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Klerusnot in Rom

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Wenn Pilger oder Touristen nach Rom kommen | und die zahlreichen Kleriker und Ordensleute sehen, etwa auch bei einer feierlichen Liturgie in einer der großen Basiliken neben einer stattlichen Reihe von Kanonikern noch viele Kleriker als Assistenten sehęn. dann werden sie sich kaum vorstellen können, daß es in der „Ewigen Stadt so etwas wie „Priestermangel geben soll.

Sie haben ganz recht, denn von Priestermangel im allgemeinen kann in Rom keine Rede sein; dieser Mangel besteht ausschließlich an Seelsorgspriestern.

Seit Pius X., der das römische Vikariat, die Diözesanverwaltung beziehungsweise das Ordinariat von Rom, neu ordnete, haben alle Päpste durch den Neubau von Kirchen in den modernen Vierteln und durch die Errichtung neuer Pfarreien ein erhöhtes Augenmerk der Seelsorge in Rom zugewendet.

Leider gibt es über die Einwohnerzahl der Stadt Rom — trotz des erstaunlichen Eifers der Italiener für Statistik — keine definitiven Zahlen. Seit 1944 begann ein so starker Zustrom in die Ewige Stadt, daß die Schätzungen nunmehr zwischen

1 Vs und 2 Millionen Einwohnern schwanken. Da die Diözese Rom etwas kleiner ist als das Territorium der Stadtgemeinde Rom, wird man sich für 1 Vs Millionen als Maximum der Seelenzahl entscheiden können. Für diese Seelenzahl gab es im Jahre 1951 131 Pfarren und 3 Vizepfarren (1949 waren es 118 Pfarren und

2 Vizepfarren). Von diesen insgesamt 134 Seelsorgssprengeln werden jedoch nur fünfzig vom römischen Diözesanklerus verwaltet; der Cardinale- icario, der vom Papst für die Leitung der Diözese Rom ernannt wird und dem ein Erzbischof als Stellvertreter („Vice- gerente ) zur Seite steht, hat für die römische Pfarrseelsorge nur 200 Priester zur Verfügung: 50 Pfarrer und 150 Kooperatoren. In den einzelnen Ämtern des Vikariats wirken außerdem noch vierzig römische Weltpriester.

Alle übrigen — mehr als achtzig — Pfarreien werden durch den Ordensklerus verwaltet, der insgesamt 83 Pfarrer beziehungsweise Vizepfarrer und 250 Kooperatoren stellt. In der Pfarrseelsorge sind besonders stark die Bettelorden tätig; so haben die Franziskaner, die Beschuhten Augustinereremiten und die Kapuziner je fünf Pfarren, die Beschuhten und die Unbeschuhten Karmeliter, die Dominikaner, die Trinitarier, Serviten und Jesuiten je zwei, die Minoriten und Salesianer Don Boscos je drei Pfarren. Diese in der Pfarrseelsorge tätigen Regulären sind jedoch nur zum geringsten Teile aus der römischen Diözese gebürtig, vielfach auch keine Italiener. Der gesündeste Zustand für die Rekrutierung de« Priestemachwuchses ist natürlich immer dann gegeben, wenn sich der Nachwuchs in c ir betreffenden Diözese selbst fr det. Auch mit dem Weitpriesternachwuchs für die Diözese Rom sieht es nicht gut aus: 1949 wurden für Rom 9, 1950 12 Priester geweiht; 1948 gab es im römischen Diözesanseminar 65 Alumnen, 1950 nur 54; 1948: 77 Knabenseminaristen, 1950: 86.

Da| die Diözese Rom ein so kleines .Territorium umfaßt, würde man erwarten, daß die gesamte Verwaltung durchaus einheitlich ist. Und doch gibt es auch da noch verschiedene Enklaven.

So ist die Cittä del Vaticano mit 44 Hektar Areal von der Jurisdiktion des Cardinale- Vicario exempt und hat einen eigenen Generalvikar, von dem wiederum die Peterekirche — in welcher der Kardinal- Erzbriester von St. Peter eine „spezielle Jurisdiktion besitzt — und das Haus der Kanoniker von St. Peter exempt sind. — Diel Benediktinerabtei San Paolo fuori le mura, der die betreffende Basilika an- vertraut ist, ist eine Abtei „nullius“ mit drei Pfarreien. (Unter einer Abtei „nullius — die übliche Übersetzung „gefreite Abtei ist wenig glücklich — versteht man eine Abtei, die eventuell Pfarren hat, die nun wieldie Abtei selbst, zu „keiner Diözese gehpren und in denen der Abt alle Rechte eines Bischofs hat.) Die Basilika San Paolo ist zugleich Abtei- und Pfarrkirche; die betreffende Pfarrei wird durch die Benediktiner betreut, gehört jedoch nicht zu den drei Pfarreien der Abtei „nullius , sondern untersteht dem Vikariat. In den drei Pfarreien der Abtei „nullius" ist nun nicht etwa der mit der bischöflichen Würde ausgezeichnete Abt von San Paolo der Ordinarius, sondern diese unterstehen dem Bischof von

Nepi und Sutri als Apostolischem Administrator. Ähnlich kompliziert ist die Verwaltung der Pfarren der Abtei nullius von San Vincenzo ed Anastasio alle tre Fontane in Rom, welche drei verschiedenen Diözesanbischöfen als „Apostolischen Delegaten unterstehen. — Nahe bei Rom liegt die Basjlianerabtei Grottaferrata, auch eine Abtbi „nullius mit einer einzigen Pfarrei.

Die gesamte Diözese Ostia, das ranghöchste der suburbikarisčhen Bistümer, das immer der älteste Kardinalbischof innehat, besteht ebenso aus nur einer einzigen'Pfarre, hat keinen eigenen Diözesanklerus; die Seelsorge versehen Beschuhte Augustinereremiten.

Außer der Diözese Ostia gibt es noch sechs bei Rom liegende sogenannte subur- bikarische Bistümer, deren Titulare die Kardinalbisdiöfe sind, von denen der Kardinaldekan außer seinem Bistum, das er vor dem Aufstieg zum Dekanat hatte, auch noch das genannte Ostia verwaltet. Von den übrigen sechs suburbikarisčhen Bistümern ist Sabina- e Poggio Mirteto mit 71 Pfarren das größte; es folgen Velletri und Palestrina mit je 27, Porto e Santa Rufina mit 22, Albano mit 19 und Frascati mit 15 Pfarreien. Den Kardinalbischöfen steht für die Verwaltung dieser Bistümer je ein Weihbischof zur Seite. Auch in diesen Bistümern ist die Zahl der in der Seelsorge stehenden Weltpriester ähnlich gering wie in Rom; ebenso steht es mit dem Nachwuchs: die Diözese Porto e Santa Rufina zum Bei spiel hat einen einzigen (studierenden) Kleriker.

Wieviel Priester gibt es nun in Rom außer den 200 Seelsorgsweltgeistlichen, die dem Bistum Rom inkardiniert sind? Zum größten Teil aus einheimischem Klerus ist vor allem der Klerus der Basiliken und Kollegiatstiftskirčhen zusammengesetzt. Die in Rom bestehenden 14 (weltpriesterlichen) Kapitel dieser Kirchen haben insgesamt nicht weniger als 165 Kanoniker, wozu noch 112 Bene- fiziaten und Kapläne (es handelt sich um „Cappellani" der betreffenden Basilika, nicht etwa um Kapläne im Sinne von „Kooperatoren“) kommen; wenn wir bei den Kanonikern die 13 bischöflichen Kanoniker abziehen, bleiben noch immer rund 260 Priester, die zu diesen Kapiteln gehören. (Insgesamt residieren in Rom zirka 35 Bischöfe, zu denen noch 7 Kurienkardinäle mit Bischofsweihe kommen; die übrigen 6 Kurienkardinäle sind nicht Bischöfe.)

Der päpstliche Hof und die Kurie haben zusammen etwa 500 Priester. Die offizielle Zahl der angegebenen Ordenspriester, nämlich 1500, ist sicher viel zu niedrig. In Rom haben 140 verschiedene männliche Orden und Kongregationen Klöster beziehungsweise Niederlassungen. Fast alle diese Orden (bis auf die orientalischen) haben in Rom ihre Generalkurie und viele von ihnen besitzen jeweils mehrere Klöster in der Ewigen

Stadt; zum Beispiel die Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner und Jesuiten dürften allein jeweils mindestens hundert priesterliche Mitglieder in Rom haben.

In Rom gibt es außerdem rund fünftausend Kleriker und Seminaristen der verschiedenen internationalen Ordenskollegien und der nationalen Kollegien. Für diese Studenten gibt es in der Ewigen Stadt nicht weniger als 25 Fakultäten päpstlichen Rechtes (mit dem Rechte, die akademischen Grade zu verleihen), die sich, wie folgt, aufgliedern: Theologie 9, Philosophie 6, Kirchenrecht 5, Kirchengeschichte 1, Missionswissenschaft 1, Bibelwissenschaften 1, Studien des antiken Orients 1, ziviles Recht 1, wozu noch 3 päpstliche Institute mit akademischem Charakter kommen: für kirchliche orientalische Studien, für Kirchenmusik und für christliche Archäologie. Alle diese Fakultäten haben ihre ziemlich großen Professorenkollegien, geben wissenschaftliche Zeitschriften heraus; die besten dieser Professoren sind bei den Kongregationen der römischen Kurie als Konsultoren tätig.

Das ist also In kurzen Zügen das universale kirchliche Rom mit seinem geistlichen Hofstaat des Papstes, mit dem glänzend organisierten Verwaltungsapparat der römischen Kurie, das heißt der zwölf Heiligen Kongregationen, der drei Tribunale und der vier Offizien; es ist das internationale Rom mit den Generalkurien der Orden und Kongregationen, von denen einige große internationale Kollegien und sogar eigene päpstliche Athenäen (Hochschulen) oder zumindest theologische Fakultäten besitzen. Daneben gibt es einen verhältnismäßig sehr starken Klerus an den großen Basiliken, dessen Mitglieder sich nur zum geringsten Teil aus den Angehörigen von Hof und Kurie zusammensetzen oder zugleich Pfarrer sind (so ist der Pfarrer der Peterskirche ein mit der erzbischöflichen Würde ausgestatteter Kanoniker von St. Peter) und auf der anderen Seite den so auffallend schwach Vertretenen Klerus der der Diözese Rom inkardi- nierten (Welt)-Priester in der Seelsorge. Wenn man nun nach dem Hauptgrund dieses Zustandes sucht, kommt man zu einem Ergebnis, das man vielleicht nicht erwarten würde. Der Hauptgrund ist kein anderer als die verheerend schlechte wirtschaftliche Lage des römischen und überhaupt des italienischen Seelsorgs- klerus. Die Gehälter der Pfarrer und Kooperatoren reichen kaum zur Deckung der nötigsten Bedürfnisse. Alte Pfarrer können nicht in den Ruhestand treten, weil keine Mittel zur Erhaltung dieser Pensionisten da sind. Priester aber, die kein Kanonikat oder keine Pfarre'haben beziehungsweise keine „systemisierte“

Kaplanei, sind oft zum mehr oder minder verhüllten Bettel gezwungen . Ein Appellieren an den Idealismus hat eben auch seine vernünftigen, durch die Realitäten des Lebens gezogenen Grenzen …

Papst Pius XI. hat sehr viel für die Reorganisation der Priesterseminarien getan, vor allem in Mittel- und Unteritalien. Wohl keiner der Päpste der neueren Zeit hat aber die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel so großzügig für Wohlfahrtszwecke verwendet wie der gegenwärtig regierende Heilige Vater, Papst Pius XII. Man kann auch sagen, daß es dem Papst zur Ehre gereicht, mit diesen immerhin bedeutenden Geldmitteln etwa nicht „nur" einseitig die römischen und italienischen Seelsorgs- priester betreut zu haben; andernfalls hätte sich deren Lage ohne Zweifel schon längst gebessert, das heißt sie wäre so, wie sie zur Durchführung der schweren Berufsarbeit notwendig und in den Ländern der germanischen Sprachen selbstverständlich ist.

„Da kommt es öfter vor, daß in der Ewigen Stadt Pfarreien sind, wo alles fehlt, wo der Pfarrer sich in derselben Lage befindet wie ein Missionar in den ärmsten Missionsländern. („Zur Seelsorge in Rom“, in: Korrespondenzblatt für die Alumnen des Collegium Germanicum-Hungaricum, Rom, Mai 1951, Seite 18.)

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