Werbung
Werbung
Werbung

Nur keine Anbiederung im Gespräch der Religionen - so die Mahnung eines Jesuiten, der seit 20 Jahren christliche und muslimische Studenten unterrichtet.

In vielen europäischen Ländern wächst die Zahl der Muslime. Ihr friedliches Zusammenleben mit den Christen wird einen mit Respekt geführten Dialog erfordern. Über dessen Voraussetzungen sprach Dolores Bauer mit einem in Beirut lehrenden ägyptischen Jesuiten.

Die Furche: Pater Samir, Sie sagen von Sich, dass Sie den Dialog zwischen Christentum und Islam sozusagen in Ihrer eigenen Person leben. Wie ist es dazu gekommen ?

P. Samir Khalil Samir: Nun, das hat mein Lebensweg so mit sich gebracht. Als Jesuit bin ich natürlich in erster Linie ein katholischer Christ, der aber die beiden anderen Traditionen sozusagen integriert hat.

Die Furche: Wieso "die beiden", was ist da noch neben dem Islam, der ja für sich schon schwer genug zu integrieren ist, wie mir scheint ?

P. Samir: Lassen Sie Sich erzählen. Als Ägypter bin ich in Kairo aufgewachsen und gemäß der Familientradition im jesuitischen, also west-katholischen Geist erzogen worden. In Westeuropa, genauer in Frankreich und Holland, habe ich dann neun Jahre lang arabisch-islamische Studien betrieben und mit einer Doktorarbeit abgeschlossen. Im Sommer 1962 bin ich nach München, um eine Arbeit über einen der großen islamischen Theologen aus dem zehnten Jahrhundert zu schreiben. Im Lesesaal der semitischen Abteilung der Staatsbibliothek bin ich auf einen syrischen Mönch getroffen, der mir zunehmend auf die Nerven gegangen ist. Er erklärte immer wieder, er verstehe nicht, wieso ich mich als Christ mit dem Islam und nicht mit der reichen arabisch-christlichen Tradition auseinander setze. Um ihn los zu werden sagte ich: Wie soll ich an so ein Material kommen? Am nächsten Tag schleppte er fünf dicke Bücher, insgesamt 2400 Seiten aus der Feder eines Orientforschers mit Namen Georg Graf, an. Ich fiel, bildlich gesprochen, in diese Seiten und kam sobald nicht wieder heraus. Ab diesem Zeitpunkt, den ich als eine Art Bekehrung verstehe, waren beide Fächer sozusagen mein täglich Brot. Wo immer ich hinkam, habe ich nach arabisch-christlichen oder koptischen Handschriften gegraben und bin auch immer wieder fündig geworden. Diese Forschungen resultierten schließlich in einer zweiten Doktorarbeit.

Die Furche: Sie lehren im ganzen Orient, aber auch in Westeuropa und Kanada. Vor allem seit dem 11. September des Vorjahres sind Sie weltweit als Vortragender und Lehrer gefragt. Ihr Hauptsitz ist aber seit fast 20 Jahren die St. Josephs-Universität in Beirut. Stehen Sie auch dort noch immer auf drei Beinen in den zwei großen abrahamitischen Religionen?

P. Samir: Ja, immer noch und es ist immer noch faszinierend. Neben andern Vorlesungen und Kursen ist das Herzstück meiner Arbeit das von mir gegründete "Institut für christlich-islamische Beziehungen". Das Grundprinzip: Die Studenten, halb christlich, halb muslimisch, werden immer von zwei Professoren unterrichtet: einem Muslim und einem Christen. Wir korrigieren und ergänzen einander. Das hat den Vorteil, dass keiner etwas hinter dem Rücken des anderen sagen kann, dass alles offen und klar ist und daher keine Doppelzüngigkeiten möglich sind.

Die Furche: Wie funktioniert das?

P. Samir: Am Anfang dachte ich: Dialog ist, wenn man das Gemeinsame sucht und daran arbeitet. Dann habe ich erkannt, dass das kein echter Dialog ist, denn die Probleme kommen nicht dadurch, dass wir uns über die Punkte 1 bis 3 verständigen können, sondern dadurch, dass wir uns über Punkt 5 bis 8 nicht einigen können. Daran gilt es zu arbeiten, historische und exegetische Missverständnisse so weit als nur irgend möglich auszuräumen, durch immer bessere Kenntnis der eigenen und der anderen Position. Und dann gilt es, das, was bleibt, in gegenseitigem Respekt so stehen zu lassen und in Liebe zu akzeptieren.

Die Furche: Und wie schaut das in der Praxis, an einem konkreten Beispiel aus?

P. Samir: Da gab es kürzlich einen Disput während eines gemischten Theologenkongresses. Ein Mitbruder sagte zu mir: "Du bist zu hart. Du bekennst dich zum Dialog und sagst, dass Mohammed kein Prophet war." Ich fragte vor allen anderen Teilnehmern der Veranstaltung zurück: "Und du, glaubst du, dass Mohammed ein Prophet war?" Er sagte: "Nein, natürlich nicht, aber das kann man doch nicht so offen sagen." "Dann bist du ein Heuchler", meinte ich wohl eher unfreundlich. Daraufhin stand ein muslimischer Theologe auf: "Samir hat recht. Ich als Muslim muss akzeptieren, dass Mohammed aus dem Blickwinkel der christlichen Theologie kein Prophet gewesen ist. Ihrer Meinung nach waren Propheten nur jene Männer und Frauen, die Gottes Wort verkündeten, soweit es auf den Messias verwies. Der letzte der Propheten war ihrer Meinung nach Johannes der Täufer. Und auch in unseren Schriften wird Mohammed nicht Prophet, sondern Siegel der Propheten genannt." Das war eine für uns alle ziemlich aufregende Auseinandersetzung, die aber so nur möglich ist, wenn man wirklich viel voneinander weiß. Das Wichtigste ist nicht, einander schön zu reden, dem anderen zu sagen, was ihm gefallen kann, sondern Klarheit zu bringen. Das gilt für uns im Orient, aber das wäre auch ein Modell für Westeuropa. Ich habe den Eindruck, dass es in Europa seit geraumer Zeit so etwas wie eine Identitätskrise gibt. Viele Europäer schämen sich auf nahezu masochistische Weise ihrer Vergangenheit.

Die Furche: Nun, Pater Samir, da gibt es doch auch eine ganze Menge zum Schämen. Ich nenne nur die Kreuzzüge, die Kolonialisierung anderer Kontinente, die Verfolgung Andersgläubiger bis hin zum Holocaust. Da schadet Schämen wohl nicht,oder?

P. Samir: Schämen schadet nicht und auch Selbstkritik ist bis zu einem gewissen Grad nötig, um daran und an der Aufarbeitung von Fehlern zu wachsen, aber übertriebene Selbstkritik kann auch zerstörerisch sein. Ich kann auch im persönlichen Bereich ein inneres Problem nur heilen, wenn ich alle Facetten meiner Persönlichkeit zulasse. Übertriebene Selbstkritik macht schwach und unsicher. Das führt nicht zu weniger Berührungsängsten, sondern vermehrt diese bekanntlich. Das führt wiederum entweder zu unehrlicher Anbiederung und einem verlogenen laissez-faire oder zum Rückzug, zur Ausgrenzung. Man lebt ja, wie jetzt in Europa gemeinsam in einem der Länder, dem man gemeinsam dienen sollte und das kann man nicht, wenn man mit dem Rücken zueinander steht, statt Hand in Hand zum Wohle aller zu arbeiten.

Die Furche: Liegt das Problem nur an unseren sado-masochistischen Zügen und nicht auch an der zumindest behaupteten Aggressivität des Islam?

P. Samir: Natürlich ist der Islam nicht nur der Salam, nicht nur Friede. Es gibt im Koran sehr kämpferische Passagen und eine durchaus militante Sprache, vor allem in den Aufzeichnung aus dem letzten Lebensjahr Mohammeds. Schließlich hat er in den letzten neun Jahren seines Lebens nicht wenig als achtzehnKriege geführt.

Das gilt aber nicht für Muslime im allgemeinen. Ich habe mit Muslimen nie Probleme gehabt. Es sind liebe, freundliche, ehrliche und tief religiöse Menschen, mit denen man sich gut verstehen kann. Solange man ihnen die Möglichkeit gibt, sich in einer offenen Atmosphäre gut einzuleben, sich zu integrieren, werden sie zwar ihren religiösen Riten folgen, sich aber sonst der sie umgebenden Kultur anpassen.

Das Problem liegt im religiösen und politische Expansionsdrang der islamistischen Staaten. Der Islam ist keine Kirche, sondern beruht auf einem politischen System. Saudiarabien zum Beispiel hat in den letzten zehn Jahren in der Welt mehr als 10.000 Moscheen gebaut und unzählige Imame ausgebildet. Sie planen, bauen, zahlen - und wer zahlt schafft an. Also geschieht an vielen Plätzen der Welt das, was das saudiarabische System befiehlt.

Diese Gefahr muss man sehen, aber dieser Gefahr kann man nur entgegenwirken, wenn alles getan wird, um eine Radikalisierung der in Europa lebenden Muslime zu verhindern. Sonst treibt man sie den Fundamentalisten in die Arme.

Es ist möglich, dass Christen und Muslime in Europa friedlich zusammenleben. Man muss allerdings klare Linien zeichnen und eine klare Vision von dem haben, was man gemeinsam verwirklichen will: dass alles ein menschenwürdiges, ein gutes Leben haben. Dieses gemeinsame Ziel muss von beiden Seiten respektiert werden. Wenn Muslime gute Erfahrungen in Europa machen, wenn sie Demokratie, Menschenrechte, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und kulturelle Freiheit positiv erleben, dann könnte das auch islamischen Staaten helfen, ihre starren Systeme aufzuweichen und ihnen ihre Angst vor der Moderne nehmen.

Zur Person

Vom Dienst an den Armen zum Professor in Beirut

Pater DDr. Samir Khalil Samir wurde 1938 in eine christliche Familie in Kairo hineingeboren. Nach Studien in Europa lehrte er am Priesterseminar seiner Heimatstadt und war sieben Jahre in der Sozialarbeit des Ordens, vor allem in der Alphabetisierung von Dörfern und Arbeitervierteln tätig. Nachdem während eines Auslandsaufenthaltes sein Büro und seine ganze Bibliothek völlig ausgebrannt waren, deutete er dies als einen Fingerzeig Gottes, sich zukünftig nur noch den Armen widmen zu sollen. Der damalige Jesuitengeneral P. Pedro Arrupe stellte die Weichen allerdings anders: "Sozialarbeit können viele leisten. Dazu braucht man nicht so viel studiert zu haben wie Sie. Und wenn Sie meinen, dass die Früchte Ihrer Forschung erst in 50 Jahren reifen, so ist es hoch an der Zeit, damit zu beginnen." Nach 20 Jahren als Professor an päpstlichen Universitäten in Rom, folgte P. Samit 1986 einem Ruf seines Ordens nach Beirut und lehrt bis heute an der St. Josephs-Universität, einer der größten und bedeutendsten Lehranstalten des Libanon.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung