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Kirche und soziale Ordnung

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In der Wierier Katholischen Akademie eröffnete Kardinal-Erz-bischof Dr. Innitzcr mit einem Vortrag „Die Stimme der Kirche zur sozialen Frage“, eine Vortragsreihe der Akademie über die sozialen Probleme der Gegenwart.

Der Wiener Kirchenfürst wies einleitend auf das Wort Papst Pius' XII. hin, daß die Kirche für sich das Recht beanspruche, und die Pflidit habe, zu den Fragen des menschlichen Zusammenlebens autoritativ Stellung tu Dehrn e n und führte dann in seinen grundlegenden Erörterungen aus:

Wäre die Kirche, wie die Linksideologie behauptet, ein Mittel der Ausbeutung, eine Erfindung der Schlauen, ein Wandschirm der Interessen der Besitzenden, oder, wie die Rechtsideologie sagt, ein aufrührerisches Unternehmen der Sklaven und Proleten, der niederen und schlechtweggekommenen Menschen, wo wäre sie heute? Die Kirche ist weder „Kapitalistengeist“ (Werner Som-bart), noch „Handwerkerreligiasität“ (Max Weber), noch audi Feudalität (Vogelsang). Die Kirche ist nicht von dieser Welt! Sie ist auch nicht von dieser sozialen Welt! Sie

hat keine soziologische, keine historisch-politische, keine historisch-ökonornisdic Voraussetzung. Grundsätzlich sind innerhalb der Kirche viele Gesellschafts- und Wirtschaftsideale als christliche denkbar und möglich. Es gibt keine „soeiologia oder oeconomia perennis“ im Sinne eines einmal gegebenen und absolut gültigen Ideals einer katholischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Die Kirche ist unabhängig von allen sozialen Gegebenheiten und Umwälzungen. Sie ist wohl von dieser Seite verwundbar, aber nicht ausrottbar. Sie wurzelt nicht in diesen Bezirken. Nur so kommt das Wunder zustande — abgesehen von der Geistes-siegelung —, daß am Morgen nach jeder Revolution der Priester zum Altare schreitet, als ob nichts geschehen wäre, obwohl Welten jeweilig zusammensanken. Haben wir das nicht sdion viermal in knapp 30 Jahren in Österreich erlebt — 1918 — 1934 — 1938 — 1945!

Darum übt die Kirche keinen irgendwelchen Einfluß aus auf die soziale Schichtung der Gesellschaft, denn das fällt nicht unter ihre Kompetenz und Sendung, sondern das ist Sache der staatlidien und öffentlichen Gewalt und jener Körperschaften, die zu diesem Zwecke gegründet sind.

Die Sozialkraft der Kirche zielt nicht auf Schöpfung einer künftigen Gesellschaft, sondern auf Heilung der gegenwärtigen. Die weltliche Ordnung beginnt die Kirche erst zu interessieren, wo Fragezeichen am Horizonte erscheinen und

sittlich Krankes ihre Stufen umlagert. Sie bricht keine bestehende Ordnung, sie befriedigt und befriedet sie. Wie sie jeden tauft, gleich welchen Ranges und Standes, welchen Volkes und Rassenblutes er ist, so weiß sie auch jede Sozialordnung taufbar. Wer dje Sozial-, Wirtschafts- und Staatsgeschichte durchgeht, wird immer wieder feststellen müssen, daß die Kirche immer und immer wieder der Damm gegen die Flut der tausend Egoismen gewesen ist. In allen Auseinandersetzungen war sie die Vermittlerin zwischen den sozialen Gegensätzen, Hort und Ort der Pazifi zierung. Christentum und Christsein bedeutet keine Resignation zur sozialen Frage. Im Gegenteil! „Aktion“ in der sozialen Frage ist dem Christen wesentlich. Doch gleichzeitig warnt die Kirche vor jener materialistisch lockenden Utopie, die am Ende ihrer Weisheit Steine und Schlangen statt Brot und Fische reicht. Mit Recht warnt sie vor jener Utopie, die ein politischer Deckmantel antichristlicher Staatsformen geworden ist.

Die Kirche geht auf den Wegen der Wirklichkeit jeweils gegebener gesellschaft-

lieh-wirtsehaftlieher und kulturell-staatlicher Ordnungen, sie nimmt sie hin, um in diesen Seelen zu retten.

Christentum und Sozialismus

Einen wesentlidien Teil seiner Ausführungen widmete Kardinal Dr. Innitzer dem heute so überaus ernsten und aktuellen Problem des Privateigentums.

„Wenn Rerum Novarum über den Sozialismus seiner Tage sagt, daß der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsordnung unüberbrückbar ist, so haben offizielle und unoffizielle Kommentare, nicht zuletzt der „Osjervatore Romano“, erklärt, daß zum Beispiel der englische Sozialismus mit den in „Quadragesima anno“ niedergelegten Urteilen über den Sozialismus nicht getroffen sei. — Als Naturrecht kann der Staat das Privateigentum nicht aufheben, denn — so erklärt Pius XL — „der Mensch ist früher als der Staat, darum mußte er das Recht auf Erhaltung von Leib und Leben besitzen, bevor sich irgend ein Staat gebildet hatte“.

Der Staat hat vielmehr die P f 1 i ch t, einen wirksamen Rechtsschutz für das Privateigentum zu gehen und es so zu sdiützen. Der Staat hat aber aueh das Recht und die Pflicht, i m Interesse des Gemeinwohls dem Privateigentum Beschränku ngen und Lasten aufzulegen, Privatbesitz . zu

besteuern, 3en landwimchaftfichen Anbau zu regeln, eine soziale Bodengesetzgebung durchzuführen, um die Zahl der Eigenbesitzer zu vermehren, aus Gründen des Gemeinwohls gegen Entschädigung zu enteignen, ja bei besonderen Notfällen, wie Krieg, Seuchen, Feuersbrünste, Eigentum zu vernichten.

Diese Rechte des Staates finden aber ihre Begrenzung durch das Gemeinwohl, dessen Sicherung Aufgabe des Staates ist.

Die staatliche Gesetzgebung auf diesem Gebiete darf nie zur Auf-

sangung des Privateigentums und zur Errichtung des eigenmächtig und unbegrenzt die Eigentumsund Wirtschaftsverhältnisse ordnenden, kollektivistischen Wirtschaftssystems führen. Die Aufgabe der Kirche ist hier nicht, die Eigentumsverhältnisse im einzelnen zu regeln. Sie hat im Lauf ihrer Geschichte die verschiedenen Eigentums- und Wirtschaftsformen erlebt, die Sklaverei, die Bodengebundenheit mit Hörigkeit, die zunftmäßig geschlossene Stadtwirtschaft, die Freiwirtschaft und die moderne Geldwirtschaft.

Sie Kat sich an keine dieser Formen gebunden und überläßt auch hier der Zukunft die Entwicklung der geschichtlichen Bedingtheiten und der Gesetzgebung des Staates. Aber sie wacht mit darüber, daß sowohl die Unantastbarkeit des rechtmäßigen Eigentums gewahrt, als auch die mit dem Eigentum verbundenen Pflichten erkannt und erfüllt werden. In diesem Sinn wirkt sie mahnend und aufklärend und sucht vom Gewissen her die aus den jeweiligen Eigentums- und Wirtschaftsformen -fließenden sittlichen Schäden zu bannen.

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