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Kirdienfrieden in Jugoslawien?

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Seit dem Tode des Zagreber Erzbischofs und Kardinals Stepinac im vergangenen Jahr mehren sich die Gerüchte, die von einer bevorstehenden Aussöhnung von Kirche und Staat im titoistischen Jugoslawien wissen wollen. Das Hinscheiden dieses außergewöhnlichen Mannes, der vielen zum Symbol für die streitende Kirche hinter dem Eisernen Vorhang geworden ist, nährte dergleichen Hoffnungen in der Brust jener, die hinter dem Zwiespalt zwischen Kirche und Staat in Jugoslawien in erster Linie die Persönlichkeiten Titos und Stepinac' vermuteten. Nach verschiedenen Versuchen von beiden Seiten, die bisher im Sande verlaufen sind, zerfließen diese Gerüchte jedoch allmählich im Nichts.

Nach der von höchster kirchlicher Stelle erfolgten Anathemisierung des Kommunismus, nach den Schauprozessen gegen kirchliche Würdenträger und der Verfolgung der Kirche in den kommunistisch beherrschten Ländern mag es auf den ersten Blick müßig erscheinen, die Frage nach der theoretischen Koexistenzmöglichkeit von Kirche und Kommunismus zu stellen. Und dennoch sind gerade die wertvollsten Elemente des modernen Katholizismus, jene Kräfte, die die Kirche aus ihrer unglückseligen Verbindung mit dem politischen Alltag gelöst und ausschließlich ihrer pastoralen und sakramentalen Aufgabe hingegeben zu sehen wünschen, leicht um eine Antwort verlegen.

Ein Gegenevangelium

Selbst wenn sich die Kirche mit der ausschließlichen Hingabe an ihre außerweltlichen Ziele (Seelsorge und Sakramentenspende) bescheide — wie sie es ohne Nachteile in manchen Ländern des Westens, wo die Problematik der auf einem hochscholastisch konzipierten Naturrecht aufgebauten „katholischen Soziallehre' nicht ins Programm politischer Parteien aufgenommen wurde, tun konnte — sie müßte unweigerlich täglich mit der Realität des Kommunismus in einen unlösbaren Konflikt geraten. Kann doch der Kommunismus marxistisch-leninistischer Observanz niemals abgelöst von seinen geistigen Fundamenten als eine der vielen möglichen Organisationsformen der sozialen Wirklichkeit verstanden werden. Das unterscheidet ihn wesentlich vom Feudalismus oder von der „bürgerlichen Welt“, denen beiden gewissermaßen eine „immanente Rechtfertigung“ gewährt werden konnte. Das Ziel des Kommunismus ist hingegen nicht bloß die Neuverteilung der Güter, die Umwandlung der Produktionsverhältnisse, die Zerstörung der bürgerlichen Rechtsordnung und die Errichtung einer egalitären proletarischen Gesellschaft, sondern vielmehr die totale Neugeburt des Menschen selbst.

Die marxistische Dialektik ist seine unentbehrliche Waffe im Kampf um die Macht. Ohne das kommunistische Idealbild vom atheistischen Menschen, ohne die Dynamik der marxistischen Frohbotschaft von der „Selbsterlösung des Menschen durch den Menschen“, die aller dialektischen Spekulation zugrunde liegt, wäre der sowjetische Kommunismus blutleer und unelastisch. Die Verheißung des Paradieses auf dieser Welt, das der Sieg der Revolution notwendigerweise mit sich bringen wird, ist die befeuernde Kraft, die gerade bei kommunistischen Idealisten einen Opfermut entwickelt, der mit dem Märtyrertum der Urchristen vergleichbar ist.

Es wäre daher ein wirklicher Irrtum, zu glauben, das Problem einer Koexistenz von Kirche und Staat läge im Freiheitsentzug beschlossen — das autoritäre Regime Francos gewährt grundsätzlich nicht mehr Freiheit — es ist der chiliastische Glaubenseifer der

Nachfahren Marx’, die den urrussischen Messianismus weiterträumen und kompromißlos in jedem den Feind sehen, der nicht ihres Geistes ist. Diese Kom- promißlosigkeit und Bekämpfung des „idealistischen Feindes“ ist wohlbegründet. Nur der eschatologische Glaube an das marxistische Dogma vermag die Widersprüchlichkeiten der kommunistischen Realität zu ertragen. Der Kampf gegen die Religion, gegen den religiösen Menschen, ist dergestalt ein essentieller, unverzichtbarer Bestandteil der politischen Taktik, die Indoktrinierung der Massen das Hauptanliegen jeder sowjetischen Erziehungsarbeit.

Nur Schonzeit für die Kirche

Das Gesagte gilt oln? nennenswerte Abstriche in gleicher Weise für Jugoslawien. Nicht anders als in der Sowjetunion wird in Jugoslawien die „dialektische Schulung“ der Jugend mit Feuereifer betrieben. Der einzelne, der sich nicht scheut, allen offiziellen Leitsätzen zum Trotz seine religiöse Überzeugung zu bekennen, ist hier wie dort ein Staatsfeind, für den es eigentlich keine Milde, sondern höchstens Schonzeiten geben kann. Ist die Lage der Kirche in Jugoslawien dennoch etwas anders als in den Ländern des Sowjetreiches, so keineswegs wegen einer grundsätzlich anderen Einstellung der' Regierung, sondern ausschließlich infolge der politischen Notwendigkeiten, denen sich Tito fügen muß. Die Not mit Moskau und die „Öffnung nach dem Westen" bedingt eine Rücksichtnahme auf zwei einander diametral entgegengesetzte Kräfte: einmal muß Tito das Vertrauen des Westens in seinen sogenannten „humanen Kommunismus“ gewinnen beziehungsweise zu erhalten trachten, anderseits darf er in den Reihen seiner Getreuen die Vorstellung von seiner marxistischen Orthodoxie nicht erschüttern. Zwischen diesen Antipoden pendelt di geschickte Politik des südslawische! Herrschers, vergleichbar am besten mi der unklaren außenpolitischen Linie die Jugoslawien verfolgt.

Während nach außen eine Ar Waffenstillstand zwischen Staat unt Kirche eingehalten wird, geht in Innern die Auseinandersetzung mi fast unverminderter Schärfe fort. We heute in Jugoslawien in die Kircht geht, riskiert zwar nicht, ins Gefängnis geworfen zu werden, er wird seiner Glaubenseifer aber mit seiner Laufbahn bezahlen müssen. Der kommunistische Polizeistaat registriert jede Lebensäußerung, und dem Schreibei dieser Zeilen ist kein Fall bekannt, daß e n aufrer'-'-er Katholik in irgendeine! Sphäre des öffentlichen Lebens in heutigen Jugoslawien eine maßgebend« Rolle spielt. Formell hat es dieser Staat gar nicht nötig, durch eine Ausnahmegesetzgebung die Kirche Zu beengen — die praktische Anwendung der jugoslawischen Religionsgesetze, die zwar die Glaubens- und Gewissensfreiheit genau so verkünden wie den Grundsatz „Religion ist Privatsache“, garantiert schon allein eine entsprechende allumfassende Kontrolle.

Die Kirche Jugoslawiens ist aus der erschütternden Vergangenheit der letzten Jahrzehnte fürwahr geläutert hervorgegangen, und nur Böswillige können ihr einen Rückfall in einen reaktionären Klerikalismus insinuieren. Die unselige Zwangsehe von Kirche und kroatischem Nationalismus, die während des zweiten Weltkrieges in beschämender Weise die Ausrottung des Serbentams und blutige Verfolgungen der getrennten orthodoxen Brüder ermöglichte, hat nun wohl dem kleinsten Dorfkaplan die Augen geöffnet. Das tragische und keineswegs nur zufällige Erbe der Liebäugelei vieler Kleriker mit dem kroatischen Faschistenhäuptling Pavelič ist schließlich die traurige Tatsache, daß die mittelalterliche „antemurale christiani- tatis“, die dem Türkensturm widerstand, ein Opfer des Kommunismus wurde.

Priestergewerkschaft des Regimes

Freilich zieht nicht jeder aus der Vergangenheit die gleichen Schlüsse, und die Einstellung des Klerus zum Staat ist hierzulande sehr verschiitftfi- artig. Auch in Jugoslawien existieren sogenannte „staatliche Priestervereinigungen". die sozusagen „Gewerkschaften“ der Seelsorger darstellen sollen. Die Mitgliedschaft ist theoretisch auf freiwilliger Basis und auch kirchlicherseits nicht mit Exkommunikation bedroht. Obwohl der jugoslawische Episkopat abrät, diesen Vereinigungen beizutreten, weiß man, daß ihnen — nicht zuletzt, weil sie eine gewisse materielle Sicherheit bringen — in Slowenien zirka 50 Prozent, in Kroatien zirka 25 Prozent und in Bosnien und der Herzegovina gar 80 Prozent sämtlicher Geistlichen angehören. In Serbien, wo die katholische Kirche nur in den ehemals ungarischen Gebieten der Vojvodina eine bedeutendere Rolle spielt, ist der Prozentsatz am kleinsten.

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