Elfriede Leifhelm sorgfältig erneuert und mit dem erlesenen Buchschmuck versehen worden ist.

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