Woelki und Heße - © Foto: APA/dpa

Kirchliche Machtausübung: Weiterhin Gnade statt Recht

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Der Papst lässt den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Amt. Eine befremdliche Weichenstellung, nicht nur für Deutschlands katholische Kirche auf dem Synodalen Weg.

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Der Papst lässt den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Amt. Eine befremdliche Weichenstellung, nicht nur für Deutschlands katholische Kirche auf dem Synodalen Weg.

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Am 9./10. Oktober dieses Jahres beginnt der weltweite synodale Weg, den Papst Franziskus der katholischen Kirche verschrieben hat. Er führt zur Bischofssynode 2023, soll damit aber nicht enden. Vielmehr steht dem Papst das Bild einer „synodalen Kirche“ vor Augen, wie es im vorbereitenden Dokument heißt. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Kirche das Evangelium im dritte Jahrtausend leben und kommunizieren kann.

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Sie lässt sich nicht im päpstlichen Solo beantworten. Franziskus setzt nicht auf Direktiven von oben, sondern auf geistliche Besinnung und theologische Reflexion sowie das Charisma aller Getauften und Gefirmten. Es geht ihm um eine umfassende Partizipation in der ganzen Kirche als pilgerndem Gottesvolk. Gerade deshalb gilt es im Sinn des Vorbereitungstextes auch „zu überprüfen, wie in der Kirche die Verantwortung und die Macht gelebt werden, wobei auch die Strukturen zu prüfen sind, mittels derer sie gestaltet werden. Dabei werden Vorurteile und unangemessene Praktiken, die nicht im Evangelium gründen, hervortreten, bei denen der Versuch einer Umwandlung vorzunehmen ist“.

Systemisch und spirituell

Damit ist das Anforderungsniveau der Beratungen umschrieben: Die systemischen Bedingungen kirchlicher Machtausübung müssen in den Blick kommen. Im Blick auf den Synodalen Weg der deutschen Kirche hat Papst Franziskus die Sorge artikuliert, die geistliche Dimension der Beratungen trete hinter den Diskussionen um Strukturreformen zurück.

Das bildet einen inneren Zusammenhang. Die spirituelle Dimension kirchlicher Macht ist mit den Entscheidungsbefugnissen vor allem von Bischöfen verzahnt. Das zeigt sich gerade dort, wo der Synodale Weg in Deutschland seinen Ausgangspunkt nahm: bei der Aufklärung und Aufarbeitung des katholischen Missbrauchskomplexes. Die MHG-Studie hat seine systemischen Ursachen freigelegt. Studien in anderen Bistümern haben dies mit erschreckendem Datenmaterial bestätigt. In Hildesheim zählt ein Altbischof zu den Tätern, während die entsprechende Studie in der Erzdiözese Köln vor allem das systemische Versagen des Ordinariats aufdeckte.

Drei bischöfliche Akteure boten daraufhin dem Papst ihren Rücktritt an bzw. ließen ihr Amt ruhen. Vor allem der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, ehemaliger Kölner Personalchef, war mit dem Vorwurf konfrontiert, Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. In einem Fall belegt eine Paraphe, dass Heße damit einverstanden war, kein „beschlagnahmefähiges Protokoll“ anzufertigen, sondern nur „handschriftliche Notizen“, die sich bei Bedarf vernichten ließen.

Wenn Bischöfe ihre moralische Autorität verlieren, steht die Glaubwürdigkeit der Kirche als apostolischer Tradition in Frage.

Während sich die Kölner Weihbischöfe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp sowie der Ex-Kölner Heße unter dem Druck der Aktenlage zum Handeln genötigt sahen, zog der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Münchens Kardinal Reinhard Marx, von sich aus Konsequenzen. Auch in München steht die Veröffentlichung einer Missbrauchsstudie noch aus, und als ehemaliger Trierer Bischof werden Marx ebenfalls Versäumnisse vorgeworfen. Aber Marx wollte unabhängig vom Ausgang der Studie persönliche Verantwortung übernehmen und ein Zeichen setzen.

Für einen Augenblick wirkte die Bitte von Marx an den Papst, ihn von seinen Pflichten als Erzbischof zu entbinden, wie ein Befreiungsschlag. Der erste Bischof in Deutschland, der Konsequenzen zieht! Einer der wichtigsten kardinalen Berater und Begleiter des Papstes auf seinem Reformweg! Der Bischof, der den Synodalen Weg mit der Autorität seiner Person und seines Amtes ermöglicht hat! Es war und ist Marx‘ Überzeugung, dass das System des katholischen Missbrauchs grundlegende Reformen verlangt.

Hier wird der Zusammenhang scharf gestellt, der sich in diesem Herbst zuspitzt: mit der Dynamisierung synodaler Prozesse weltweit, die wie in einem Brennglas mit der zweiten Plenarversammlung des deutschen Synodalen Wegs sichtbar wird. In Frankfurt soll am Wochenende vor dem Start in Rom ein Grundlagentext zu Macht und Gewaltenteilung in der Kirche verabschiedet werden. Konkrete Handlungstexte sind ihm zugeordnet. Hier wird sich die Bereitschaft gerade der Bischöfe erweisen, echte Reformen auf den Weg zu bringen.

Papst belastet Synodalen Weg

Als ein dramatisches Vorspiel hat sich Papst Franziskus nun mit einer Entscheidung in diesen Prozess eingebracht, der den Synodalen Weg nicht nur in Deutschland belastet. Am Mittwoch der vergangenen Woche ließ der Vatikan verlauten, dass Erzbischof Heße im Amt bleibt. Das ist aus mehreren Gründen für den Synodalen Weg in Deutschland von Bedeutung. Heße war geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und einer der bischöflichen Akteure, die den Synodalen Weg unterstützen. Aus dem Zwielicht der eigenen Vergangenheit kehrt er nun in die Arena zurück. Vor allem zeigt sich eine irritierende Regie des Papstes. Nachdem er der Rücktrittsbitte von Kardinal Marx schon nicht nachkam, hält er auch den schwer belasteten Heße im Amt.

Was das für den Ausgang der Apostolischen Visitation in Köln bedeutet, kann man sich ausmalen. Für die Weihbischöfe dort muss dasselbe Recht gelten wie für Heße. Und den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki aus dem Amt zu ziehen, weil in dessen Bistum keine vertrauensvolle Grundlage für eine pastorale Zusammenarbeit mehr besteht, scheint mit Blick auf die Hamburger Situation undenkbar.

Für Bischöfe gelten in der katholischen Kirche auch unter Franziskus weiterhin eigene Regeln. Dazu gehört, dass der Papst die kirchenrechtlich vorgesehenen Zeitfenster für die Bearbeitung von Rücktrittsgesuchen souverän ignoriert hat. Und auch wenn der Vatikan festhält, dass man Heße keine Absicht zur Vertuschung nachweisen konnte, erinnert die Urteilsbegründung weniger an rechtsstaatliche Formate als an monarchische Gnadenerweise.

„In Anbetracht der Tatsache, dass der Erzbischof seine in der Vergangenheit begangenen Fehler in Demut anerkannt und sein Amt zur Verfügung gestellt hat“, heißt es aus Rom, darf Heße bleiben. Welche Demut? Erst die Kölner Missbrauchsstudie zwang Heße zu seinem Schritt.

Mit der römischen Lösung bildet das Rücktrittsgesuch nun eine episkopale Amtsgarantie. Mit Persilscheinen für Bischöfe bewahrt man den Status quo, macht aber keine Reformen. Eine geistliche Erneuerung der Kirche verlangt, dass aus den Verstrickungen kirchlicher Sakralmacht, die den Missbrauch und seine Verschleierung ermöglichten, systemische Konsequenzen gezogen werden. Sie machen sich in der katholischen Kirche deshalb besonders an Bischöfen fest, weil ihnen entscheidende Macht zukommt.

Wenn Bischöfe ihre moralische Autorität verlieren, steht die Glaubwürdigkeit der Kirche als apostolischer Tradition in Frage. Nach dem Willen des Papstes sollen die synodalen Wege der Kirche darauf eine Antwort finden. Die Antwort, die Franziskus mit dem Hamburger Urteil gegeben hat, macht indes nur einmal mehr sprachlos.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Uni Salzburg sowie beim Synodalen Weg Mitglied des Synodalforums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“.

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