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Was steckt hinter der Forderung, die vorkonziliare Liturgie in der katholischen Kirche wieder zuzulassen?

Seit einiger Zeit kursiert das Gerücht, Rom wolle die alte Form der Messe demnächst allgemein wieder zulassen; die Promulgation des entsprechenden päpstlichen Dokuments stehe unmittelbar bevor. Eine beschränkte Erlaubnis gibt es ja bereits, seit dem 3. Oktober 1984. Damals wurden die Ortsbischöfe ermächtigt, die Messfeier nach dem Tridentinischen Missale (in der Ausgabe von 1962) unter bestimmten Voraussetzungen zu gestatten. Seither bemühen sich konservative Kreise, die Verwendung des alten Ritus auszuweiten. Vielfach sogar mit dem Argument, dieser gelte ohnehin nach wie vor. Selbst hohe Kirchenführer, wie der frühere Präfekt der Kleruskongregation, Kardinal Dario Castrillon Hoyos, behaupten dies, und zwar unter Berufung auf Art. 4 der Liturgiekonstitution: "Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil schließlich, dass die heilige Mutter Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt." Dieser Text bezieht sich aber aufs Verhältnis des römi-schen Ritus zu östlichen und nicht-römischen westlichen Liturgien: Jener ist diesen nicht überlegen, alle Riten sind gleich wertvoll.

Vor liturgischem Chaos?

Annahme: Das Gerücht stimmt. Was geschähe, würden die frühere Ordnung und die vorkonziliaren liturgischen Bücher tatsächlich allgemein freigegeben? Die Kirche ginge daran nicht zugrunde. Aber ein Chaos bräche aus: Es gäbe plötzlich zwei unterschiedliche Kirchenjahre; zwei Heiligenkalender; zwei Schriftlesungs-Ordnun-gen; zwei voneinander abweichen-de Vorschriften über die Ausstattung der Kirchen; (bereits abgeschaffte) niedere Weihen und den Subdiakonat bei den "Altglaubern", Laien-Dienstämter bei den anderen etc.

Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht im Chaos, sondern im Nebeneinander zweier unterschiedlicher Liturgie-Theologien. Das II. Vatikanische Konzil definierte in der Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" die Liturgie als Feier der Gemeinde: einen Gottesdienst, der in all seinen Teilen jeden und jede betrifft, an dem alle - gewiss mit je anderen Aufgaben - tätig und verstehend teilnehmen sollen. Die Gemeinde hat ihr durch die Taufe übertragenes Amt zurückerhalten, das sie seit dem Mit-telalter nicht mehr ausüben konnte. Entsprechend musste die Gestalt der Liturgie, zumal die der Messe, revidiert werden, was durch das Mis-sale Romanum von 1970 geschah.

Der so genannte tridentinische (in Wirklichkeit mittelalterliche) Ritus, auch seine leicht veränderte Ordnung von 1962, ist - wie der frühere Wiener Liturgiewissenschaftler Johannes Emminghaus es ausdrückte - eine "absolute Pries-termesse". Der das Messbuch einleitende "Ritus servandus" beschreibt als Grundform die private Feier des einzelnen Priesters. Der Priester ist für alles zuständig; nur was er tut, gilt. Texte, die andere (Lektoren, Diakon, Chor) vortragen, rezitiert er trotzdem (zur Sicherheit?) halblaut. Zelebrant und Volk handeln unabhängig voneinander. Die Kommunion der Gläubigen ist bloß als Ausnahme vorgesehen, wird deshalb nach der Form für die Spendung außerhalb der Messe (!) begangen. - Mit der durch die Liturgische Bewegung seit etwa 1920 propagierte "Gemeinschaftsmesse" wurde über die stille Messe des Priesters eine zweite, volkssprachige Schicht gelegt; an den Riten selbst änderte sich nichts. (Anfangs war übrigens nicht klar, ob es dem Volk erlaubt sei, dem Priester gemeinsam zu antworten!)

Theologische Wahrheit

Mit der Rede von der Liturgie als Feier der Gemeinde und von der tätigen Teilnahme aller hat das II. Vatikanum keine pädagogische Forderung aufgestellt, sondern eine vergessene theologische Wahrheit wieder ans Licht gebracht. Sie betrifft das Wesen des christlichen Gottesdienstes. Hier hinter das Kon-zil zurückzugehen ist nicht mehr möglich, selbst wenn man Einzelheiten der Reform kritisieren mag. Darauf hat sogar Kardinal Joseph Ratzinger, bekanntlich ein Freund der traditionellen Liturgie, mehrmals hingewiesen, so 1998 in einer Ansprache zur 10-Jahres-Feier des Motuproprios "Ecclesia Dei" (mit dem Johannes Paul II. auf die von Marcel Lefebvre eigenmächtig vorgenommenen Bischofsweihen reagierte): "Vor allem aber hat es [das II. Vatikanum] eine Wesensbestim-mung von Liturgie gegeben, die das innere Maß der einzelnen Reformen vorgibt und zugleich den beständigen Maßstab rechten liturgischen Feierns ausdrückt. […] Nach diesen Maßstäben ist sowohl die Feier der Liturgie nach den alten wie nach den neuen Büchern zu beurteilen." Er zitiert dann entsprechende Artikel der Liturgiekonstitution, die Liturgie als gemeinschaftliche Feier beschreiben.

In seinem Vortrag zum 40-Jahr-Jubiläum der Liturgiekonstitution 2003 sagte er: "Es musste ein dringendes Anliegen sein, Pries-ter und Gläubige wieder in einer einzigen, gemeinsamen Liturgie zu vereinen; den gläsernen Schrein wieder zu öffnen zu einer gemeinsamen Anbetung in einem ,vernünftigen Gottesdienst', wie man das Wort des römischen Kanons vom rationale obsequium übersetzen könnte." Participatio nannte er eine der "Grundkategorien der Reform".

Mit einer allgemeinen Freigabe des alten Messritus würde Benedikt XVI. seinen früheren Aussagen widersprechen, vor allem aber theologische Erkenntnisse des II. Vatikanischen Konzils negieren.

Der Autor ist Professor für Liturgiewissenschaft in Salzburg.

Obskure Liste

Ende Jänner wurde im deutschen Sprachraum ein "Manifest" verbreitet, das mit "Deutsche Intellektuelle bitten um eine offizielle Wiederzulassung der lateinischen Messe" überschrieben ist. Diese Schlagzeile ist irreführend, ist ja die lateinische Messe nicht nur nicht abgeschafft, sondern sind lateinische Messtexte in jedem katholischen Messbuch abgedruckt. Bei näherem Hinsehen geht es natürlich um den vorkonziliare Messritus, den das Manifest als "überragendes Werk der Weltkultur" lobt und mit passenden Zitaten Joseph Ratzingers und Papst Johannes XXIII. unterlegt. Initiiert hat das Ganze ein Bonner Altphilologe namens Heinz-Lothar Barth, gepusht wurde es unter anderem durch die Tageszeitung Die Welt sowie durch eine Liste von Erstunterzeichner(inne)n, aus denen neben allerlei deutschem und österreichischem Adel drei Schriftsteller - Ulla Hahn, Botho Strauß und Martin Mosebach hervorstachen. Eine seltsame Liste, denn Ulla Hahn distanzierte sich davon (sie habe auch nichts von der Liste gewusst), desgleichen Botho Strauß, der angab, als Protestant unberufen zu sein, sich über die lateinische Messe zu äußern. Sogar Martin Mosebach, der eben ein Pamphlet für die lateinische Messe neu aufgelegt hat, wusste von nichts, erklärte sich aber im Nachhinein mit dem Anliegen solidarisch …ofri

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