Klangrede zur Christnacht

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Abseits des Üblichen entstand in der Gemeinde der ältesten Kirche Wiens - St. Ruprecht - ein sprachlich und musikalisch durchkomponiertes Werk für die Christmette.

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Abseits des Üblichen entstand in der Gemeinde der ältesten Kirche Wiens - St. Ruprecht - ein sprachlich und musikalisch durchkomponiertes Werk für die Christmette.

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Musik als Klangrede" rückt immer dann besonders ins Bewusstsein, wenn man mit Musik etwas ausdrücken, also etwa ein Fest feiern will. Man muss das heutzutage offensichtlich schon dazusagen, weil die quantitativ häufigste Musik nicht mehr Klangrede, sondern Klangtapete ist - von den wummernden Autoboxen bis zur Fließbandmusik der Einkaufszentren. Musik im Gottesdienst ist deshalb ein solcher "Ernstfall", in dem auf die Probe gestellt wird, ob Musik noch "zu Wort kommt" - oder bloß dahinlabert, damit keine Stille aufkommt. Weihnachten ist zwar nicht in der liturgischen Rangordnung, jedoch der Volkstümlichkeit nach das höchste Fest des Jahres. Was an diesem Fest klanglich zur Sprache kommt ist also durchaus der Rede wert.

Abseits des Üblichen entstand in der Gemeinde der ältesten Kirche Wiens - St. Ruprecht - Musik zur Christmette: ein sprachlich und musikalisch durchkomponiertes Werk für den mitternächtlichen Gottesdienst - allerdings unter Benützung alter, vor allem biblischer Texte und alter Weihnachtslieder. Dass sowohl die Bibeltexte in eine neue sprachliche Form gegossen, als auch die Lieder neu gesetzt wurden, lässt das gesamte Werk homogen erscheinen, was wiederum zu dem - allerdings leicht irritierenden - Titel "St. Ruprechter Weihnachtsoratorium" führte. Wenn man allerdings "Oratorium" nicht als musikalische Gattung versteht, sondern seinen Wortsinn bedenkt, dann trifft es zu: Gebet in den beiden Sprachen der Liturgie - in Wort und Musik.

Der Untertitel benennt den "Gebrauchswert" beim Namen: "Christmette für Gemeinde, Priester, Solisten, Chor, Klavier, Violine, Fagott, Perkussion". Man erkennt hier auch die Möglichkeiten einer kleinen, aber aktiven Gemeinde, die für diesen Anlass (oder weil man um den Altar musiziert - oder weil das Instrument fehlt) auf den Orgelsound verzichtet und in einer gemäßigt modernen Tonsprache unter Einbeziehung von Gemeinde und Priester die Geburt Christi feiert. Die Ambition ist durchaus sympathisch, weil man zwar nicht auf die vertrauten Texte und Melodien verzichten, jedoch eine zeitgemäße Form dazugewinnen will.

Die sprachlich herben und kraftvollen Texte reichen von Jesaja über das Weihnachtsevangelium bis zu Neudichtungen - das zitierte oder gesungene Liedgut spannt einen weiten Bogen von spätmittelalterlichen Gesängen bis zum Spiritual. Aus verständlichen Gründen verzichtet man auf den "holden Knaben im lockigen Haar", lässt jedoch in einem "Wiegenlied" zum Brotbrechen oder in einer reizvollen kammermusikalischen Pastorale erkennen, dass man weiß, in welch reicher musikalischer Tradition man steht. Man kann sowohl die sprachliche, als auch die musikalische Absicht erkennen, einerseits theologisch und künstlerisch anspruchsvoll zu feiern, andrerseits insofern "auf dem Boden zu bleiben", als man mit wenigen und bescheidenen Kräften einer aktiven Gemeinde das Auslangen findet und die Gemeinde selbst aktiv beteiligt.

Hier wird das Dilemma deutlich, dass viele Gemeinden an den Hochfesten mit auswärtigen Profimusikern teure Aufführungen zustandebringen, dabei die Gemeinde selbst jedoch weniger aktiv ist, als an gewöhnlichen Sonntagen - sodass man sich fragt, ob sich denn nicht die erhöhte Festlichkeit auch in einer erhöhten Aktivität der Gläubigen ausdrücken sollte. Obzwar auch das Zuhören eine hochaktive Sache sein kann, hat man dennoch in vielen Festgottesdiensten den Eindruck, hier geschähe ein letztlich konsumistisches Ritual: Man "lässt feiern". In der Kirchenrechnung sind dann die Feste als üppige Honorarposten für pfarrfremde Musiker zu erkennen. Hier liegt wohl ein kaum auflösbares Dilemma unserer gegenwärtigen Kirchenmusikpraxis.

Die Lösung der Christmette von St. Ruprecht besteht offensichtlich in einem kleinen musikalischen Freundeskreis: Für ihn wird komponiert, er selbst bringt die Musik zum Klingen. Konzertante Ambitionen gibt es nicht. Die Musik dient dem Fest, der Feier, der Gemeinde - letztlich Gott. Also Gottesdienst im besten Sinn. Jeder feiert mit seinen Möglichkeiten und Begabungen. (Dass anschließend auch noch gegessen und getrunken wird, lässt sich vermuten.) Die Musikerinnen und Musiker verstehen sich wohl als Teil der Gemeinde oder als ihre durch befreundete Gemeindemitglieder vermittelte Gäste.

Eine CD mit ausführlichem Booklet dokumentiert das Ereignis der Christnacht 1999 - Textautor furche-Redakteur Otto Friedrich und Komponistin Mariela Riedl finden sich auch unter den Ausführenden, ebenso Joop Roeland, der Rektor von St. Ruprecht (selbst ein begabter Poet und offensichtlich das, was man früher den "spiritus rector" des ganzen Unternehmens genannt hätte). Man ist dankbar für den mutigen Versuch, einen besonders kostbaren Festgottesdienst - den der Christnacht - auf diese Weise zum Klingen gebracht zu haben.

Der Autor ist Akademiker- und Künstlerseelsorger in Linz sowie Buchautor und am Bruckner-Konservatorium lehrender Musiker.

ST. Ruprechter Weihnachtsoratorium. Christmette für Gemeinde, Priester, Chor, Sprechstimmen, Vokal-, Instrumentalsolisten. Von Otto Friedrich (Text) und Mariela Riedl (Musik). Mitschnitt der Christmette 1999 aus der Ruprechtskirche in Wien. CD, Kamikatze, Wien 2000. 70:37 Minuten. öS 210,-/e 15,26. - Kamikatze, 1050 Wien, Ramperstorffergasse 65/8, Tel./Fax 01/5454967. Text und Noten können bezogen werden bei: Rektorat St. Ruprecht, 1010 Wien, Seitenstettengasse 5/4, Tel./Fax: 01/5356003.

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