Kirchenkritiker par excellence

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist der 18. Dezember 1979. Die Nachricht, dass Hans Küng die kirchliche Lehrerlaubnis (Missio canonica) entzogen wird, ist wie eine Bombe in Tübingen eingeschlagen. Für uns Theologiestudenten ist Küng der Brückenbauer in die moderne Welt schlechthin. Ausgerechnet dieser aufgeschlossene, weltgewandte Schweizer, wegen dem es viele von uns nach Tübingen gezogen hat, soll jetzt gemaßregelt werden? Unfassbar! In den Hörsälen kommt es zu hitzigen Diskussionen; an einen geregelten Vorlesungsbetrieb ist nicht mehr zu denken. Spontan wird am Tag darauf ein Fackelzug organisiert; mit Transparenten und ironisch umgetexteten Chorälen ziehen wir durch die Innenstadt. Küng selbst wird im Hinblick auf diese aufregenden Tage in seinen Erinnerungen später einmal von einer "vorweihnachtlichen Nacht- und Nebelaktion" sprechen, die bei ihm einen Schock, ja "Karfreitagsstimmung" ausgelöst habe.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen: Geboren 1928 in Sursee (Kanton Luzern), studiert Hans Küng von 1948 bis 1957 Philosophie und Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und an der Sorbonne zu Paris. Als gerade 29-jähriger Priester veröffentlicht er eine Doktorarbeit, die international Aufsehen erregt: "Rechtfertigung. Die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung". 1960 wird Küng ordentlicher Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Tübingen. Schon bald aber bietet sich für ihn eine noch viel größere Bühne: 1962-65 wird Küng von Johannes XXIII. zu einem der "Periti", also offiziellen Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils ernannt.

Küng, inzwischen (1963) auf den Tübinger Lehrstuhl für Dogmatik und Ökumenische Theologie gewechselt, möchte den Katholizismus an der Wurzel reformieren und stellt Fragen in kirchlichen Tabuzonen: 1970 kritisiert er mit "Unfehlbar? Eine Anfrage" die Lehrautorität des Papstes. 1974 versucht er in "Christ sein" die Lehre von Jesus Christus in moderner Sprache zu erklären. Die deutschen Bischöfe greifen das Buch heftig an; der Fall geht nach Rom - mit dem geschilderten Ergebnis. Priester seiner Heimatdiözese Basel darf Küng bleiben. Und die Universität Tübingen findet einen Kompromiss: Küng verliert seinen Lehrstuhl, bleibt aber Direktor des "Instituts für ökumenische Forschung". Er ist damit der einzige deutsche Theologe ohne kirchliche Anbindung, ein "frei schaffender" Künstler. In dieser Rolle wendet er sich dem Dialog der Weltreligionen zu. Für sein "Projekt Weltethos" holt er unter anderem Tony Blair, Kofi Annan oder Helmut Schmidt nach Tübingen.

Nach der Emeritierung 1996 arbeitet Küng an seiner Autobiografie, deren erste zwei Bände "Erkämpfte Freiheit" (2002) und "Umstrittene Wahrheit" (2007) erscheinen - und legt dabei einen Charakterzug an den Tag, den wir als Studenten schon vor 30 Jahren an dem Kirchenkritiker beobachten konnten: eine manchmal penetrante Eitelkeit. Nie kommt er darüber hinweg, dass Johannes Paul II. ihn nicht empfängt. Und dann geschieht doch noch eine Sensation: Am 24. September 2005 lädt Benedikt XVI., einst als Joseph Ratzinger Küngs Kollege in Tübingen, den Kirchenkritiker nach Castelgandolfo ein. Konkrete Auswirkungen hat das fast vierstündige Gespräch keine - außer dass der Rebell Küng sich danach bemerkenswerte Zurückhaltung auferlegt, was seine Kritik am amtierenden Papst betrifft.

Über mangelnde Resonanz und Anerkennung kann Küng sich nicht beklagen: Seine Bücher sind in 32 Sprachen übersetzt; allein der Piper-Verlag lieferte mittlerweile 1,8 Millionen Exemplare aus. Küng hielt Gastvorträge auf allen Kontinenten und hatte Gastprofessuren in vielen Ländern; seine Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden sind Legion. Nach wie vor ist er auch ein geschätzter Ansprechpartner für die Medien in Deutschland, die ihn immer noch häufiger zu allen möglichen Themen befragen als fast alle anderen Theologen. Eines aber ist dem Schweizer, der am 19. März 80 Jahre alt wurde, bis heute nicht zuteil geworden: die volle kirchliche Rehabilitierung.

Gerd Felder/Münster

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung