Kirchen und Weltkriege

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Der Große Krieg 1914 -für die Kirchen ein gerechter, ja "heiliger" Krieg. Ein Umdenken setzte erst nach 1945 ein. Und heute? Selbst wenn militärische Gewalt zum Schutz bedrohter Menschen notwendig ist: Sie zeigt das Versagen der Politik und riskiert, Schuld auf sich zu laden.

1914

You don't count the dead When God's on your side. (Bob Dylan, 1963)

Der Erste Weltkrieg wird oft mit den Worten George F. Kennans als "Urkatastrophe Europas" bezeichnet. Mit derselben Berechtigung kann er -etwa von Martin Rade bereits 1915 - als "Katastrophe", ja als "Bankrotterklärung" des Christentums in Europa bezeichnet werden. Die oft zitierte Kriegsbegeisterung, die allerdings nur einen Teil der Bevölkerung erfasst hatte und außerdem sehr bald abgeklungen war, war nicht zuletzt durch die Kirchen unterstützt und maßgeblich angefeuert worden. Dabei spielten konfessionelle Gegensätze keine Rolle: Die evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland, Frankreich und Österreich-Ungarn waren sich einig mit der "Kirche von England" und der Orthodoxie in Russland in der festen Überzeugung, dass Gott ganz sicher auf der eigenen Seite stehe. Weil alle davon überzeugt waren, in einen "gerechten Krieg" zu ziehen, waren alle gleichermaßen davon überzeugt, dass Gott die Waffen der eigenen Heere segnen würde.

Nicht nur "gerecht" war der Krieg, sondern "heilig", ja ein "Kreuzzug". Der Soldatendienst wurde zum Gottesdienst hochstilisiert, der Kampf in der Schlacht eine "zweite Taufe", ein "Sakrament". Wer in diesem Krieg stirbt, wird automatisch zum Helden, wenn nicht gleich zum Märtyrer. Derart religiös aufgeladen konnte es für den Feind keinen Verhandlungsfrieden geben. Er musste vernichtet und deshalb der Krieg bis zur Erringung des Siegfriedens fortgesetzt werden. Solche Töne finden sich zahlreich in den "Kriegspredigten" der damaligen Zeit, aber auch bei den angesehensten Theologen wie dem Berliner Reinhold Seeberg.

Auch der erste "Kriegshirtenbrief" des Wiener Erzbischofs Kardinal Piffl vom 28. Juli 1914 schlägt diesen Ton an. Wenige Wochen später sagte Piffl in einer Predigt im Stephansdom: "Wir kämpfen für Wahrheit und Recht, wir kämpfen für Gott und unseren heiligen Glauben, wir kämpfen für unseren Kaiser und unsere heimatliche Scholle. In diesem Kampfe für unsere heiligsten Güter ist Gott mit uns!" Auch im Aufruf des Evangelischen Oberkirchenrates in Wien vom 14. August ist die Rede vom "aufgezwungenen Krieg", von der "großen und gerechten Sache" und vom "Wetteifer in der opferfreudigen Hingebung für den geliebten, gütigen Kaiser und das teure Vaterland".

Die Friedensappelle von einsamen Rufern wie dem reformierten Pfarrer Charles Babut in Frankreich, dem lutherischen Erzbischof von Uppsala, Nathan Söderblom, oder Papst Benedikt XV. verhallten ungehört.

"Die letzten Tage der Menschheit" lässt Karl Kraus mit einer Stimme von oben enden: "Ich habe es nicht gewollt!" Theologie und Kirchen hatten weithin das genaue Gegenteil gesagt.

1939

And you never ask questions When God's on your side.

Als vor 75 Jahren mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, hatten die Kirchen im Deutschen Reich schon mehrere Jahre in heftigen Auseinandersetzungen mit der NS-Ideologie und der kirchenfeindlichen Politik des Staates gestanden. In Österreich war dies komprimiert zwischen März 1938 und dem Kriegsbeginn und in verschärfter Form (Stichwort: "Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens") gegeben. Gerade die, die in den Kirchen dem Nationalsozialismus kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, fanden sich in einem Dilemma zwischen der weithin selbstverständlichen Vaterlandstreue und den Vorbehalten gegenüber dem Nationalsozialismus, die -etwa in der "Bekennenden Kirche" durch die "Barmer Theologische Erklärung" vom Mai 1934 - auch theologisch begründet wurden.

Dieser Zwiespalt trat in der "Bekennenden Kirche" bereits während der Sudetenkrise im Herbst 1938 deutlich zutage. Europa stand damals bereits am Rande des Krieges. In den liturgischen Vorschlägen der "Bekennenden Kirche" für einen Gebetsgottesdienst wurde jede Verherrlichung des Krieges und der soldatischen Tugenden vermieden und vom Krieg ausschließlich als "Gericht Gottes" gesprochen. Das galt den Vertretern des Nationalsozialismus als "Verrat" und als willkommener Anlass, endlich gegen die "Volksschädlinge" der "Bekenntnisfront" (so der Reichskirchenminister Kerrl) vorzugehen. Aber dazu kam es nicht mehr, denn mit Kriegsbeginn verordnete Hitler intern, dass das "Kirchenproblem" erst nach dem Ende des Krieges angegangen werden sollte. Bis dahin sollten Staat und Partei alles vermeiden, was das Verhältnis zu den Kirchen verschlechtern könnte. Der Zwiespalt stellte sich ein Jahr später verschärft. Dietrich Bonhoeffer schreibt vorausahnend im Juli 1939 an Reinhold Niebuhr: "Die Christen in Deutschland stehen vor der fürchterlichen Alternative, entweder in die Niederlage ihrer Nation einzuwilligen, damit die christliche Zivilisation weiterleben könne, oder in den Sieg und dabei unsere Zivilisation zu zerstören."

Insgesamt setzte sich dennoch weithin das traditionelle, auch theologisch begründete Obrigkeitsdenken (Römer 13) durch. Die Kirchen riefen zur Pflichterfüllung im Krieg auf, der nach dem Überfall auf die Sowjetunion von namhaften Vertretern der Kirche - wie etwa 1943 vom Salzburger Erzbischof Rohracher im ersten Jahr seines Episkopats - mit dem vermeintlich auch im Interesse des Christentums liegenden Kampf gegen den Bolschewismus legitimiert wurde. Dennoch gab es keine "Kriegstheologie", wie im Jahr 1914, selbst wenn die Parole "Gott mit uns" auch im Zweiten Weltkrieg wie schon im Kaiserreich auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten stand.

Einige wenige in der katholischen und evangelischen Kirche verweigerten aus Glaubensgründen -wie die Zeugen Jehovas - den Wehrdienst. Stellvertretend seien die Namen von Franz Jägerstätter und von Hermann Stöhr genannt.

2014

If God's on our side He'll stop the next war.

Als im Jahr 1948 der "Ökumenische Rat der Kirchen" in Amsterdam gegründet wurde, hieß es: "Krieg soll um Gottes Willen nicht sein." Damit wurde der bis dahin unangefochten geltenden Lehre vom "gerechten Krieg" theologisch der Boden unter den Füßen weggezogen. Diese Entwicklung beschleunigte sich durch das seit den 1950er-Jahren einsetzende Wettrüsten mit atomaren Massenvernichtungsmitteln.

Spätestens in den 1980er-Jahren hat sich in der Ökumene die Überzeugung durchgesetzt, dass die Herstellung, Stationierung und der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellt. Dennoch sind Atomwaffen bis heute nicht geächtet, sondern fester Bestandteil militärischer Strategien. 4000 Atomwaffen sind jederzeit abschussbereit, mehr als vier Mal so viele sind weltweit stationiert. Zudem hat sich die Realität des Krieges grundlegend geändert. Wie die Konflikte in der Ukraine, in Syrien, im Südsudan und im Irak zeigen, ist aus dem "Krieg" weithin der "war" geworden, in dem nicht mehr Staaten gegeneinander stehen und Kombattanten von Nicht-Kombattanten unterschieden werden können. Das Versagen der UNO bei der Verhinderung des Völkermords in Ruanda 1994 führte zur Entwicklung des Konzepts der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect), dem 2005 die Mitgliedstaaten der UNO zustimmten. Dieses Konzept sieht als letztes Mittel auch militärisches Eingreifen von außen vor.

Die Frage, ob eine Politik, die die grundsätzliche Möglichkeit solcher Interventionen bewusst einschließt, auch aus christlicher Sicht vertretbar sein kann, führte jüngst zu heftigen Auseinandersetzungen in Deutschland rund um die divergierenden Positionen von Joachim Gauck und Margot Käßmann. Im Blick auf den Schutz der bedrohten Minderheiten im Irak vor der Gewalt der Terrororganisation "Islamischer Staat" stellt sich die Frage verschärft. Heinrich Bedford-Strohm, lutherischer Landesbischof von Bayern, hat sich für ein militärisches Eingreifen ausgesprochen und die katholischen Bischofskonferenzen Europas sprechen in einem Brief an den Sicherheitsrat der UN von "allen möglichen legitimen Mitteln", um der Tragödie ein Ende zu setzen.

Selbst Papst Franziskus wird als -vorsichtiger -Befürworter eines militärischen Eingreifens unter UN Mandat zitiert. Die Kirchen schließen den Einsatz rechtserhaltender militärischer Gewalt nicht völlig aus, auch wenn militärische Mittel keinen Frieden gewinnen können. Unerlässliche Bedingung dafür ist die Autorisierung durch die kollektiven Sicherheitssysteme, in erster Linie der UN, weil das Vorgehen einzelner Staaten ohne kollektives Mandat die Rückkehr zum freien Kriegsführungsrecht bedeuten könnte. Im "Aufruf zum gerechten Frieden" des ÖRK aus dem Jahr 2011 heißt es dazu: "Es gibt Extremsituationen, in denen der rechtmäßige Einsatz von Waffengewalt als letzter Ausweg und kleineres Übel notwendig werden kann, um gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen, die unmittelbaren tödlichen Gefahren ausgesetzt sind. Doch selbst dann sehen wir den Einsatz von Waffengewalt in Konfliktsituationen sowohl als Zeichen schwerwiegenden Versagens wie auch als zusätzliches Hindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden an."

Die EKD-Friedensdenkschrift von 2007 betont, dass es aus der Sicht der christlichen Ethik im Blick auf solche Einsätze problematisch und missverständlich ist, von einer "Rechtfertigung" des Gewaltgebrauchs zu sprechen. Das Risiko des Schuldigwerdens bleibt bestehen. Die Erfahrungen mit solchen Interventionen (Kosovo, Irak, Afghanistan, Libyen usw.) wecken große Zweifel. Wenn es dennoch nicht ausgeschlossen sein mag, dass der Einsatz von militärischer Gewalt zum Schutz bedrohter Menschen notwendig ist, steht er unter diesen Vorzeichen. Die primären Aufgaben der Kirchen sind die wirksame humanitäre Hilfe für die Opfer der Gewalt und die Stärkung jener Kräfte politischer Vernunft, die sich für eine gewaltfreie Lösung der Konflikte und eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.

Der Autor ist Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich

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