Kleines Land, grosses Niedermähen

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Peter Roseis präzises Erzählpanorama führt durch ein Jahrhundert österreichischer Zeitgeschichte.

Ein kühnes Experiment legt Peter Rosei mit seinem neuen Roman vor, denn in einer derart komprimierten Form wurde selten zuvor ein vergleichbar umfassendes Erzählpanorama geschaffen. Schauplatz ist – neben Abstechern in die österreichische Provinz – Wien, und der zeitliche Rahmen reicht von der Gegenwart bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit einem Heimito von Doderer in der Nussschale haben wir es hier gleichsam zu tun.

In einem solch kleinen Raum ist absolute Präzision nötig. Ein Stil der Verkürzung, der Orte und Figuren mit wenigen Strichen zur Präsenz bringt. „Es noch genauer ins Auge zu fassen“, und zwar bei maximaler Ökonomie der Mittel, ist auch Roseis Programm. Dazu ist Reduktion nicht allein in den beschreibenden Passagen nötig, sondern auch in der Gesamtkomposition. So gliedert sich „Das große Töten“ in fünf thematisch eng verflochtene Abschnitte. Vor- und Rückblenden, Überlappungen und Überschneidungen ergeben sich oft in wahnwitzig kurzen Intervallen, ohne dass das Ganze je unübersichtlich würde.

Die beiden Hauptfiguren, Paul Wukitsch aus einem kleinen Ort im Burgenland und Alexander Altmann aus Wien, finden erst im letzten Teil zusammen – dort, wo es wirklich ans große Töten geht. Rein psychologisch gesehen ist diese letzte Wendung nicht nachzuvollziehen. Denn nachdem die beiden Helden ursprünglich „nur“ einen Raubüberfall auf ein Kaufhaus in der Mariahilfer Straße geplant hatten, macht der Autor aus Paul urplötzlich einen Amokläufer, der in dem Gebäude schlichtweg alles niedermäht. Den völlig verdatterten Komplizen lässt er ratlos im Raum stehen – ein Gefühl, das (mit Bedacht) auf die Leserschaft überspringt.

Unerklärbarer Amoklauf

Der Amoklauf, das ist die Leerstelle, über die sich trotz all der erzählerischen Präzision nichts Genaues sagen lässt. In einem Interview hat Rosei erklärt, dass Amokläufe eben nicht erklärbar seien. Genau daran aber rührt (abseits der Psychologie) sein Buch, denn irgendwie scheint die Wahnsinnstat dann doch in den Voraussetzungen begründet, die das Buch beschreibt. Eingekeilt zwischen Politik, Geschichte und Wirtschaft, und lokalisiert mitten in Österreich.

Da ist zunächst Paul Wukitsch selbst, aufgewachsen in einem burgenländischen „Elendsdasein“, das der Vater der Familie hätte ersparen wollen, aber nicht konnte, da er im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. In der Schule wird Paul als einer der Intelligentesten erkannt und zunächst auf das bischöfliche Internat nach Eisenstadt, später auf das Priesterseminar nach Wien geschickt. Das geht nicht lange gut: Paul macht sich disziplinärer Verfehlungen schuldig, fliegt raus, zieht sich zunehmend in sich zurück, bricht mit der Familie, fristet ein Dasein als Lagerarbeiter, ohne Ambitionen.

Alexander Altmann hatte einen ungleich besseren Start: Als wir auf ihn treffen, ist er mit Ulla verheiratet, die aus einer Kärntner Hoteliersfamilie stammt. In „Papa“ Steininger, einem gut situierten Rechtsanwalt, hat er einen väterlichen Freund und in einer Wiener Galerie eine nicht allzu anstrengende Arbeit. Doch auch diese Welt ist brüchig: Ulla, die eine schreckliche Kindheit hatte, hat eine Affäre mit Steininger, und die Galeristin kommt ihrem Angestellten bei einigen linken Geldtransaktionen auf die Schliche und wirft ihn raus. Von da an (und nachdem Ulla Selbstmord begangen hat) lässt sich Alexander von einer reichen Erbin aushalten, nach außen hin fesch wie immer, aber innerlich ohne Antrieb und leer.

Auch in den vielen Nebenfiguren des Buches sind, ohne dass es aufgesetzt wirken würde, Themen aus Österreichs Geschichte und Gegenwart präsent: Die Arisierung jüdischen Eigentums, die Beengtheit der 50er Jahre, die kurzen Hoffnungen von 1968, das nationale und autoritäre Klima in Kärnten. Oft fügt sich, was solcherart gesagt wird, in „Das große Töten“ zu zwingenden Zusammenhängen. Die Erfolgsgeschichte der Firma Kopetzky beispielsweise, tief in der Vergangenheit des Landes: „Mit dem Anbruch des Ersten Weltkrieges ging es dann richtig los. Die Kopetzkys lieferten für den Krieg. Das ergab sich schon aus dem Umstand, daß sie auch für den Frieden geliefert hatten.“

Das große Töten

Roman von Peter Rosei (

Residenz 2009

156 S., geb., e 18,50

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