Kirchen(t)räume, für alle Sinne erfahrbar

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Auf spezielle Weise Kirchenräume entdecken, neue Methoden der Kirchenpädagogik erleben oder wertvolle Inputs für die eigene Arbeit mitnehmen. Um diese Themen ging es bei der Jahrestagung des Bundesverbandes Kirchenpädagogik in Salzburg.

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Auf spezielle Weise Kirchenräume entdecken, neue Methoden der Kirchenpädagogik erleben oder wertvolle Inputs für die eigene Arbeit mitnehmen. Um diese Themen ging es bei der Jahrestagung des Bundesverbandes Kirchenpädagogik in Salzburg.

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Ein Lied aus Taizé erfüllt die barocke Kollegienkirche in Salzburg. Vier Gruppen haben sich in den vier Kapellen um das Hauptschiff der Kirche gebildet und singen "Laudate omnes gentes". Eine Gruppe beginnt und lässt nach dem ersten Teil des Lieds eine zweite Gruppe übernehmen. Dann folgen die dritte, vierte und wieder die erste Gruppe. Die Sänger treten so miteinander im Kirchenraum in Verbindung. Die Kollegienkirche soll in ihrer ganzen Pracht wahrgenommen werden. Eine Kirchenführung der besonderen Art.

Engagierte Haupt- und Ehrenamtliche, die durch Kirchen in Deutschland und Österreich führen, treffen sich drei Tage lang im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg und erweitern ihre kirchenpädagogische Kompetenz. So gerade die vier Kleingruppen in der Kollegienkirche unter der Leitung von Christian Jordan aus Eggenburg: "Ein Raum ist nicht nur durch die Architektur bestimmt, sondern wesentlich durch seinen Klang. Wenn man das Element der Musik bei einer Kirchenführung ausklammert, geht etwas Wichtiges verloren."

Was ist Kirchenpädagogik?

Kirchenpädagogik ist ein Begriff, der sich in Deutschland und Österreich erst langsam etabliert. "Kirchenführung mit allen Sinnen" - so beschreibt Sr. Ruth Pucher das Anliegen der Kirchenpädagogik. Die Ordensfrau aus dem Orden der Missionarinnen Christi arbeitet seit mehr als zehn Jahren auf diesem Gebiet: "Nicht nur das gehörte Wort ist wichtig, sondern es sollen meine eigenen Beobachtungen zur Sprache kommen." In Zeiten, in denen immer weniger Menschen Gottesdienste besuchen und daher wenig Bezug zum Kirchenraum haben, werde Kirchenpädagogik immer wichtiger. Dabei soll nicht der Kirchenführer mit einem Frontalvortrag im Mittelpunkt stehen, sondern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind aufgerufen, selbst aktiv zu werden: "Kirchenpädagogik will nicht alles schon sagen und vorgeben, sondern Räume eröffnen, um Dinge im Kirchenraum zu entdecken. Ich bin eingeladen, im Raum auch etwas zu berühren, mich berühren zu lassen, mit anderen in Begegnung zu kommen."

In Workshops können die Teilnehmer der Tagung selbst neue kirchenpädagogische Methoden erleben. In der barocken Dreifaltigkeitskirche mischen sich in die Kirchenführung Elemente des Tanzes und der Musik. Mit einfachen Gebärden und Schrittfolgen zu griechischer und orientalischer Musik bekommen die Tagungsteilnehmer ein Gefühl für den liturgischen Raum: "Viele Menschen haben Sehnsucht nach Stille, wünschen sich eine Unterbrechung des Alltags, Orientierung und Ausrichtung. Das bekommen sie im Kirchenraum, der aus der Alltagswelt herausgenommen ist", so Pucher. Die Teilnehmer stehen bei den Tänzen in einem Kreis und bewegen sich dann durch die Kirche.

Dass Menschen oft wenig Bezug zu Kirchenräumen haben, ist für Sr. Ruth auch eine Chance: "Sie kommen dann unvoreingenommener, sehen vielleicht auf einem bestimmten Gemälde nur eine Frau mit ausgebreiteten Armen und nehmen diese nicht sofort als Maria, Mutter Jesu, wahr." Pucher nutzt solche Gelegenheiten und lädt die Besucher ein, die Geste, die sie sehen, nachzumachen: "Sie stehen mit leeren Händen, aber offenen Armen da. Daran kann ich anknüpfen und die christliche Deutung dieser Haltung vermitteln."

Bewusste Störungen einbauen

Die Ordensfrau leitet einen Workshop in der evangelischen Christuskirche. Im 18. Jahrhundert wurde angeordnet, viele der 20.000 evangelischen Christen aus den Salzburger Landen zu vertreiben. Zeugnis davon geben zwei Bilder in der Kirche. Pucher erläutert die Hintergründe im Zwiegespräch mit den Teilnehmern, hat sich aber eine besondere Aktion überlegt, um die damalige Situation greifbarer zu machen. Ein vorher instruierter Tagungsteilnehmer stürmt während der Führung in die Kirche und fordert die Besucher auf, die Kirche sofort zu verlassen, da überraschend Flüchtlinge in der Kirche untergebracht würden. Die Teilnehmer werden vertrieben; sie spüren, wie es ist, keinen Platz zu haben. Durch Methoden wie diese soll eine vermeintlich trockene Kirchenführung zu einem Erlebnis werden, das in Erinnerung bleibt: "Mit Taschenlampen durch dunkle Kirchenräume gehen, sich auf den Boden legen, um Deckengemälde anders wahrzunehmen -so packt man die Teilnehmer einer Führung. Eine andere Möglichkeit ist, sie darauf aufmerksam zu machen, dass jede Kirche anders riecht.

Evangelische Kirchen riechen häufig nach Holz und Bohnerwachs, in katholischen Kirchen schwingt oft ein Weihrauchduft mit."

Viele positive Rückmeldungen bekommt auch Helga Penz bei ihren Kirchenführungen: "Die meisten sind dankbar und positiv überrascht, dass sie nicht mit Zahlen, Namen und Daten bombardiert werden. Uns Kirchenpädagogen sind die Fakten zwar wichtig, aber noch mehr kommt es uns darauf an, mit den Führungsteilnehmern die dahinterstehende Bedeutung zu erschließen." Penz ist Historikerin und arbeitet für die Ordensgemeinschaften Österreichs im Bereich Kultur, außerdem als Archivarin im Stift Herzogenburg. Dort führt sie Besucher durchs Archiv und bietet mit kirchenpädagogischen Methoden einen Einblick in die "Gedächtnisspeicher der Geschichte".

Kirchenräume erlebbar machen

Manuela Ulrich, Teilnehmerin an der Tagung, ist Mitarbeiterin im Pastoralamt der Erzdiözese Wien. Unter anderem bereitet sie Erwachsene auf Taufe und Firmung vor: "Wir überlegen, einen Zugang zur christlichen Gemeinschaft über das Erschließen von Kirchenräumen zu ermöglichen." Als Referentin bei den theologischen Kursen bietet Ulrich außerdem Spezialkurse zum Thema Kirchenbau an: "Dabei zähle ich eher weniger Fakten und historische Ereignisse auf, sondern versuche zu veranschaulichen, wie der liturgische Raum genutzt wird und wie Menschen im Kirchenraum Gottesdienst feiern." Es sei immer wichtiger, die Inhalte "didaktisch gut" zu vermitteln und mit kirchenpädagogischen Methoden zu arbeiten.

Die Workshopteilnehmer in der Kollegienkirche finden sich mittlerweile gut im UNESCO-Welterbe zurecht. Kirchenführer Jordan lädt sie nochmals ein, sich mit dem Klang im Kirchenraum der Kollegienkirche vertraut zu machen: Aus einem kleinen Lautsprecher breitet sich die Vertonung des Psalms 91 von Felix Mendelssohn-Bartholdy in der Kirche aus -"Denn er hat seinen Engeln befohlen". Touristen, die gerade die Kirche besuchen, bleiben stehen und lauschen der Musik. Kirchenpädagogik spricht ein breites Publikum an und ist bedacht darauf, Kirchenräume auf besondere Weise erlebbar zu machen. Mit allen Sinnen. Intensiv.

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